#MeToo: Revolution oder Opferkult?

22. Januar 2018

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Quelle: pixabay (edit)

Kein anderer Hashtag hat das Jahr 2017 so sehr geprägt wie #MeToo. Ausgehend von Hollywood stürmte er weltweit durch alle sozialen Netzwerke. Frauen aus allen Schichten solidarisierten sich und fanden ihren gemeinsamen Nenner als Opfer. Auf der anderen Seite verfielen Männer in ein kollektives Schuldbewusstsein. Zu #MeToo bekannte man sich entweder absolut oder sagte besser nichts. Aber was meinen die kritischen Stimmen?

Die französische Schauspielerin Catherine Deneuve ist für die Unterzeichnung eines offenen Briefes scharf kritisiert worden, welcher Anfang Jänner in der französischen Tageszeitung Le Monde veröffentlicht wurde. In diesem Brief positioniert sich Deneuve gemeinsam mit 99 weiteren Frauen gegen einen neuen „Männerhass“, der durch die #MeToo-Bewegung entstanden sein soll.

Gleich zu Beginn des Manifests wird klargestellt: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber weder ist eine hartnäckige oder ungeschickte Anmache ein Delikt, noch die Galanterie eine machoide Aggression.“ In zahlreichen öffentlichen Repliken wurde den Französinnen unterstellt, dass sie unsolidarische Komplizen des Patriarchats seien, dass sie sexuelle Gewalt verharmlosen und keine Feministinnen seien.

Zementierung der Opferrolle statt Befreiung?

Die 74-jährige Deneuve weist die Vorwürfe zurück und steht weiterhin zu dem Brief. Schon der Titel „Wir verteidigen die Freiheit, lästig zu sein; unerlässlich für die sexuelle Freiheit“ polarisiert. Zumal er von vielen deutschsprachigen Medien falsch übersetzt wurde – das französische Verb „importuner“ wurde mit dem negativeren Begriff „belästigen“ übersetzt, obwohl er „lästig sein“ bedeutet. Catherine Millet, Chefredakteurin der Kunstzeitschrift Art Press und eine der Autorinnen des Briefes, erzählte der FAZ, dass der Titel des Briefes von der Le Monde geändert wurde. Ursprünglich hätte er harmloser „Für eine andere Stimme“ lauten sollen.

Deneuve entschuldigte sich später bei allen echten Opfern von sexueller Gewalt, die durch den Brief verletzt wurden – aber eben „nur bei denen“. Tatsächlich wird in den vielen Reaktionen auf den Brief unterschlagen, dass die Unterzeichnerinnen Deneuve & Co. die #MeToo-Bewegung dafür gutheißen, dass sie, ausgelöst von der Weinstein-Affäre, auf den Machtmissbrauch durch Männer in Arbeitsverhältnissen aufmerksam gemacht hat. Nur sei „nicht jede Frau, an der sich ein Mann in der U-Bahn gerieben hat, für immer ein Opfer.“

In sozialen Netzwerken teilen Frauen zahlreiche Zwischenfälle: von ungewollten Komplimenten, Grapschern bis hin zu schweren sexuellen Übergriffen wie Vergewaltigungen wird unter dem Hashtag #MeToo alles in einen Topf geworfen. Frauen sperren sich damit in ihrer Opferrolle ein, finden jene 100 Französinnen. In diesem Akt der medialen Selbstjustiz machen sie sich zu „Kindern mit dem Antlitz von Erwachsenen, die beschützt werden wollen“. Und das widerspricht jeglichen feministischen Bestrebungen.

Die Rechtswissenschaftlerin und Kriminologin Prof. Monika Frommel beschäftigt sich seit mehr als vierzig Jahren mit feministischer Rechtstheorie und meint im Zusammenhang mit #MeToo: „Wir leben in einer Gesellschaft, die mit dem Opfersein geradezu kokettiert und Solidarität immer nur über die Opferrolle einfordert. Rechtsstaatliche Bedenken verlieren an Bedeutung. Bei der Kampagne Auch ich habe abgetrieben in den 1970er Jahren haben prominente Frauen versucht, einen Straftatbestand (Anm.: den der Abtreibung) abzuschaffen oder zumindest zu ändern. Es ging um Freiheit, nicht um mehr Kontrolle. Jetzt macht man Kampagnen, um schneller und stärker zu bestrafen. So gesehen sind das rechte Bewegungen.“

