„Ich bin nicht klein, ich bin kleinwüchsig“

28. April 2017

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Miriam Gfellner Dwarf-Athlete
© Miriam Gfellner

Im August wird sich Miriam Gfellner erstmals auf Augenhöhe sportlich messen können. Mit einer Größe von 1,29 Metern ist das gar nicht so einfach. Doch die 7. internationalen „World Dwarf Games“ in Kanada geben ihr dazu als erste österreichische teilnehmende Athletin die Möglichkeit.

Im Turnunterricht hat sie immer mitgemacht. Nie kam ihr die Idee, sich davon freistellen zu lassen und das obwohl es oft sehr frustrierend sein konnte. „Die Lehrer haben nicht gewusst, wie sie mit mir umgehen sollen“, erzählt die 1,29 Meter große Miriam. Sie ist mit diesem Problem jedenfalls nicht alleine: Laut dem „Bundesverband kleinwüchsige Menschen und ihre Familien“ leben derzeit ca. 10.000 Menschen mit Kleinwuchs in Österreich. Das bedeutet, als erwachsene Person erreichen Betroffene lediglich eine Körpergröße von 70 – 150 Zentimetern. Über 200 Kleinwuchsarten gibt es, Miriam Gfellner hat die häufigste: Achondroplasie. „Ich bin nicht klein, ich bin kleinwüchsig. Es ist eine Krankheit“, erklärt die 23-jährige Oberösterreicherin. Auswirkungen hat das auf ihren Körper, nicht jedoch auf ihren Verstand: Miriams Oberkörper ist in etwa so groß wie der eines durchschnittlich großen Menschen, doch ihre Arme und Beine sind wesentlich kürzer. Auch wölbt sich ihre Stirn etwas nach vorne und sie hat eine sogenannte Sattelnase, welche durch eine Einsenkung des Nasenrückens gekennzeichnet ist.

Momentan hat Miriam das Gefühl, dass Kleinwüchsige Sport demotiviere. Sie würden in der Schule immer Letzter werden und nur selten werde auf ihre Bedürfnisse Rücksicht genommen. Das soll sich in ihren Augen ändern, doch dafür braucht es zuallererst mehr Bewusstsein für die Lage der kleinen Minderheit. Deswegen wird Miriam als erste österreichische Athletin bei den 7. internationalen „World Dwarf Games“ in Guelph, Kanada teilnehmen. Die Spiele finden vom 5. – 12. August statt und bieten Kleinwüchsigen aus aller Welt die Möglichkeit, sich „auf Augenhöhe“ in Disziplinen wie Volleyball, Fußball, Tischtennis, Badminton, aber auch Gewichtheben oder Schwimmen zu messen. Traten bei den ersten Spielen 1993 noch 165 AthletInnen aus 10 Ländern an, so waren es bei den jüngsten Spielen 2013 bereits 395 AthletInnen aus 17 Ländern.

Miriam wird an Wettkämpfen in den Disziplinen Brust- und Rückenschwimmen auf jeweils 50 und 100 Meter Distanz teilnehmen. Zusätzlich ist sie Teil des „Team Europe“, das in einem Staffelbewerb um Edelmetall wetteifern wird. Einfach wird es jedenfalls nicht, ganz vorne dabei zu sein. „Bei den Spielen herrscht ein hohes Niveau, da kann man nicht einfach unvorbereitet hingehen“, erläutert Miriam. Deswegen trainiert sie seit Februar zweimal pro Woche mit einem privaten Trainer. Bald schon wird sie ihr Programm auf dreimal in der Woche umstellen und auch Kraft- und Konditionstraining zusätzlich zum Schwimmtraining einbinden.

Miriam Gfellner Dwarf-Athlete
© Miriam Gfellner

Ohne Moos nix los

Finanzieren muss sie das Training aus eigener Tasche, denn gesponsert wird sie kaum. Lediglich der Österreichische Behindertensportverband stellte ihr ein Outfit und Trainingsausrüstung zur Verfügung. „Ich finde, da könnte ruhig mehr von diversen österreichischen Verbänden locker gemacht werden. Es gibt Unterstützung für Blinde, für Menschen mit Amputationen und auch für Leute mit Down-Syndrom, doch wir Kleinwüchsigen kriegen keine“, beklagt sie sich. Zurückzuführen ist das vermutlich darauf, dass bislang einfach kein Bedarf danach bestanden hat. In Nordamerika und auch in Australien ist die Unterstützung hingegen wesentlich höher. Gleich nach der Diagnose Kleinwuchs erhalten die Eltern allerhand Infomaterial und werden von Organisationen unterstützt, die sich unter den Kleinwüchsigen auch aktiv auf Talentesuche begeben. „Da kann es schon mal passieren, dass es Kleinwüchsige gibt, die seit ihrem 4. Lebensjahr schwimmen“, weiß Miriam Bescheid. „Bei uns in Österreich ist das jedoch überhaupt kein Thema.“

