Zagreber Familienepos in vier Generationen: „Drei Winter“ im Burgtheater

22. Mai 2023

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Drei Winter / Burgtheater Daniel Jesch, Zeynep Buyraç © Matthias Horn

In mehr als drei Stunden entfaltet sich im Stück „Drei Winter“ der kroatischen Dramatikerin Tena Štivičić im Burgtheater ein gewaltiges Familienepos, das von generationenübergreifendem (Kriegs-)Trauma, multiplen Systemwechseln und Nationalismus geprägt ist. Schauplatz ist unter der Regie von Martin Kušej eine Zagreber Wohnung in den Jahren 1945, nach dem Sieg der Partisanen über die Faschisten, 1990 nach dem Zerfall Jugoslawiens und 2011, kurz vor dem EU-Beitritt.

Das Drama beginnt mit der jungen Partisanin Ruza (Nina Siewert), die mit ihrer Mutter Monika (Sylvie Rohrer) und ihrem versehrten Mann Aleksandar (Tilman Tuppy), sowie Baby Mascha in die Wohnung einzieht, die gerade Aristokraten entzogen, verstaatlicht und neuverteilt wurde. Imposant ist das Bühnenbild von Annette Murschetz, bei dem der Scherbenhaufen in der Wohnung – der sich nicht nur figurativ auf die Handlung bezieht – zur Geltung kommt. 1990 ist Mascha (Regina Fritsch) selbst Mutter von zwei Töchtern, der älteren, traditionskonformen Lucija (Andrea Wenzl) und der jüngeren, rebellischen Alisa (ebenfalls gespielt von Nina Siewert). Maschas Schwester Dunja (Zeynep Buyrać) sorgt als exzentrische Tante einerseits für Lacher, andererseits steht sie in der Ehe mit ihrem vom Nationalismus zerfressenen Ehemann Karlo (Daniel Jesch) für eine durchaus tragische, weil wiedererkennbare, Frauenfigur. 

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Drei Winter / Burgtheater Tilman Tuppy, Nina Siewert © Matthias Horn

„Drei Winter“ zeigt die Auswirkungen von Krieg und Trauma nahe an den Protagonisten selbst, ohne sich in konkreten kriegerischen Szenen zu verlieren. Im Hinblick auf die aktuellen politischen Entwicklungen in den ehemaligen Ländern Jugoslawiens ein Volltreffer – wurde das Stück bereits 2017 als Gastspiel des kroatischen Nationaltheaters im Wiener Volkstheater aufgeführt. Nationale Identitäten, ideologische Identifikationen, oder Nicht-Identifikationen schwingen in den Dialogen der Familienmitglieder fein mit – dabei rückt unweigerlich auch der aktuelle Krieg in der Ukraine in den Blickpunkt. Bilder von zerstörten Häusern in der Ukraine verschmelzen mit Aufnahmen aus zerstörten Ortschaften im Jugoslawienkrieg auf der Kulisse in Form von Projektionen – dann noch zielbewusst Putin und Selenskyi gleich zu Beginn zu zeigen, wirkte vergleichsweise ein wenig plump. Sei’s drum: „Drei Winter“ ist hochwertig inszeniert, ergreifend und hat es verdient, gesehen zu werden.

Weitere Informationen und die nächsten Spieltermine gibt es hier.

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