„Seit wann ist Kunst eine Benimmschule?“

Ein weiterer Punkt, der im Brief angesprochen wird, ist eine sich unter dem Schirm eines vermeintlichen Feminismus ausbreitender Neopuritanismus; also einer neuen pseudomoralischen Prüderie und Spießigkeit in der Gesellschaft. Hier werde wegen nackter Tatsachen ein Akt von Egon Schiele zensiert, dort plädiere man für die Entfernung eines Gemäldes von Balthus, weil es angeblich eine Verharmlosung von Pädophilie sei. Michelangelo Antonionis Film Blow-Up wurde als „misogyn“ und „inakzeptabel“ abgestempelt. Man versuchte die Roman Polanski-Retrospektive in der Pariser Cinématèque zu boykottieren, weil der polnische Regisseur in den 70er Jahren die damals erst 13-jährige Samantha Geimer vergewaltigte. Die Autorinnen und Unterzeichnerinnen des Briefes fürchten eine Zensur in der Kunst, die durch eine falsche Nichttrennung von Künstler und ihrem Werk entsteht. Sie berufen sich auf den Philosophen Ruwen Ogien, der die „Freiheit zu beleidigen“ als einen unabdingbaren Teil des künstlerischen Schaffens verteidigt.

Die Philosophin und Schriftstellerin Thea Dorn sagte dazu im Deutschlandfunk Kultur: „Wenn wir jetzt anfangen, in der Kunst alle die, die salopp gesagt, Arschlöcher sind, herauszuschneiden, dann fürchte ich, dass es in unseren Bibliotheken, in unseren Museen, in den Kinos wahnsinnig leer wird. Seit wann ist Kunst eine Benimmschule?“

Die oben erwähnte Samantha Geimer erklärte erst kürzlich in einem TV-Interview, dass sie es satt habe, als Opfer von Roman Polanski für immer wiederkehrende Boykottierungen seiner Filme instrumentalisiert zu werden. Sie war es auch, die wollte, dass der Prozess gegen Polanski endlich eingestellt werden soll. Geimer möchte keine Entschädigung, sie habe ihm sogar schon lange verziehen. Er habe seine 42 Tage im Gefängnis verbracht und sei seit über 40 Jahren nicht mehr in den Staaten. Den Erfolg vergönne sie ihm nicht.

#MeToo – ein amerikanisches Phänomen?

Deneuve & Co. sind nicht die ersten, und sicher nicht die einzigen, die eine differenzierte Position zu #MeToo vertreten. In Österreich löste die Schauspielerin Nina Proll als wahrscheinlich erste heimische Prominente einen Shitstorm aus. In einem Facebook-Posting schrieb sie, dass sich die Anhängerinnen von #MeToo vor richtigen Opfern sexueller Gewalt schämen sollten, dafür, dass sie mit milden „Avancen“ von Männern „hausieren“ gehen. Proll sei in den zwanzig Jahren in der Branche noch nie sexuell belästigt worden. Überspitzt mündet das Posting in die Forderung, Sex doch „ganz abzuschaffen, um die Probleme los zu sein“. Da wären wir wieder beim amerikanischen Puritanismus, den auch die Französinnen um Deneuve schon meinten. Die 83-jährige Brigitte Bardot, die in den 60er Jahren zu den Sexsymbolen schlechthin gehörte, wirft den Schauspielerinnen (nicht den restlichen Frauen) in der #MeToo-Bewegung Scheinheiligkeit vor. Auch sie sagte, dass sie niemals sexuell belästigt worden sei – sie fand es sogar charmant, wenn Männer ihr sagten, dass sie einen „schönen kleinen Hintern“ hätte. Nach damaligen Begriffen harmlos – heute für viele ein verbaler Übergriff. Bardot unterzeichnete den Brief aus der Le Monde übrigens nicht. In einem Interview gab sie an „dass viele Schauspielerinnen auch von selbst Produzenten anmachen, um an Rollen zu kommen. Wenn es nicht klappt mit dem Engagement, meinen sie im Nachhinein dann, sie seien sexuell belästigt worden.“ Die beschuldigten Männer werden alle mit Sexualstraftätern gleichgesetzt, unabhängig davon, ob und was sie getan haben sollen.

