„Wenn wir tot sind, wird keiner mehr erfahren, was in Gaza passiert“

17. Oktober 2023

„Ich folge keiner Propaganda, ich zeige euch bloß, was wir hier vor Augen haben“ Kein Internet, kein Wasser, einschlagende Raketen – wie arbeitet man unter solchen Bedingungen? Die humanitäre Lage in Gaza wird immer katastrophaler. Journalist:innen vor Ort versuchen, die Welt am Laufenden zu halten – und arbeiten gerade unter Extrembedingungen.

„Hi everyone, this is Bisan from Gaza, I’m still alive” – so beginnt die palästinenische Journalistin Bisan seit über einer Woche ihre Videos. Auf Instagram teilt sie auf ihrem Profil wizard_bisan1 regelmäßig Updates rund um die katastrophale Lage am Gazastreifen, wo sie lebt und arbeitet. Die Situation im Gazastreifen wird für die Menschen vor Ort immer schlimmer: Es fehlt an Wasser, Lebensmitteln, die Krankenhäuser arbeiten mit Not-Strom-Generatoren, unter den zerbombten Häusern sucht man nach Überlebenden, fast ununterbrochen werden immer wieder neue Verletzte in die Notaufnahme gebracht, auf den Friedhöfen ist längst kein Platz mehr, die Leichen werden mittlerweile in Eiscreme-Lastern aufbewahrt. „Unser Equipment, unsere Handys, können wir momentan nur hier aufladen“, so Bisan. Im Netz kursieren momentan allerhand Propaganda-Nachrichten und Falschinformationen von beiden Seiten, die Journalist:innen vor Ort stehen unter Druck, diese aufzubrechen und einfach zu zeigen, was sie vor Augen haben.

Unmittelbar nach dem Großangriff der Hamas hatte Israels Regierung die in Vergangenheit sowieso schon unzureichende Versorgung des Gazastreifens gestoppt. Die Lieferung von Strom, Treibstoff, Lebensmitteln, Trinkwasser und anderen Gütern wurde von einem Tag auf den anderen eingestellt. Dafür gab es scharfe Kritik seitens UNO, Israel würde gegen humanitäres Völkerrecht verstoßen. Wie es gerade in Gaza aussieht, erfahren wir gerade vor allem durch Journalist:innen direkt vor Ort: Sie fungieren als Sprachrohr nach Außen und berichten gerade unter Extrembedingungen.

Komplett überlastete Krankenhäuser im Notbetrieb, Leichensäcke auf der Straße, die medizinische Versorgung steht vor dem Kollaps

Das Internet funktioniert nur spärlich, die Berichterstattung wird immer schwieriger: Als ausländischer Journalist in den Gazastreifen zu gelangen, ist ohnehin schon mit sehr vielen Auflagen und nur unter bestimmten Bedingungen möglich, momentan geht es gar nicht: Die Reporter:innen vor Ort sind fast ausschließlich selbst aus Gaza. Während sie ihrem Job nachgehen, haben sie selbst Angst um ihre Häuser, ihre Familien und um ihr Leben, einige von ihnen haben Familienmitglieder und Freunde verloren, ihre Häuser wurden zerbombt. „Es gibt keinen sicheren Ort hier, keinen einzigen“, erklärt Bisan in ihren Videos. Vor dem Krankenhaus Al-Shifa in Gaza haben sich die Journalist:innen, die vor Ort sind, eine Art zentralen Punkt aufgebaut: Sie laden ihr Equipment, sie filmen das Geschehen, schlafen teilweise auch vor dem Krankenhaus – es sei der einzige Ort, an dem „es gerade noch halbwegs geht, wir wissen aber auch nicht, wie lange. Wenn wir nicht mehr da sind, wird keiner mehr erfahren, was hier gerade passiert. Wir stehen unter enormen Druck aber wir wollen euch einfach das zeigen, was wir vor uns sehen. Und was wir sehen, ist eine Katastrophe.“ Auf den Videos zu sehen: Komplett überlastete Krankenhäuser im Notbetrieb, Leichensäcke auf der Straße, die medizinische Versorgung steht vor dem Kollaps – genügend Wasser gibt es schon lange nicht mehr. Immer wieder kommt es wegen dem ständigen Internet-Ausfall dazu, dass sich die Journalist:innen vor Ort nicht mehr gegenseitig erreichen können.

"Jeder Tag ist schlimmer als der davor, aber wir müssen der Welt einfach zeigen, was wir hier erleben“

Die Journalistin Plestia Alqad, die auf ihrem Instagram-Account byplestia aus Gaza berichtet, war die letzten drei Tage nicht erreichbar. „Weiß jemand, ob sie noch lebt? Hat sie wer erreicht? Bitte gib ein Lebenszeichen!“, las man immer wieder in den Kommentaren unter ihren neuesten Videos. Ihre Kollegin Hind Khoudary, ebenfalls vor Ort, postet zwei Tage später: „Ich habe gestern mit ihr telefoniert, sie lebt noch aber hat kein Internet“. Die Videos der Reporter:innen vor Ort werden immer unregelmäßiger, dafür liest man immer wieder Postings mit Informationen über den Zustand der Betroffenen:  „Hi, hier ist Yaras beste Freundin, mehr als 15 ihrer Familienmitglieder wurden getötet. Yara ist im Spital und ohnmächtig“, liest man am 15. Oktober auf dem Instagram-Account der Journalistin Yara, die unter dem Account eid_yara bis dahin ebenfalls Updates gepostet hat. Yaras Situation ist mit Stand 17. Oktober unklar. Auch Fake-Kontos mit Aufrufen zu Spenden gibt es schon zuhauf: „Es kursieren gerade viele Fake-Accounts unter meinem Namen, die zu Spenden aufrufen. Bitte geht nicht darauf ein, ich frage niemanden um Geld, das hier ist mein einziger richtiger Account.“, erklärt Motaz Azazia. „Ich bin freischaffender Fotograf, ich folge keiner Propaganda, ich zeige euch nur das, was ich hier vor Augen habe“. Auf seinem Instagram-Account motaz_azazia postet auch er regelmäßig Updates und berichtet über die verheerende Situation vor Ort.„Jeder Tag ist schlimmer als der davor, aber wir müssen der Welt einfach zeigen, was wir hier erleben“, sagt Bisan in einem ihrer neuesten Videos.

Am 7. Oktober hat die radikalislamistische Hamas einen Großangriff auf Israel gestartet. Israelischen Militärangaben zufolge liegt die Zahl der von der Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln bei insgesamt 199, einige dürften nicht mehr am Leben sein, die Zahlen variieren allerdings. Auf israelischer Seite gibt es nach den Angriffen der Hamas mit Raketen und Kämpfern laut Angaben der Armee mehr als 1.300 Tote. Im Gazastreifen wurden seit Beginn der israelischen Gegenschläge mehr als 2.300 Menschen getötet.

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Kommentare

 

Nach der Operation in Gaza kann Israel seine Soldaten nach Europa senden. Dann würde wenigstens jemand hier für Sicherheit vor den aggressiven Muslimen sorgen.

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