Wenn die Türen einer Uni gefesselt werden...
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Trotz COVID-Beschränkungen protestierten gestern Tausende StudentInnen in Istanbul. Sie wollen einen demokratisch gewählten Uni-Rektor und eine nicht-gefesselte Wissenschaft.
Letzte Woche bekam die prominente Boğaziçi-Universität in Istanbul einen neuen Rektor. Das Problem ist: niemand hat ihn gewählt. Der türkische Präsident Erdoğan hat ihn wegen seiner Nähe zur Regierungspartei AKP „bestellt“. Und das geht den Studierenden, dem Lehrpersonal und der ganzen Gesellschaft auf die Nerven. Mit ihren Protesten sagen sie, dass es genug ist. Genug mit dem Affentheater, genug mit der politischen Einflussnahme.
Seit Montag entfalten sich die Proteste. Alleine gestern schrien Tausende im asiatischen Zentrum der Stadt: „Üniversiteler bizimdir, bizim kalacak“ ("Unis gehören zu uns, werden zu uns gehören!") Dieser hoffnungsvolle Satz erinnert mich an die Gezi-Park-Proteste, um das umstrittene Bauprojekt zu verhindern. Das war Ende Mai 2013, als ich 16 Jahre alt war. Meine erste richtige Demo. Das ganze Land stand auf, weil jeder wusste: ein gefällter Baum heute bedeutet geschlachtete Menschlichkeit morgen.
Ich werde die Menschenmassen von damals nie vergessen. Ich dachte mir nur eines: "Okay, die schlechte Zeit für die Türkei ist vorbei, jetzt erobern wir unsere Freiheit und Hoffnungen zurück!". Leider blieb es nur bei meiner Hoffnung. Die Gewalt der Polizei, die steigende Anzahl an Toten und verletzte Augen wegen Tränengas führten wieder zur Stille. Aber eines weiß ich mit Sicherheit: der Geist der Gezi-Park-Proteste lebt immer noch. Ob die aktuellen Proteste in Istanbul eine neue solche Welle auslösen, kann ich nicht sagen. Die - angeblich - von der Polizei zur Versperrung der Uni-Tore angebrachten Ketten, sind aber bestimmt nicht stark genug, um den Freiheitswillen einer verdrängten Gesellschaft zu stoppen.
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