„Was willst du mit Philosophie bitte machen? Taxifahren?!"

21. Juni 2017

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Suzana Milic
Philosophie ist cool! (Foto: Suzana Milic)

Philosophiestudenten wie ich werden als Schmarotzer und faule Säcke abgestempelt, die zu 100 % gaga sind und nach dem Studium sowieso keinen Job finden. Begleitet mich auf meiner Leidensgeschichte über Vorurteile gegenüber angehenden PhilosophInnen.

„Warte mal, studierst du nicht Psychologie?“, werde ich von einem Bekannten zum gefühlten hundertsten Mal gefragt. „Nein, Philosophie“, antworte ich und selbst von da an hat er es einfach nicht raffen wollen. Dass er ein Einzelfall in meinem Bekanntenkreis ist, kann ich nicht behaupten. Wie bei all den anderen Malen fällt auch hier wieder die streitlustige Aussage: „Was willst damit bitte machen? Taxifahren!? Dafür brauchst nicht studieren gehen. Such dir was Gscheits! Willst ja mal Moneten scheißen, oder nicht? Sonst kannst gleich Sozialhilfe beantragen gehen.“ Ja klar, sehr logisch: Ich geh hackeln mit dem Ziel, ganz viel Kohle zu scheffeln und dann im Alter Geld zu haben, um schließlich mit dem Geldhaufen zu verrecken. Ein tolles Leben und das einzig Sinnvolle und Erstrebenswerte darin.

Eine zu große Träumerin

Dass ich ein schwieriges Zahlenverhältnis habe, wird mir bereits vor meinem ersten Schultag bewusst, als Papa versucht, mir das Schreiben von Zahlen beizubringen. Während mir Lesen und Schreiben schon in der ersten Klasse liegen, ist mir Mathe ziemlich schnuppe. Denn ganz inspiriert von Baywatch beschließe ich damals, wenn ich mal groß bin, Rettungsschwimmerin zu werden. Und wenn das nicht klappt, tut’s Plan B auch: Pilotin. Das bleiben aber dann doch leider nur Kindheitsträume. In der Volksschule wird mir, einer 7-Jährigen, von meiner Lehrerin gesagt, dass ich es zu nichts bringen werde, weil ich einfach ein komisches Kind bin. „Ihre Tochter trägt zu viel Phantasie in sich. Sie ist eine zu große Träumerin. Das ist nicht gut. Und zurückgeblieben ist sie auch“, sagt sie Mama und Papa beim Elternsprechtag. „Sie ist zu schüchtern, viel zu kreativ und lebt in ihrer eigenen Welt. Kreativität allein wird sie nicht im Leben weiterbringen. Sie sollten was dagegen tun“, erzählt sie. Anscheinend ist es etwas total Dummes, wenn man als Kind große Träume hat.

Goodbye Rauskotzen von Auswendiggelerntem, hallo Liebe zur Weisheit!

Als ich dann 14 Jahre alt war, stand ich – wie auch so viele andere – vor der Frage aller Fragen: Welche Schule soll’s denn jetzt werden? Wegen meiner Zahlenphobie ziehe ich dann doch lieber die HAK dem Gym vor, da ja "nur" BWL und so. Auch da habe ich mit vernichtenden Aussagen der Lehrer zu kämpfen: „Du hast weder eine Ahnung von Rechnungswesen oder Volkswirtschaft, noch bist du sprachlich begabt. Kannst deine eigene Muttersprache nicht, geschweige denn Deutsch oder Englisch. So wird aus dir nichts“. Nach der Matura versuche ich mich anfangs noch als Buchhalterin. Merke aber schnell, dass die Bearbeitung der laufenden Finanzbuchhaltung doch ziemlich „bljak“ (übers. igitt) ist und mich einfach nur runterzieht.

Kurz danach folgt die Spontanentscheidung: Ich will studieren, nur was? Was ich zu diesem Zeitpunkt weiß, ist, dass ich etwas machen will, das mir meine Profs, die sowieso nie an mich geglaubt haben, niemals zutrauen würden. Das Rauskotzen von auswendiggelernten BWL- und RW-Grundlagen war mir schon in der Schule zu doof. Und dann kam die Erleuchtung: Philosophie! Nichts spricht dagegen, zu lernen, wie man denkt und Weisheit anzustreben. Philosophische Themen sind mir während meiner HAK-Zeit auch nicht so unbekannt, da wir im Sprach- und Literaturunterricht mit leichten philosophischen Werken in Berührung kommen. Hier höre ich zum ersten Mal von Sokrates und verstehe, dass die Philosophie sehr lebendig ist und uns im Alltag ständig begleitet. Nicht nur in der Antike, auch im Jetzt sehen wir uns vor den hochaktuellen Fragen stehen: Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es ein Leben in vollkommener Glückseligkeit? Was bedeuten eigentlich Freundschaft und Liebe? Was ist der freie Wille? Von da an merke ich, dass mich philosophische Fragestellungen stark berühren und mein Interesse fürs Menschliche vertiefen. Außerdem lebe ich ja laut Anderen in meiner eigenen Welt und sinniere zu oft. Wieso mich dann nicht den Philosophen anschließen, denen ja oft der Vorwurf gemacht wird, nicht nur total gaga, sondern auch realitätsfern zu sein: „Die grübeln eh nur in der Ecke vor sich hin“.

