Der Cop und der Tschetschene

07. Februar 2023

Über 2,5 Millionen Klicks haben die beiden mittlerweile auf TikTok: Der Cop Uwe und der Tschetschene Ahmad beantworten Fragen rund um Strafen, Cannabisgebrauch, Motorradtuning und Polizeigewalt: Alles, was Jugendliche in Wien und Umgebung eben so beschäftigt. Aber wie sieht es ‚Behind the scenes‘ aus? Wie kam dieses Duo zustande, wie sieht die Dynamik zwischen den beiden aus, wie ist die Resonanz im jeweiligen Umfeld und wieso kommen die Videos so gut an?

Von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

 

Foto: Zoe Opratko
Uwe (l.) und Ahmad (r.) Foto: Zoe Opratko

„Ab wann geht man maya mit Cannabis?“, möchte der User „alex“ wissen. „Salam Aleikum, darf die Polizei einfach dein Handy wegnehmen und dich zwingen, es zu entsperren?“, beschäftigt User „ichkeria.“ Alles Fragen, die die Jugendlichen einem Polizisten von Angesicht zu Angesicht wohl nicht stellen würden – auch weil sie erst gar nicht die Möglichkeit dazu hätten. Deshalb fragt Ahmad für sie: Ahmad ist 23 Jahre alt, Jugendarbeiter und tschetschenischer Aktivist mit bis dato negativen Erfahrungen mit der Polizei. Er steht gemeinsam mit dem 59-jährigen Polizisten Uwe in der Wiener Milleniumcity und liest vom Handy laut die Fragen der Jugendlichen vor, die Uwe dann beantwortet.  Ahmad im Hoodie, Grätzlpolizist Uwe in Polizeiuniform – beiden ist es wichtig, nicht verstellt rüberzukommen. Sie stehen hier aus Überzeugung. Wusstet ihr, dass es für „Beamtenbeleidigung“ in Österreich gar kein Delikt gibt? Oder dass für Cannabis keine Toleranzmengen existieren, wie oft behauptet wird? Das Format „Der Cop und der Tschetschene“ erfreut sich auf TikTok gerade bei Jugendlichen großer Beliebtheit – Ahmad und Uwe bekommen täglich Fragen gestellt, ihre Videos wurden über 2,5 Millionen Mal geklickt. Die häufigsten Fragen werden in folgende Richtung gestellt: „Was passiert, wenn ich dies oder jenes mache? Was darf ich? Was darf die Polizei?“ Die Antworten darauf hätte Ahmad selbst gerne in seiner Jugend bekommen. Ahmad hatte in seiner Jugend Probleme mit dem Gesetz, saß sogar eine Zeit lang im Gefängnis - daraus macht er kein Geheimnis. „Ich hatte in meiner Vergangenheit ein paar Probleme mit der Polizei – oder die Polizei mit mir, das weiß ich nicht – aber es ist für mich einfacher geworden, einige Sachen zu verstehen, seitdem ich Uwe kennengelernt habe,“ beginnt Ahmad das erste Video auf seinem Kanal. „Wir beantworten eure Fragen zum Thema Polizei – stellt uns die Fragen in die Kommentare“, ergänzt Uwe. Sie versuchen, das ungleiche Machtverhältnis zumindest auf dieser Ebene zu brechen: durch TikTok. 

„Ahmad, wie viel bezahlen sie dir? Bist du jetzt ein Bullenfreund?“

Die Themen, die die Jugendlichen beschäftigten, sind breit gefächert, man liest etwa Fragen wie: „Warum kontrolliert ihr immer die Jugendlichen?“, „Was für eine Strafe kriege ich, wenn ich Gokart auf der Autobahn fahre?“, „Wie lange bleibt man im Knast, wenn man mit 15 bei einem Raubüberfall dabei war?“, „Wird meine Strafe höher, wenn ich von der Polizei weglaufe?“, „Darf ich unter meinem Niqab eine Maske tragen?“ 
All diese Fragen stellt Ahmad, und Uwe beantwortet sie ausführlich. Er trifft sich einmal die Woche mit Ahmad, in einem Café in einem Wiener Gemeindebau im 20. Bezirk - das Lokal ist irgendwie so zu ihrem Treffpunkt geworden - und sie besprechen, wie die Resonanz auf die letzten Videos war, welche Fragen sie beantworten werden, wie die Gesetzeslage zu einzelnen Fragen ist und wie man am besten auf einzelne Themengebiete eingeht. Unterstützt werden sie dabei von Sozialarbeiter Fabian Reicher und Dominik Grabner, Social-Media-Manager der Wiener Polizei. Die Entstehungsgeschichte des Formats ist doch eher untypisch: Aus einem ursprünglichen Streitgespräch zwischen Uwe und Ahmad heraus beschlossen sie, gemeinsame Sache zu machen.

