Arbeite mit deinem Kopf, nicht mit deinem Körper

13. September 2019

Kommentar von Semsa Salioski 


„Was studierst du nochmal?“, fragt mein Vater mich, während ich im Wohnzimmer an meiner Magisterarbeit schreibe. „Willst du mich verarschen, Papa?“, frage ich lachend zurück. „Irgendwas mit Journalismus, oder?“, sagt er dann. Fast, Publizistik und Kommunikationswissenschaft, aber was soll's. Ich grinse und sage „Genau, irgendwas mit Journalismus.“ und schreibe weiter. Man muss solche Situationen als Arbeiterkind mit Humor nehmen können. 

FERNSEHEN STATT BÜCHER, PARKS STATT MUSEEN
Für meine Eltern war studieren nie eine Option. Meine Mutter kam als Gastarbeiterkind nach Wien und hat direkt nach ihrem Pflichtschulabschluss im Einzelhandel gearbeitet, um ihre Eltern finanziell zu unterstützen. Ihr Alltag bestand daraus Kisten zu schleppen, Kunden zu bedienen und stundenlang auf den Beinen zu stehen. Auch mein Vater kennt nur körperliche Arbeit. Als Kind sind mir stets seine kohlschwarzen Hände aufgefallen. Als Reifenmonteur musste er beim Händewaschen immer so fest schrubben, bis sie schließlich rot waren. „Arbeite später bitte mit deinem Kopf, und nicht mit deinem Körper.“, sagte er damals zu mir. Ich wusste lange nicht, wie ich diesen Ratschlag umsetzen sollte. Ich kann mich gut daran erinnern, dass ich im Volksschulalter davon überzeugt war, als Erwachsene im „H&M“ arbeiten zu müssen, während meine Sitznachbarin darüber gesprochen hat, dass sie später Ärztin wird. Kein Wunder, sie war ein Akademikerkind. Bei ihr zuhause habe ich über die riesigen Bücherregale, das große weiße Klavier und die Urlaubsfotos von der Südafrika-Reise gestaunt. Mit ihren Eltern war sie ständig auf Kulturveranstaltungen oder in Museen unterwegs. In meinem Umfeld sah der Alltag anders aus: Mehr Fernsehen statt Bücher, Parks statt Museen, und Urlaube im Heimatland der Eltern statt Südafrika-Trips. 

Genug Para hat eben einen starken Einfluss darauf, wie man das Leben gestalten kann. Auf meinem Gymnasium im 20. habe ich diese sogenannten „sozialen Klassen- unterschiede“ jedoch nicht gespürt, meine Klassenkameraden waren großteils ebenso Arbeiterkinder mit Migrationshintergrund. 

ARBEITE MIT DEM KOPF, NICHT MIT DEM KÖRPER
Im ersten Uni-Semester folgte dann das böse Erwachen. Als erste Generation an der Uni bin ich anfangs vollkommen planlos in diesem riesigen Labyrinth herumgeirrt. So viele Fremdwörter und seltsame Bandwurmsätze. Bald kam das Gefühl auf, dass man als Arbeiterkind riesige Bildungslücken in den Bereichen Kultur, Geschichte oder Politik hat. In der Schule kann man eben nicht alles lernen und was man im Elternhaus nicht beigebracht bekommt, muss später im Alleingang aufgeholt wer- den. Ich bin sogar so weit gegangen, dass ich in meiner Freizeit 500-Seiten Wälzer zum Thema Allgemeinbildung gelesen habe, um sicherzustellen, dass jede auch noch so kleine Lücke gefüllt wird. Die zahlreichen Doku-Marathons haben bei diesem Prozess auch geholfen. Nach einiger Zeit gewöhnt man sich schließlich an diese neue Welt und das Selbstvertrauen wächst. Mit 18 stand ich vor der Hauptuni und dachte „Naja, ich probier's mal…“. Heute, mit 25, stehe ich kurz vor meinem Magisterabschluss, fange im Herbst sogar das nächste Masterstudium an und freue mich darauf. Der Start gestaltet sich vielleicht schwieriger als bei Akademiker-Kindern. Es bringt jedoch nichts sich als Kind aus der Arbeiterschicht selbst in die Opferrolle zu drängen. Man muss lernen mit den Karten zu spielen, die man vom Leben bekommt. Damit man dann wirklich mit dem Kopf arbeiten kann, anstatt mit dem Körper. 

Semsa Salioski ist 25 Jahre alt, hat mazedonische Wurzeln und macht gerade ihren Magister in Publizistik fertig. 

redaktion@dasbiber.at

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