Ausgehend von Hollywood-Schauspielerinnen verbreitete sich der Hashtag über den ganzen Globus – und wer sich dem Lauffeuer kritisch in den Weg stellte, verbrannte sich die Finger. Die kanadische Bestsellerautorin Margaret Atwood veröffentlichte einen Essay mit dem Titel „Am I a bad feminist?“, nachdem sie von Feministinnen kritisiert wurde, dafür, dass sie sich für den Schriftsteller Steven Galloway eingesetzt hat. Der 42-Jährige wurde von der University of British Columbia, an der er Professor für Creative Writing war, gefeuert, weil er von einer Studentin mit Anschuldigungen sexueller Nötigung belastet wurde. In dem Essay kritisierte Atwood den Fall als „witch trial“ (dt. „Hexenprozess“), bei dem Galloway als „guilty because accused“ (dt. „schuldig, weil angeklagt“) den Lehrstuhl aufgeben musste – ohne eine Chance zu bekommen haben, sich persönlich zu dem Fall zu äußern. Die Unschuldsvermutung, eine der wichtigsten Instrumente einer intakten Justiz, ist hier völlig verloren gegangen. Mit #MeToo und „#balancetonporc“ (dt. „Prangere dein Schwein an“) können Männer willkürlich an den social-media-Pranger gestellt werden. Von dort gibt es dann kein Entrinnen mehr.

Atwood beurteilte #MeToo als ein Zeugnis eines nicht funktionierenden Rechtssystems, in dem Opfer von sexueller Gewalt nicht gehört werden. Aber wenn der Rechtsstaat durch diese Formel medial ausmanövriert wird, bevor er seine Arbeit aufnehmen kann; wer oder was wird dann über schuldig oder nicht schuldig entscheiden? Die „Schwarmintelligenz“ von Twitter, Facebook & Co.? Die Schriftstellerin stellt in ihrem Essay fest: In Zeiten der Extreme, gewinnen Extreme. Die moderate Mitte wird im Kampf zwischen Befürwortern und Gegnern mundtot gemacht. Catherine Millet bestätigte dies im FAZ Interview: Bisher war man entweder dafür, oder man hielt seinen Mund. In dem offenen Brief der 100 Französinnen findet sich auch Atwoods Argument wieder, dass alle „Gegner“ – wobei ein Gegner auch schon ein kritischer Befürworter sein kann – von #MeToo als Verräter abgetan werden. Frauen führen einen Krieg auch unter sich. Was ist eine gute Feministin? Gibt es sogar schlechte Feministinnen? Atwood dazu: Menschen gibt es gute und schlechte, davon sind Frauen nicht ausgeschlossen. Es gibt auch Frauen, die berechnend sind und jemandem etwas Böses tun wollen, und gerade sind Männer stark in der Defensive, wenn es um Anschuldigungen sexueller Belästigung geht.

Feminismus in der Filterblase?

Das konservative Frauenbild vom Heimchen am Herd wurde in 60er Jahren durch die großen Sexsymbole wie z. B. Bardot und Deneuve aufgebrochen. Das Bild der erotischen, unabhängigen Frau war in dieser Zeit ein großer, feministischer Schritt nach vorne. Deneuve unterzeichnete im Jahr 1971 schon Simone de Beauvoirs „Manifest der 343 Schlampen“, das sich für das Recht auf Abtreibung stark gemacht hat. Für ihre kritische Haltung gegenüber #MeToo wurde sie brutal als alte, weiße Schachtel beschimpft, die vergangenen Zeiten nachtrauere. Was in Hollywood als Aufschrei gegen verkeilte Machtstrukturen begonnen hat, wurde in Europa, wie vieles aus den USA, unhinterfragt übernommen und hat sich längst verselbstständigt.

In meinen Augen ist #MeToo mehr Internettrend, als ernsthafte Kampagne für Opfer von Sexualdelikten gewesen. Er spielt mit einem ernsten Thema, ohne sich aber für die Folgen für die Opfer und Beschuldigten zu interessieren. Es gibt zahlreiche Reaktionen von wirklichen Traumaopfern, die Angstzustände und Panikattacken leiden, weil sie unvorbereitet mit Inhalten konfrontiert werden, von denen ihre Psyche stark belastet wird (sogenannte Trigger). Neben vielen Bagatellen wurden unter dem Hashtag auch viele strafrechtlich relevante Fälle im digitalen Raum abgestellt – ohne Beweise und ohne Konsequenzen sind sie nun einfach da und präsentieren sich einer gigantischen Öffentlichkeit. Eine Möglichkeit diese zu überprüfen und aufzuklären ist in #MeToo nicht enthalten. Jede Stimme, die einen Wunsch nach einem differenzierterem Umgang mit #MeToo äußerte, wurde von #MeToo-Anhängerinnen vehement angefeindet. In dieser Hinsicht hat die Sorge der 100 Französinnen und vieler anderer Beobachter, ein totalitäres Klima werde geschaffen, durchaus Berechtigung.

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