Hier könnt ihr die Videos von Uwe&Ahmad sehen 

 

Ziemlich beste Feinde

„Das ist doch safe gespielt, wie viel bezahlen sie dir, Ahmad?“ – so lautet schon einer der ersten Kommentare unter dem Video. Das wollen wir auch gleich zu Beginn wissen. „Die bezahlen mir gar nichts“, stellt Ahmad gleich am Anfang klar, als wir uns zum Interview in ihrem Stammlokal in Brigittenau treffen. „Ich mag die Polizei genauso wenig wie vorher. Ich bin immer noch kein Bullen-Freund, damit das klar ist“, das ist ihm wichtig. „Wenn ich die Polizei von 1-10 bewerten müsste, würde ich ihnen eine minus 4000 geben. Aber ich kann die Polizei als Struktur kritisieren, aber einzelne Menschen mögen, oder?“ So wie Uwe, der mit ihm am Tisch sitzt. Mit ihm versteht er sich gut. Ihre Kennenlerngeschichte war aber etwas holprig, um es milde auszudrücken. Im Rahmen der Initiative „Gemeinsam Sicher mit unserer Polizei veranstaltete die Polizei im Sommer mit Mitgliedern des Rates für Tschetschenen und Inguschen in Wien einen Workshop im Amtshaus Brigittenau. Das Treffen war als Pilotprojekt von Projektleiter Oberst Johann Golob und seinen Kolleg:innen initiiiert und die Initiative als proaktive Zusammenarbeit mit der tschetschenischen Community erdacht.

Das Ziel war es, gemeinsam Ideen zu sammeln und über Integration und Zusammenarbeit zu sprechen. Ahmad war auch vor Ort. Als er hörte, dass die Erwachsenen davon sprachen, ein Werbe-Video für Facebook aufzunehmen und gemeinsame Schach-Turniere mit tschetschenischen Jugendlichen zu planen, musste er laut lachen, wie er selbst sagt. „Ich habe dann ehrlich gefragt: Wen erreicht ihr so? Schaut’s euch mal an, uns erreicht ihr so sicher nicht.“ Außerdem nervte es ihn, dass immer nur die Erwachsenen miteinander sprachen, und die Jugendlichen „die Schnauze halten mussten.“ Dabei sind sie es, um die es hier vorrangig geht. Ahmad schlug dann vor, doch ein Treffen mit Polizist:innen und tschetschenischen Jugendlichen im Park zu vereinbaren, um dort Videos zu drehen, auf denen man sich miteinander austauscht. Die anwesenden Jugendlichen hielten das für eine sehr gute Idee – der Rest, also die Erwachsenen, reagierten eher zögerlich. Doch dann kam Ahmad mit Uwe ins Gespräch. „Ihr Polizisten in Österreich habt doch eh nix zu tun, außer irgendwelche Kaugummidiebe aufzuhalten - und trotzdem reagiert ihr aggressiv auf Jugendliche“, warf er ihm vor. „In Deutschland oder Frankreich geht die Polizei viel sensibler auf junge Menschen zu, obwohl es dort wirklich Ghettos und arge Probleme gibt“, so Ahmad. „Glaubst du wirklich, dass wir so drauf sind?“, wehrte sich Uwe.

Screenshot: TikTok/a_mtv
Screenshot: TikTok/a_mtv

 

