Die neuen Gastarbeiter

30. April 2013

Sie sind jung, hochqualifiziert und ohne Job. Aufgrund der anhaltenden Wirtschaftskrise zieht es Fachkräfte aus Spanien, Italien und Griechenland verstärkt nach Österreich – biber hat sie willkommen geheissen.

Angeliki versteht die Welt nicht mehr: „Vor Jahren, als ich im Rahmen des Austauschprogramms Erasmus in Österreich studiert habe, wurde ich oft auf meine Heimat Griechenland angesprochen. Dabei zerflossen meine Gegenüber und merkten an: „Oh, wie schön, das Meer und erst das gute Essen!“ Der Gesichtsausdruck der zugewanderten Griechin wird plötzlich ernst. Sie fährt genervt fort: „Und was passiert jetzt? Ich höre meist ein mitleidiges ‚oh‘, gefolgt von schlechten Witzen.“

„Bleib dort!“

Die 29-jährige Computer- und Elektrotechnik- Ingenieurin gehört zur jungen Generation der Expats, die nach Österreich gekommen ist, weil sie in ihrer Heimat keine Arbeit findet. Die wirtschaftliche Repression hat den Süden Europas und dessen Jugend in eine tiefe Krise gestürzt. Jungen Fachkräften bleibt bei Rekordarbeitslosigkeit im eigenen Land nur die Flucht ins Ausland, oder wie es Fernando treffend ausdrückt: „Die, die einen Job haben, sind im Ausland. Der Rest bleibt in Spanien.“ Fernando ist 27 und hat in Sevilla Architektur studiert. Seit der geplatzten Immobilienblase 2007 geht dort gar nichts mehr. „Es wird nichts ge-baut, es gibt kein Geld für öffentliche Gebäude“, seufzt er. Fernando ist zusammen mit seiner Kollegin Rocio über ein Auslandspraktikum nach Wien gekommen. „Als das Praktikum vorbei war, sagten unsere Freunde, wir sollen doch lieber hier bleiben. In Spanien gäbe es keine Arbeit. Also bin ich geblieben“, so Rocio. Die prekäre Lage am Arbeitsmarkt hat Fernando am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Nach einem halben Jahr Suche, findet er eine Stelle in einem Architekturbüro. Als freier Mitarbeiter verdient er 700 Euro netto, ohne versichert zu sein, oder gar in die Pensionskasse einzuzahlen. „Wenn du sagst, du willst unter diesen Bedingungen nicht arbeiten, dann kommt eben der Nächste.“ So sieht der harte Kreislauf unter jungen Fachkräften in Südeuropa aus. Die fertig ausgebildeten Ingenieure, Mathematiker oder Architekten leben am Existenzminimum und absolvieren ein schlecht bezahltes Praktikum nach dem anderen. „Die bringen zumindest etwas für den Lebenslauf “, resümiert Rocio mit einem lakonischen Unterton.

 

Begehrt im Ausland

Exzellent ausgebildet und trotzdem für einen Hungerlohn arbeiten? Angeliki wusste nach ihrem Studium in der griechischen Hafenstadt Patras sofort, dass sie bei diesem Spiel aus schlecht bezahlten Praktika und riesigem Konkurrenzdruck nicht mitmachen würde. „Meine Eltern haben mich während meiner ganzen Bildung unterstützt, viel Geld bezahlt und nun möchte ich etwas zurückbekommen, mein Wissen anwenden. Es war viel Arbeit und Mühe, den Abschluss zu bekommen“, so Angeliki. Nachdem sie 80 Bewerbungen ausgeschickt hat und nur eine Antwort bekam, fasste sie den Entschluss, in Österreich nach einem Job zu suchen. Eine Wahl, die sie bis heute nicht bereut. Ein Skype-Bewerbungsgespräch später hatte Angeliki das erste Jobangebot. Tatsächlich haben die hochqualifizierten Arbeitskräfte aus den Mittelmeerländern gute Chancen auf Jobs in Österreich. Das bestätigt auch Friedrich Steinecker von der WKO, Abteilung für Außenwirtschaft. „In Österreich gibt es aufgrund der niedrigen Geburtenrate einen Fachkräftemangel“, erklärt Steinecker. Daher veranstaltet die Wirtschaftskammer „Recruiting-Reisen“ mit dem ambitionierten Namen „Need for Brains“ nach Madrid und hilft dabei bei der Vermittlung von spanischen Fachkräften an österreichische Betriebe. 10 bis 15 österreichische Firmen haben seit November 2012 bei der WKO-Veranstaltung mitgemacht, Steinecker tritt aber auf die Euphoriebremse: „Es ist keine Massenveranstaltung, sondern eher die Suche nach spezifischen Profilen. Während in Griechenland rund 400 Leute um eine Stelle konkurrieren, „sind es unter Software- Entwicklern in Österreich gerade mal 15.

