"Haben wir keine anderen Sorgen?" - Wort zum Weltfrauentag.

08. März 2019

Ich wollte als Kind ein Junge sein. Jungs hatten es einfach besser: Es war egal, wenn sie aufgeschlagene Knie vom Bäumeklettern hatten. Mir wurde immer wieder eingebläut, dass es sich für ein Mädchen nicht gehört, überall Pflaster kleben zu haben – passt nicht zum weißen Erstkommunionskleid. Jungs hat niemand gesagt, sie dürfen nicht breitbeinig in der U-Bahn sitzen, da man ihnen dann zwischen die Beine sehen kann.  Keiner hat sie gewarnt, dass sie sich nicht in der Öffentlichkeit die Lippen abschlecken sollen, da das zu lasziv aussehen kann. Als wir älter wurden, hat sie niemand gewarnt, sie sollten Abends ja aufpassen, wenn sie alleine nachhause gehen. Und heute, als Erwachsene, fragt sie niemand, wann sie denn Kinder haben wollen oder warum sie ihr Liebesleben so pragmatisch angehen.

Instagram: sophia.joan.short
Instagram: sophia.joan.short

„Das ist Mimimi-Feminismus“

Augenverdrehen. „Das ist doch alles so ein Mimimi-Feminismus“ und „wir haben ja andere Sorgen weil in Saudi-Arabien dies oder jenes.“ Haben wir eh. „Frauen können doch eh machen was sie wollen, was kümmert euch, was andere von euch denken?“  Mich kümmert es herzlich wenig. Mittlerweile. Junge Mädchen kümmert es viel mehr – Und da geht es nicht um aufgekratzte Knie, sondern um   die Konstrukte, in die wir Frauen von klein auf hineingepfercht wurden und werden. Es ist dieses ewige Aufpassen, Zurückhalten, „sich Benehmen“. Dieses Schuldgefühl, wenn dich jemand Fremder auf der Straße grindig anmacht – du hättest ja eine längere Hose anziehen können. Hätte das wirklich was geändert? Hätte ich anders reagieren sollen, als einfach wegzuschauen? Aber wie? Das sind Gedanken, die ich als Jugendliche tagtäglich hatte. Und ehrlich gesagt immer noch habe. Es ist natürlich nicht deine Schuld, aber warum fühlst du dich dann so? Weil es dir unbewusst eingeredet wurde. Seit immer schon. Und bitte kommt mir jetzt nicht damit, dass das nicht die echten Probleme sind und dass tagtäglich Frauen vergewaltigt werden und das die richtigen Sorgen sind. Ich würde mir nie anmaßen, so etwas zu vergleichen oder gleichzustellen, aber ich denke, dass wir hier alle klug genug sind, das herauszulesen. Mir geht es darum, dass du als Frau so oft an deinem Selbstwertgefühl zweifelst. Weil dir beigebracht wurde, dass zwar du selbst dafür verantwortlich bist, aber dieses dennoch irgendwie von anderen abhängt. Ich ertappe mich selbst heute noch dabei, wie ich manchmal in diese Muster falle und ich hasse es.

Aber das wollte man uns so lange verklickern: Wirst du also abfällig angemacht, soll dein Selbstwert runtergehen. Und wie baust du es wieder auf?  Uns Frauen wird beigebracht, sei es durch Disneyfilme oder sei es durch Werbung und Magazine, dass man sich von Männern „umgarnen“ lassen muss, sie um sich kämpfen lassen muss. Und wenn dir das nicht gelingt, bist du weniger wert. Und genau darauf hatte ich nie Bock. Das erschien mir immer so schwach. Und kontraproduktiv: Frauen wollen Gleichberechtigung aber gleichzeitig wie irgendwelche unnahbaren Wesen behandelt werden? Das ergibt doch keinen Sinn. Bitte brechen wir endlich diese Konstrukte auf. Und gehen wir weiter in eine Richtung, in der es sich gut anfühlt, eine Frau zu sein. 

 

Instagram/Saatchi Gallery/ Kunstwerk von Zoe Buckman
Instagram/Saatchi Gallery/ Kunstwerk von Zoe Buckman

Heute bin ich verdammt froh, dass ich eine Frau bin. Ich bin froh, dass ich mir über die oben genannten Dinge Gedanken machen darf. Das alles habe ich Frauen zu verdanken, die dafür gekämpft haben, ohne jemals das Wort Feminismus gehört zu haben. Die alles riskiert haben, damit wir es später besser haben. Man denke an Suffragetten, an Aktivistinnen in stark patriarchalen Gesellschaften. Oder auch einfach an Frauen, die ihren Töchtern ein starkes Selbstwertgefühl vermittelt haben – was diese Töchter dann weitergeben.  Denn genau darum geht es – Gehen wir weiter diesen Weg, der uns schon geebnet wurde. So lange, bis wir keine Angst mehr haben, für uns selbst aufzustehen. So lange, bis wir aufhören, die Schuld bei uns zu suchen, wenn uns jemand grausig anmacht. So lange, bis wir nicht mehr über depperte Pflaster auf den Knien diskutieren werden.  

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