Miriam arbeitet eng mit dem bereits erwähnten „Bundesverband kleinwüchsige Menschen und ihre Familien“ zusammen. Der Verband hat es sich zur Aufgabe gemacht, Leute mit Kleinwuchs zu unterstützen und zu informieren, sie mit anderen Betroffenen zu vernetzen und auch gemeinsame Aktivitäten zu organisieren. Will man Miriam auf ihrem Weg zu den „World Dwarf Games“ oder Kleinwüchsige in Österreich generell unterstützen, sollte man an diesen Verband spenden. Miriam versucht mit ihrem Antritt bei den Spielen ein Vorbild für junge Mitglieder des Vereins zu sein. Sie möchte ihnen zeigen, dass es sehr wohl Möglichkeiten gibt, sportlich aktiv zu werden und das ganz ohne Frustration. Außerdem wünscht sie sich für die Zukunft, dass eine eigene Sportabteilung für Kleinwüchsige geschaffen wird und sie bei den nächsten Spielen in vier Jahren nicht als einzige Athletin aus Österreich antreten muss.

„Bankomaten sind schrecklich“

Für die diesjährigen Spiele sieht sie ihren Soloauftritt für Österreich allerdings als eine Chance an, möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren. Die ist auch dringend nötig, da viele alltägliche Probleme für Kleinwüchsige nur durch ein breites Bewusstsein für ihre Situation lösbar sind. Der öffentliche Raum ist der größte Gegner. „Bankomaten sind schrecklich für uns“, berichtet Miriam aus ihrem Alltag. Verdrücken steht aufgrund der Höhe der Tasten auf der Tagesordnung. Auch muss die Minderheit eingeschränkte Privatsphäre hinnehmen, da sie den Bildschirm nicht mit ihrem Körper verdecken können. So stark der öffentliche Raum manchmal zu diskriminieren weiß, so selten passiert es, dass Miriam aktiv von Personen angefeindet wird. Angestarrt wird man jedoch oft, berichtet sie. „Ich bin aber ein sehr positiver Mensch, deswegen mache ich mir nicht viel daraus. Oft fällt es mir gar nicht mehr auf.“ Was ihr hingegen ein wahrer Dorn im Auge ist, sind Eltern, die es nicht verstehen, ihre erstaunten Kinder ordentlich aufzuklären. „Ich hätte kein Problem damit, wenn sie mich direkt fragen oder einfach versuchen ganz normal zu erklären: Das ist eine Knochenkrankheit. Es gibt große und kleine Menschen. Das reicht schon für die meisten Kinder. Deren Fragen ignorieren, tuscheln oder die Kinder wegziehen ist allerdings eine blöde Reaktion.“

So schnell werden sich die alltäglichen Probleme der Kleinwüchsigen allerdings nicht in Luft auflösen. Es ist noch ein weiter Weg, bis sie sich ohne gröbere Widerstände durch ihren Alltag manövrieren werden können. Bis dahin bleibt Miriam aber positiv und freut sich auf das Sporteln auf Augenhöhe in Kanada.

Ach ja, falls ihr es nicht wissen solltet: Denkt nicht mal daran, Kleinwüchsige als „Zwerg“ oder schlimmer noch als „Liliputaner“ zu bezeichnen. Zwerge gibt es in Erzählungen wie „Der Herr der Ringe“ und Liliputaner nur in dem Roman „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift.

PS: Wer Miriams Weg zu den „World Dwarf Games“ verfolgen möchte, ist gut beraten ein „Gefällt mir“ auf ihrem Facebook-Profil „Amazing Miriam“ zu hinterlassen. Dort wird sie regelmäßig Updates posten. Hier der Link dazu: https://www.facebook.com/amazing.miriam/

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