Lasst das Klischeedenken mal bitte weg

Das größte Vorurteil ist ja, dass Philoabsolventen angeblich nur faule Säcke sind, die während des Studiums nicht viel leisten müssen. „Euch werden die guten Noten nur so zugeschmissen, viel müsst ihr dafür nicht tun“, ist so das gängigste Argument von Anti-Philosophen. Philo mit Fächern wie Mathe, Chemie, Jus oder Wirtschaftsinformatik zu messen, ist ein Äpfel-mit-Birnen-Vergleich. Während die einen viel experimentieren, sich mit Grafikprogrammen oder Differentialgleichungen rumschlagen müssen, sitzen Philostudenten Tag und Nacht vor ihren Büchern. Durch das Studium kommst du nicht, ohne dir jemals die philosophische Grundlektüre angeeignet zu haben. Denn die Grundlage, die du hier als Student mitbringen musst, ist, eine große Leidenschaft fürs Lesen. Auch der Hang auf anregende Weise verrückt zu sein, ist  nicht fehl am Platz. Denn wie einst Heinrich Heine schrieb: „Keiner ist so verrückt, dass er nicht einen noch Verrückteren findet, der ihn versteht.“ Ab und zu gibt’s dann auch wirklich schwerverdauliche Kost, so wie Kant oder den Nazi-Fan Heidegger. Ich kann euch aber beruhigen, dabei bleibt‘s nicht. Sehr interessant wird’s dann, wenn du dich beispielsweise mit medizin-ethischen Fragen auseinandersetzt: Welche Diagnose würde einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen? Was sind die Argumente für und gegen Sterbehilfe? Oder auch wenn du begreifst, dass der Tod kein Teil des Lebens und ein Nicht-Phänomen ist, weil man den ja nicht erlebt, das Sterben hingegen schon.

Wie Lois Lane nach Storys jagen

Philo = brotlose Kunst? Nope! Ohne jetzt zu übertreiben, aber wenn du dein Philostudium endlich in der Tasche hast – so wie ich – kannst du dich echt glücklich schätzen, da dir viele Wege in der Berufswelt offen stehen. Wenn du darauf aus bist, auf ein ganz spezifisches Berufsfeld vorbereitet zu werden, dann bist du hier definitiv deplatziert. Durchs Studium eignest du dir genau DIE Schlüsselqualifikationen an, die mittlerweile das A und O in fast jeder Stellenausschreibung sind: Generelle Kritik- und Argumentationsfähigkeit, lösungsorientiertes Denken, Kreativität und interkulturelle Kompetenz. Nicht alle Nachwuchsphilosophen reizt das Professorendasein an der Uni. Ich kenne zum Beispiel viele absolvierende PhilosophInnen, die mit der Unternehmensberatung glücklich sind. Andere hingegen haben ihren Traumberuf in der PR gefunden. Wenn du Lust hast, jüngeren Kids etwas Sinnvolles beizubringen, dann unterrichte Ethik und Philosophie an der Schule. Wen auch das nicht anspricht, kann sich als Verlagslektor versuchen, in kulturellen Institutionen oder bei Verbänden tätig sein, oder auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung starten, Coaching ist ja jetzt ziemlich in Mode.

Ich hab’s letztlich dann doch nicht übers Herz gebracht, alle Kindheitsträume über Bord zu werfen. Ich hatte noch was in petto: Eine zweite Lois Lane werden. Man kann’s also auch so wie ich machen und die Journalisten-Karriere in der mitscharf-Akademie bei biber starten. Tja, liebe ehemalige Lehrer und Bekannten, ich bin – wider euren Erwartungen – weder ein zurückgebliebener Mensch, der in totaler Isolation lebt, noch als Kassiererin beim McDonald‘s oder in der Taxilandschaft gelandet. Die Voreingenommenheit ganz wegzulassen, ist für einige meiner Vertrauten doch noch etwas schwierig. Erst neulich wieder wurde ich mit dem Vorurteil konfrontiert: „Journalist ist kein richtiger Job, schreiben kann eh jeder. Verdienst a nix!“ Passt Alter, lass uns in fünf Jahren nochmal drüber reden.

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