Warte! Warte! Warte! Willst du ganz ohne Arbeiten reich werden? Willst du dein Leben verändern, dein eigener Boss sein? Du brauchst dafür nichts weiter als das richtige Mindset. Das verspricht: IM Team Alpha, eine Online-Bildungsplattform. Die Zielgruppe: jung, pleite und migrantisch. Redakteurin Dione Azemi war mit dabei.

Von Dione Azemi, Illustrationen:  Thomas Süß

Illustration: Thomas Süß

"Wir bringen die Wall Street zur Mainstreet und verhelfen auch dir, die mächtigste Fähigkeit, die es auf diesem Planeten gibt, zu erlernen und zeitlich sowie ortsunabhängig ein Einkommen aufzubauen“, behauptet Team Alpha, ein österreichisches Unternehmen, das eine Online-Finanzakademie bewirbt. „Wie schaffen sie es, Leute von einer Mitgliedschaft zu überzeugen?“, frage ich mich und starte einen Selbstversuch. Ich werde bei Team Alpha einsteigen: Ich, Dione, eine junge Psychologiestudentin, die schnell und einfach Geld machen will.

Weil ich über die zahlreichen Instagram-Profile, die ich durchstöbere, keine konkreten Informationen zu kommenden Events finde, kontaktiere ich Team Alpha über ein Kontaktformular auf ihrer Webseite und werde innerhalb der nächsten fünf Minuten über WhatsApp von einem der Gründer angeschrieben. Bei unserem ersten Telefonat macht er mir auffallend viele Komplimente und von Beginn an herrscht eine sehr vertraute Stimmung. Ich werde von ihm auf ein Event eingeladen, das extra dafür gedacht ist, neuen Leuten einen Einblick in die Academy zu gewähren. An einem Samstagabend komme ich also an die genannte Adresse, ein unscheinbarer Seminarsaal im fünften Bezirk Wiens. Und trotz meiner ausführlichen Recherche im Vorhinein, hätte mich nichts auf die dort herrschende Stimmung vorbereiten können.

RICH DAD, POOR DAD

Ein Mädchen, das ich dort zwischen den anderen etwa 400 Besucher:innen kennenlerne, erzählt mir mit voller Begeisterung in ihren Augen davon, dass sie schon seit drei Monaten dabei sei und die kommenden Reden mein Leben verändern würden. Während unseres Gespräches laufen über mehrere Bildschirme gleichzeitig heroische Slow-Motion-Videos von jubelnden Menschenmengen begleitet von lauter Partymusik. Als der erste Redner den Raum betritt, wird er mit ohrenbetäubendem Applaus empfangen und eröffnet damit das Event.

„Kennt jemand von euch das Buch ‚Rich dad, Poor dad?‘ – Say yes!“ Wie einstudiert folgt daraufhin ein im Chor gerufenes „YES!“. Dieses Buch habe sein Leben verändert, weil es ihn verstehen lassen habe, wie man reich werden könne. Mit leidenschaftlichen Worten und fesselnden Geschichten lockt er das Publikum in eine Welt jenseits der arbeitenden Mittelschicht, in der grenzenloser Reichtum und finanzielle Freiheit herrschen. Dabei heißt es, dass die Kurse der IM Master Academy die ultimative Geheimwaffe seien, um die Beschränkungen des traditionellen Bildungssystems und der „nine to five“ Arbeitswelt zu überwinden und dich und dein Leben stattdessen in eine Erfolgsgeschichte zu verwandeln. Das benötigte Wissen und vor allem das Mindset dazu bekommst du, indem du ihr Produkt kaufst.