„Du Orschgesicht, das Recht bin ich!“

Ahmads Einstellung kommt nicht von Ungefähr: Seitdem er begonnen hat, alleine rauszugehen, wurde er immer wieder von Polizist:innen kontrolliert. „Du bist Tschetschene und hast keine Vorstrafen?“, hieß es seitens eines Beamten bei einer Polizeikontrolle, als Ahmad 14 war. Der Umgangston, die Beschimpfungen und die Art, wie mit ihm umgegangen wurde, prägten sich bei Ahmad negativ ein. Er informierte sich darüber, was die Beamten dürfen und was nicht. Als er einen Polizisten damit konfrontierte, dass er seine Rechte kenne, wurde ihm „Du Orschgesicht, das Recht bin ich!“ geantwortet. „Wenn du solche Erfahrungen machst, kriegst du dann natürlich jedes Mal Eierflattern, wenn du Polizisten siehst“, so Ahmad. Er versteht deshalb auch, warum vor allem Jugendliche mit Migrationshintergund kein gutes Verhältnis zur Polizei haben. Was Uwe zu solchen Vorfällen sagt? Er selbst würde nie so mit jemandem sprechen, wie er sagt – betont aber, dass es wichtig ist, dass von beiden Seiten respektvoll miteinander kommuniziert wird. „Wenn mein Gegenüber normal reagiert, reagiere ich auch normal, ganz einfach. Ich bin aber auch schon älter, seit 40 Jahren im Dienst, da gehst du allgemein entspannter mit allem um.“ Allen Beteiligten des Projekts ist es aber wichtig, Authentizität zu bewahren, was sich auch in den Videos zeigt: „Wenn Polizisten einen Zivilisten beleidigen, gibt’s eine Richtlinienbeschwerde“, klärt Uwe auf. „Und die wird dann eingestellt“, entgegnet Ahmad schmunzelnd. „Nein, die wird nicht eingestellt, die wird verfolgt, und wurde schon sehr oft bestraft“, antwortet Uwe geduldig.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Was sagt die Polizei? 

„In Wien geraten vor allem marginalisierte Jugendliche sehr oft in Polizeikontrollen und werden dabei oft ziemlich schlecht behandelt. Wenn sie ihre Pflichten, vor allem aber auch ihre Rechte im Umgang mit solchen Situationen kennen, fällt es ihnen vielleicht leichter, sich nicht so leicht provoziert zu fühlen, aber sich auch nicht erniedrigen zu lassen. Denn davon hat im Endeffekt niemand was!“, fügt der Sozialarbeiter der Beratungsstelle Extremismus, Fabian Reicher, an. „Ein erfahrener Polizist und ein junger Tschetschene zeigen uns, wie es gehen kann. Nämlich mit gegenseitigem Interesse und Wertschätzung“, resümiert Oberst Johann Golob. „Dies ist für uns als Polizei eine neue Möglichkeit, mit Jugendlichen, die wir sonst nur schwer oder gar nicht erreichen würden, ins Gespräch zu kommen. Daher bewerten wir das auch nicht als klassische PR-Aktion, sondern als eine Erweiterung des Community Policing. Wenn wir es schaffen, damit aufzuklären, Ängste zu nehmen oder auch Vorurteile aus dem Weg zu räumen, dann hilft dies allen Beteiligten“, so Dominik Grabner von der LPD. Es ist nicht so, dass die Polizei Uwe explizit dafür ausgewählt hat, eher im Gegenteil.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

„Sie sind doch der Polizist von TikTok, können wir ein Foto mit Ihnen machen?“

Das erste "Der Cop und der Tschetschene" Video entstand im November, damals noch ohne Wissen der Pressestelle der Polizei. Es hat gedauert, bis das Projekt von der Pressestelle wirklich ernst genommen wurde. Übrigens: Uwe bekommt für die Videos auch kein extra Honorar, sie sind jetzt Teil seiner Tätigkeit in seiner Arbeitszeit. Als Grätzlpolizist sieht Uwe sich als eine Art Sozialarbeiter bei der Polizei: Er schlichtet etwa Nachbarschaftsstreitigkeiten und „kleinere Probleme, mit denen man normalerweise nicht zur Polizei gehen würde.“ Sein Umfeld reagierte anfangs skeptisch auf das Vorhaben mit dem Tik-Tok-Format:

„Der Tenor bei meinen Kolleg:innen bei der Polizei lautete eher: ‚Machts halt mal, aber das wird eh nix!‘“, so Uwe lachend. Doch schon bald zeigte sich der Erfolg der Videos, Uwes Kinder und Freunde seiner Kinder waren begeistert. Heute wird Uwe, wenn er durch Brigittenau seine Runden dreht, immer wieder von Jugendlichen erkannt. „Sie sind doch der Polizist von TikTok, können wir ein Foto mit Ihnen machen?“ Solche Szenen erlebt er mindestens ein Mal die Woche. Auch Ahmads Freunde reagierten kritisch, als er von seiner Format-Idee erzählte: „Das passt doch gar nicht zu dir, was wir das da? Ist das dein Ernst?“, hieß es aus seinem Umfeld. Ahmad betont aber, dass er selbst als Jugendlicher genau so ein Sprachrohr, das er jetzt selbst verkörpert, gebraucht hätte. Die Resonanz ist auf alle Fälle da: „Stabile Aussage, Bruder“, solche Kommentare liest man unter den Videos auch immer öfter. Ob sie nun Ahmad oder Uwe gelten.

 

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