Böse Bettler, böse Polizisten

22. September 2014

Die Polizei hat immer weniger Geduld mit Bettlern aus dem Osten. Seltsame Geschichten über Aussetzungen der Bettler am Stadtrand und die Vernichtung von Ausweisen machen die Runde. Doch die Bettler leiden nicht nur und sind verzweifelt, einige haben sogar Verständnis: „Wir sind einfach zu viele.“

von Aleksandra Kozbunarova


Montagvormittag: Während der Rotphase der Ampel in der Nähe von Schönbrunn schleppt sich Hristo* zwischen den Autos hindurch. Er klopft an Fensterscheiben, schüttelt seine Schale und bittet um Geld - manchmal sogar auf Italienisch. Kurz darauf wird er von einem zivilen Polizisten zum x-ten Mal festgehalten und verschwindet in einem schwarzen Wagen.


Für die letzten drei Monate wurden ihm Strafen im Wert von mehr als 2.000 Euro wegen aufdringlichen Bettelns verhängt. „Man darf auf der ganzen Welt betteln, ich darf um mein Geld bitten.“, ist Hristo fest überzeugt. Teilweise stimmt seine Information. In Wien darf man zwar betteln, aber still und leise: Das bedeutet nicht singend, nicht Passanten ansprechend und auf keinen Fall auf der Straße laufend. Das Letzte ist sogar ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsverordnung. Da er seine Strafen nicht bezahlen kann, hat er neulich mehrere Stunden in unterschiedlichen Polizeistationen verbracht: ein Tag ist gleich 100 Euro. Wie oft Hristo schon festgenommen wurde, kann er sich nicht erinnern. „Ich kann nicht mehr ruhig arbeiten“ seufzt er und erzählt warum.


Anfang Sommer „arbeitete“ er in Favoriten, in der Nähe vom Reumannplatz. Hristo lief am Nachmittag zwischen 14 und 15 Uhr  auf der Straße und tat das Übliche. Ein Polizeiauto, in dem zwei junge Polizisten und eine Polizistin saßen, stoppte ihn. Der Eine stieg aus, ging zu Hristo und bat ihn, in das Auto einzusteigen. Gemeinsam fuhren die Polizisten und Hristo ab, ein Polizist kam nicht mit. "Zuerst fuhren sie links, wo die Station von 65A ist und nach 200 Metern bogen sie nach rechts. Dann sind wir nur gerade aus gefahren. Es war sehr weit, vielleicht zehn Kilometer." Ob das tatsächlich zehn Kilometer waren, ist unklar, letzten Endes kennt sich der Mann in Wien nicht aus. Der Wagen stoppte und alle drei stiegen aus. Die Polizisten nahmen Hristos Ausweis zur Kontrolle. Dann wurde er nach Geld durchgesucht. Nachdem kein Geld gefunden wurde, wurden ihm die Schuhe „ausgezogen und aufgerissen“. Das Handy vom Bettler wurde weggenommen, die SIM-Karte gebrochen und die Batterie weggeschmissen, erinnert er sich.


Dann nahm man Hristos Ausweis, brach ihn in drei Stücke und gab ihn ihm wieder zurück. Die Polizisten stiegen wieder ins Auto ein. „Sie haben mir mit den Händen gezeigt, ich soll jetzt hier die Bäume um Geld bitten.“, sagt Hristo. Der Polizeiwagen fuhr weg und Hristo blieb dort zurück. "Es war sehr weit und sah wie Wald aus, auf der einen Seite gab es so etwas wie einen kleinen Fluss.“ Den Weg zum Westbahnhof - einer der wenigen Orten, die Hristo kennt, sollte er alleine finden. Zurück am Westbahnhof wurde er von seinem Bekannten und inoffiziellem Chef, Rasho*, „gefunden“. „Er lief barfuß, ich dachte er spinnt.“, erinnert sich Rasho. Er und seine Ehefrau haben alle Strafzettel von Hristo bei sich, schicken ihn hin und her, bringen ihm Essen und streiten manchmal mit den anderen Bettlern um Hristos genauen Arbeitsort. Was sie genau für ihre Leistung von ihm erwarten, wollte niemand verraten.


In die Sackgasse geführt


Das Landes-Sicherheitsgesetz gibt der Polizei das Recht, bei Bettlern gefundenes „Geld und geldwerte Sachen“ abzunehmen, wenn diese durch aufdringliches Betteln erworben worden sind. Und das ist Hristos Fall ganz bestimmt. Eine Aussetzung am Stadtrand oder in für die Personen unbekannten Gegenden ist aber nicht vorgesehen. Bestimmte Vorgaben bezüglich des Umganges mit Bettlern hat die Polizei nicht. „Die Regeln sind ganz allgemein, wie man mit Menschen umzugehen hat: gesetzkonform. Diese gelten für alle Personen.“, erklärt Oberst Johann Golob, Pressesprecher der Wiener Landespolizei.


