„Mit jeder Rückgabe erhalten die Betroffenen ein Stück Würde und Stolz zurück.“

26. Januar 2023

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Khadija von Zinnenburg Carroll, “Lyagbon’s Mirror, by Samson Ogiamien and Onyrikon" (Filmstill), 2021

Was wäre, wenn alle Museen jene Ausstellungsstücke, die im Zuge des Kolonialismus erworben wurden, an die ehemaligen Kolonien zurückgibt? Diese Frage beschäftigt Wissenschaftler:innen und Künstler:innen seit einigen Jahren intensiv. Von 26. bis 29. Jänner findet dazu im Belvedere 21 die kostenlose Veranstaltungsreihe „Das Museum entkolonialisieren“ statt.

Ausgehend den zwei Videoarbeiten „Fleshbacks“ (2021) und „The Letter“ (2019) der Künstlerin Belinda Kazeem-Kamiński soll auf das Thema Dekolonisierung von wissenschaftlicher und künstlerischer Seite eingegangen werden. Zu Gast ist unter anderem auch die prominente Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die am 28. Jänner um 16 Uhr einen Vortrag zum Thema „Afrikas Kampf um seine Kunst – wo stehen wir heute?“ halten wird.

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Belinda Kazeem-Kamiński, "The Letter" (Filmstill), 2019

Das Belvedere feiert heuer sein 300-jähriges Bestehen und nutzt diesen Anlass, die eigene Geschichte des Hauses kritisch zu beleuchten. „Wie hat Europa vor 300 Jahren ausgesehen? Das Belvedere ist auch Teil eines kolonialen Erbes, und die Geschichte des Bauherren und Kunstsammlers Prinz Eugen, der erfolgreich Kriege gegen das Osmanische Reich geführt hat, sollte auch auf Aspekte hin untersucht werden, die nicht nur positiv sind“, so Kuratorin Christiane Erharter. 

Die österreichisch-australische Künstlerin und Researcherin Khadija von Zinnenburg Carroll leitet das internationale Forschungsprojekt "Repatriates", dass um die Frage nach der Rückgabe von während der Kolonialzeit erworbenen Objekte kreist. Am 28. Jänner präsentiert sie um 13 Uhr das Projekt im Belvedere 21. Im Gespräch verrät sie, warum das Thema gerade jetzt so wichtig ist, warum sie sich in diesem Bereich engagiert und wie sie dabei empfindet, wenn sie eine Rückgabe begleitet.

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Khadija von Zinnenburg Carroll ist eine österreichisch-australische Künstlerin und Historikerin. ©Jacky Mittelman

BIBER: Seit einigen Jahren ist Dekolonisierung in Museen – also die kritische Aufarbeitung der Sammlungen und Rückgabeverfahren von Artefakten – ein großes Thema. Warum geschieht dies erst jetzt? Viele Artfakte befinden sich seit hunderten von Jahren in fremdem Besitz.

Khadija von Zinnenburg Carroll: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat im Jahr 2017 bei einem Vortrag an der Universität in Ouagadougou angekündigt, dass er eine große Rückgabe von Artefakten aus den französischen Museen in die Subsahara-Region plant. Damit wollte er besonders die junge Generation ansprechen – die Spannungen zwischen Frankreich und den ehemaligen Kolonien sind bis heute spürbar. Auch Frankreichs wirtschaftliche, neo-koloniale Interessen sind nicht unwesentlich dafür, auf Versöhnungskurs mit Ländern wie Burkina Faso zu gehen. Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Wissenschaftler Felwine Sarr haben einen Bericht über die Rückgabe afrikanischer Kulturgüter veröffentlicht, welcher die Debatte auch in Ländern wie Deutschland entfachte und einen großen Einfluss hatten.

Besonders in Belgien, Großbritannien oder den Niederlanden – die eine besonders große und grausame koloniale Vergangenheit haben – wird momentan viel aufgearbeitet und das Thema Raubkunst diskutiert. Welche Position nimmt Österreich ein?

Österreich hat, wie die Schweiz und andere europäische Länder, vom Kolonialismus profitiert. Die Sammlungen in den Museen sind im Kontext von Gewalt entstanden, und das Habsburger-Imperium hatte Kolonien. Österreich und Deutschland haben im Zuge von Expeditionen und anthropologischen Reisen sehr viel gesammelt, was momentan wissenschaftlich aufgearbeitet wird. Die Debatte ist hierzulande noch nicht ausgereift – wenn man die Kommentare auf Social Media liest, dann ist die Öffentlichkeit von Österreich oft extrem rassistisch gegen die Restitution von Kulturgütern.

Wie ist Ihr persönliches Interesse für die Dekolonisierung in Museen entstanden?

Ich bin in Australien aufgewachsen und habe sehr viel mit Indigenen über Themen wie Landrückgabe zusammengearbeitet. Während meiner Arbeit in kolonialen Archiven habe ich verstanden, welche Beziehung zwischen Objekten, Menschen und Orten haben können und wie das sogar vor Gericht als Evidenz verwendet werden kann, damit Zusammenführungen passieren können. Ich bin dem nachgegangen und hatte als Künstlerin eine Residency im Greenwich Museum, wo ich über zwei Jahre lang die Expedition von Captain Cooke aufgearbeitet habe. Ich habe einige Künstler:innen aus dem Pazifik nach London eingeladen und in den Museen geschaut, was es an Objekten gibt, die zurückgegeben werden könnten. Insgesamt wurden 23 Objekte aus London nach Neuseeland gebracht, was ich filmisch begleitete.

Was empfinden Sie, wenn Sie eine solche Rückführung begleiten?

Es ist eine sehr überwältigende Sache, das war damals wie ein Begräbnis. Anfangs dachte ich, dass es eine Feier oder ein Fest wird, wenn die Objekte ankommen. Politisch gesehen ist es ein klarer Sieg. Aber für die Betroffenen sind es keine Objekte, sondern ihre Vorfahren. Das British Museum brachte die Artefakte in sargähnlichen Kisten, es wurde geweint, gegessen und getanzt über Tage hinweg. Einerseits herrschte Trauer, andererseits entstanden auch neue Konflikte – bei den Betroffenen mitunter darüber, wer für welche Sache eigentlich sprechen darf. Es brachte also nicht ausschließlich Gutes, sondern auch eine gewisse horizontale Gewalt mit sich. Aber es steckt auch viel Erleichterung in diesem Prozess, wie in jedem Heilungsprozess eigentlich. Im Moment kann alles noch schmerzhaft sein, aber im Nachhinein hat man etwas bewegt. Mit der Rückgabe erhalten die Betroffenen ein Stück Würde und Stolz zurück. 

Alle Informationen zum Programm und Anmeldung findet ihr hier.

 

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