Technik und Deutsch

In technischen Berufen geht es weniger um Sprache, als vielmehr um Programme, Pläne und Maschinen. Das Fachvokabular ist auf Englisch. Ideal, um Ausländer ohne Deutschkenntnisse einzustellen. Bei Fabrizzio hat es nicht lange gedauert, bis er von einer französischen Firma in Wien angeheuert wurde. Dort betreut er spanische und italienische Kunden. Obwohl Sara eine der wenigen Glücklichen mit einem fixen Job in Madrid war, ging sie auch nach Österreich. Die negative Stimmung am Arbeitsmarkt machte ihr zu schaffen, außerdem „herrsche ein enormer Druck am Arbeitsplatz, man hat keine Zeit zu lernen und die Forschung ist total eingeschlafen“, bedauert die 27-jährige Telekommunikations-Absolventin. Sie arbeitet in einer kleinen Firma in Wien. Bevor sie hierher kam, wusste sie fast gar nichts über Österreich. Es gefällt ihr hier, also bleibt sie, so einfach ist das. Dass sie dabei ihre Heimat verlassen und kulturelle Unterschiede wie auch Sprachbarrieren in Kauf nehmen musste, scheint sie wenig zu stören.

 

Ohne Eltern geht nix

Flexibilität und Mobilität sind die größten Stärken der jungen Einwanderer. Sie folgen dem Ruf der Arbeit und haben keine großen Fünfjahrespläne. Die Arbeit bestimmt, wo sie leben und nicht umgekehrt. Sie sind froh, endlich Geld zu verdienen,

wie Rocio bestätigt: „Wir sind fast dreißig Jahre alt, wir wollen unabhängig sein. In Spanien kannst du das nicht. Dort leben 30-, 35-Jährige noch immer bei ihren Eltern, weil sie sich keine eigene Wohnung leisten können.“ Die Eltern sind es dann auch, die den Abwanderungswilligen mit finanzieller Hilfe unterstützen. Logisch, ohne Job und ohne Geld ist der Neuanfang in einem fremden Land unmöglich. „Auswandern ist kein Spaziergang“, weiß auch Angeliki. Die Griechin empfindet manchmal Schuldgefühle, weil sie ausgewandert ist. Sie verdient mehr als ihre ehemaligen StudienkollegInnen. „Aber was hätte ich tun können?“, wehrt sich Angeliki. Sie geht mit der Politik ihres Heimatlandes hart ins Gericht: „Die Politiker haben jahrelang gelogen, jeder hat versucht, in kurzer Zeit viel Geld zu machen. Dabei hat niemand an die Konsequenzen gedacht.“ Auch in Spanien und Italien fühlt sich die junge Arbeitergeneration verarscht. Doch für jammern bleibt wenig Zeit. Angeliki, Fabrizzio, Fernando, Rocio und Sara kennen es nicht anders. Sie zucken mit den Schultern und machen das Beste daraus. Sie sind zufrieden, dass sie einen sicheren Job haben, in einer schönen Stadt leben und nicht das Schicksal vieler ihrer Altersgenossen teilen. Blöde Witze über ihre Heimat sollte man trotzdem nicht machen.

 

Von Maria Matthies und Marko Mestrovic ( Fotos)

 

Info

Griechenland, Italien und Spanien sind nicht nur Top-Reiseziele. Diese Länder haben die zweifelhafte

Ehre, führend auf der Skala der Arbeitslosen zu sein. Laut Eurostat rangiert Griechenland an trauriger

Spitze mit 26,5 Prozent, dicht gefolgt von Spanien mit 26,3 Prozent. Italien hinkt mit „nur“ 11,6 Prozent hinterher. Österreich hat mit 4,8 Prozent die niedrigste Arbeitslosenquote Europas. Bei der Jugendarbeitslosigkeit bietet

sich ein ähnliches Bild. Bei einem Prozentsatz von 55,7 Prozent ist mehr als jeder zweite Spanier zw. 15 und 24 Jahren ohne Job, Tendenz steigend.

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