Die Schuhe und das Handy waren Hristo nicht so wichtig. Sein Ausweis aber ist das Einzige, das seine Identität belegt. Rasho klebte für ihn die drei Stücke wieder zusammen und machte dazu eine laminierte Kopie für alle Fälle. Und die nächsten zwei Monate hatte Hristo keine derartigen Probleme. Bis zum 16. August, als er die Autofahrer wieder auf der Straße ärgere, dieses Mal in der Nähe vom Westbahnhof. Als er den Polizeiwagen sah, versuchte er zu fliehen, wurde aber auf der Wiese festgehalten. Die Polizisten forderten ihn auf, sich auszuweisen. Da zeigte er seinen Ausweis und die eine Kopie, die er dabei hatte. Die Kopie wurde abgenommen und das Original klein zerrieben. Die Reste wurden ihm zusammen mit seiner Bettelschale weggenommen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Diese Ampel hat mich meine Identität gekostet“ sagt er und deutet mit seiner gesunden Hand auf die Kreuzung nebenan. „Was soll ich jetzt machen? Ich bin jetzt ein Niemand.“ Das Einzige, das seine Existenz dokumentiert, ist ein Stapel Strafzettel. Hristo, wie viele andere Bettler aus Osteuropa, ist in Wien nicht angemeldet und schläft in einem der Massenquartiere, wo die Nacht sechs Euro kostet. Er verfügt weder über Reisepass noch über Geburtsurkunde. Er hat einfach nichts. Und um einen neuen Ausweis bei der bulgarischen Botschaft beantragen zu können, braucht er einen Meldezettel, eine Geburtsurkunde und eine Polizeianzeige. Insbesondere das Letzte schließt den Teufelskreis.


„Für solche Leute können wir einfach nichts machen. Am besten holen sie sich die Geburtsurkunde von Bulgarien, dann können wir einen vorübergehenden Pass erstellen. Danach sollten sie nach Bulgarien zurück, die Polizei duldet diese Frechheit nicht mehr.“, lautet die Erklärung der Botschaft. Dass die Polizei die Situation wirklich nicht mehr duldet, zeigen zwei sehr ähnliche Geschichten von anderen Bettlern, die rund um den Westbahnhof ihre Schalen ausstrecken.

 

„Solche Vorfälle mit der Polizeit gab es früher nicht. Das Ganze hat vor zwei, drei Monaten angefangen.“ erzählt Adzha*, dessen Ausweis nur auf dem oberen rechten Teil gebrochen wurde. „Wir sind einfach zu viele“, meint Dancho*, der bisher nur Zeuge solcher Situationen war. "ich verstehe die Polizei irgendwie."


Mittlerweile wurde die Polizei mit den Aussagen aller Betroffenen konfrontiert. „So etwas kann ich mir nicht vorstellen. Die Bettelei ist momentan ein Topthema und alle Beamten sind deswegen sehr sensibel.“, antwortete man mir lachend, als ich beim Journaldienst des Bundeskriminalamtes anrief. Als ich damals von Pressestelle zu Pressestelle verbunden wurde, konnte ich mir gar nicht denken, dass ich einen Monat später als Zeuge im „Ermittlungsverfahren gegen einen unbekannten Täter“ landen werde. Ein ausführliches Protokoll der Erzählungen haben einige Pressesprecher zugeschickt bekommen. Jetzt liegt der Fall im Referat "Besondere Ermittlungen" der Landespolizeidirektion Wien, wo die Wahrhaftigkeit der Angaben überprüft wird. „Wir müssen zuerst diese Mutmaßungen durch alle Möglichkeiten überprüfen. Wie lange das dauert, kann ich nicht sagen“, meint Oberst Golob.

 

Die Übersetzung dieser Aussage erfahre ich während meiner Vernehmung als Zeuge in der Landespolizeidirektion am Schottenring. Das bedeutet nämlich, wenn ich die Namen meiner „Informanten“ nicht bekannt geben würde, würde die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einstellen. Am selben Montagabend nach der Freisetzung bettelt Hristo brav.  Er sitzt auf dem Boden am Anfang der Inneren Mariahilfer Straße mit einem Kaffeebecher vor sich und raucht stumm. „Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen und lügen, dass ich meinen Ausweis verloren habe. Dann geben sie mir diese Anzeige und ich hole mir einen neuen Pass!“, sagt er ein bisschen aufgemuntert.  
 

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