„Ihr seid verheiratet und fickt nicht miteinander? Nennt man das postmigrantisch?“

26. November 2015

Meine Liebe zum Theater ist, trotz intensivster Auseinandersetzung damit, eine ambivalente. Seit Jahren schon besuche ich Vorstellungen verschiedener Theaterhäuser - im Zuge von diversen Lehrveranstaltungen zu Analysezwecken, in meiner Freizeit zum Vergnügen.



Zu sehen bekomme ich dort österreichische und deutsche SchauspielerInnen, die in deutscher Hochsprache, österreichische und deutsche, manches Mal vielfältigere, meist vergangene Lebenswelten aus österreichischer und deutscher Sicht zeigen. Man bemüht sich hie und da um kulturelle Zurschaustellung, bindet hie und da eine/n SchauspielerIn die/der nicht dem mitteleuropäischen Typenbild entspricht in temporäre Projekte ein, et voilà: Man hat sich als Institution öffentlich pro multikulturelle Gesellschaft positioniert. An und für sich nicht verwerflich und möglicherweise interessant, um daraus Schlüsse auf die allgemeine, gesellschaftspolitische Lage einer Stadt oder eines Landes zu schließen.


Nach sechs Jahren der regelmäßigen Theaterbesuche ist daraus also weder eine richtige Leidenschaft geworden, noch habe ich es in all den Jahren geschafft, Mutter und Vater dazu zu bewegen, sich der Hochkultur hinzugeben. Warum dem so ist, habe ich am Ende meines Studiums gelernt, als ich im Zuge meiner Forschungsarbeit auf einen Text der Journalistin und ehemaligen Theaterwissenschaftlerin Mely Kiyak gestoßen bin. In diesem Text beschreibt sie einen Theaterabend mit ihrem Vater:


„Wir waren an einem Ort gelandet, der so dermaßen anders war, als wir, der so sehr auf die Bedürfnisse von anderen zugeschnitten war, dass ich beschloss mein Studium aufzugeben. [...]Das Stück thematisierte den Lebensüberdruss und die Unentschlossenheit von Leonce und das alles in einer romantischen Kulisse. Mein Vater war aber mit hunderten anderen Kollegen davon betroffen, dass seine Fabrik schloss, dass er keine Arbeit mehr finden würde und dass er mich nicht angemessen bei meinem Studium unterstützen könne. [...] Wozu an einen Ort gehen, an dem immer Leonce und Lena gespielt wird, rauf und runter, landauf, landab. [...] Meinen Vater findet man dort nicht. Nicht weil ihn Theater nicht interessiert, sondern weil ihn dieses Theater nicht interessiert.“


Der Titel dieses Artikels ist ein Zitat aus dem Stück „Gegen die Wand“. So, oder so ähnlich, äußert sich Asli Kislal in ihrer Rolle als Nebenbuhlerin von Zeynep Buyrac in der Wiederaufnahme der Inszenierung von Alexander Simon. Ich sah es Sonntag Abend im Werk-x und meine Gedanken kreisen nach wie vor um die Wirkung, die die Inszenierung auf mich selbst hatte. Den Stoff liefert die preisgekrönte, gleichnamige Filmvorlage des Hamburger Regisseurs Fatih Akin. Die Geschichte ist im Film wie im Stück dieselbe:

Ein desillusionierter, alkoholkranker Cahit versucht sich das Leben zu nehmen. Eine gleichermaßen frustrierte wie lebensfrohe Sibel, bestrebt, mit ihren Selbstmordversuchen dem konservativen Elternhaus zu entfliehen, drängt ihn zu einer Scheinehe. Diese befreit die beiden vorübergehend aus selbst auferlegten und äußeren Zwängen. Die sich anbahnende Liebe zwischen den beiden Figuren droht jedoch im Keim zu ersticken, als die Situation zwischen Cahit und Sibels Liebhaber eskaliert.


Auf der Bühne spielt die Türkin eine Türkin, die englisch spricht. Der Österreicher spielt einen Deutsch-Türken, der Kroate einen Türken und spricht dabei türkisch und kroatisch. Der Pole spielt einen Türken und spricht sowohl deutsch, polnisch als auch türkisch. Allesamt sprechen sie aber hauptsächlich deutsch. Wird türkisch gesprochen, verstehe ich nichts und verstehe trotzdem alles. Mittendrin stimmt Dennis Cubic das berühmte serbische Lied „Djurdjev Dan“ an, während Zeynep Buyrac die türkische Version davon singt. Ich kenne das Lied und wundere mich darüber, wie schön es auf Türkisch klingt.


Ich bin den gesamten Abend präsent und verfolge, was dort auf der Bühne passiert. Ich freue mich, weil ich mich selbst in der Geschichte, den SchauspielerInnen und der Vielsprachigkeit dort auf der Bühne wiederfinde. Und meinen Vater. Und ich wage zu behaupten, auch Kiyaks Vater irgendwo entdeckt zu haben.

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