IM TEAM ALPHA

Die IM Mastery Academy erweist sich auf dem Markt der Online-Bildungsplattformen in Österreich als äußerst erfolgreich. Mithilfe von Live-Streams und anderen Online-Tools sollen vor allem Jugendlichen Möglichkeiten gezeigt werden, über das Handy Geld zu verdienen. Bei der Mitgliedschaft handelt es sich um eine Art Abo, das dir Zugriff zu ausgewählten Modulen der Trading-Lehre oder der Social-Media-Nutzung verschafft. Je nach Umfang des Abos variieren die Monatsbeträge von 200 USD bis etwa 500 USD. Für den Verkauf dieser Kurse und das damit verbundene Anwerben neuer Mitglieder ist jedoch nicht IM selbst zuständig. Dafür sorgen selbstorganisierte Strukturen – sogenannte Movements. Das österreichweit größte Movement nennt sich Team Alpha und ist so wie ihre Gründer im oberösterreichischen Wels beheimatet.

DIE OBERSTEN 0,05%

Den Jugendlichen wird erklärt, sie könnten hier lernen, wie man sich ein eigenes Business aufbaut. Als Einstieg gelte: Wenn sie weitere aktive Mitglieder anwerben, erhalten sie Provisionen und können allein dadurch laut Angaben des Unternehmens schon bis zu 75.000 USD monatlich verdienen. Vor allem für Schüler:innen, die sich den Monatsbeitrag anders nicht leisten könnten, ist das Anwerben neuer Mitglieder die einzige Möglichkeit, an dem Programm teilnehmen zu können. Begriffe wie „verkaufen“ findet man hier nicht – bei Team Alpha redet man von „Leben verändern“, denn das wird den jungen Teilnehmer:innen auch versprochen: ein neues Leben. Auf der Webseite der IM Mastery Academy findet man ein Dokument, das die Einkommensverteilung des Unternehmens offenlegt. Daraus ist zu erkennen, dass über die Hälfte der Mitglieder mit ihrer Mitgliedschaft ins Minus gehen, denn sie müssen mehr in das Programm einzahlen als sie schlussendlich damit verdienen. Nur 0,4 % verdienen mehr als das österreichische Durchschnittsgehalt – ziemlich widersprüchlich, wenn man bedenkt, dass herkömmliche Lohnarbeit von Team Alpha als aussichtslos betitelt wird. Als die Gewinner dieses Systems zählen dann die obersten 0,05 %, denn deren Jahresgehalt liegt bei über 550.000 EUR.

Der Traum vom schnellen Geld stürzt viele Anhänger vom ,,Movements" in den finanziellen Ruin (c) Thomas Süß

WIR SIND ALL-TIMER

Die Besucher:innen der Veranstaltung sind augenscheinlich zwischen 16 und 20 Jahre alt. Ihr Kleidungsstil ist nicht sonderlich auffallend, doch eine Gemeinsamkeit ist kaum übersehbar: Beinahe alle von ihnen haben einen Migrationshintergrund. Gerade migrantische Jugendliche finden sich oft am Rand des österreichischen Systems wieder, und kommen meist aus Elternhäusern mit geringem Einkommen. Team Alpha spielt meiner Auffassung nach geschickt mit dieser Verletzlichkeit und präsentiert sich als Ausweg – als Chance, der Misere zu entkommen und finanzielle Sicherheit zu erlangen. Zwischen den gesprochenen Zeilen des Events lassen sich gezielte Versuche raushören, die Jugendlichen von ihren Freund:innen und Familienmitgliedern zu entfernen. „Ich habe angefangen, mich nur noch mit Leuten zu umgeben, die das gleiche Ziel hatten wie ich. Das solltest du auch“, fordert einer der Redner. Bei meiner Recherche stoße ich auf ein YouTube-Video, in dem einer der Gründer erläutert, dass es vier Arten von Leuten gibt: Some-Timer, Part-Timer, Full-Timer und All-Timer. „Wir bei Team Alpha sind All-Timer.“ Er erzählt, er habe schon das vierte Jahr in Folge den Geburtstag seiner Mutter verpasst, weil er dauerhaft am Arbeiten war. „Aber wenn ich irgendwann genug gearbeitet hab und finanziell unabhängig bin, wird meine Mutter jeden Tag Geburtstag haben.“ Diese Haltung ist laut Psychologin und Geschäftsführerin der Bundesstelle für Sektenfragen, Ulrike Schiesser, eine besorgniserregende. „Je mehr eine Gruppe von einem verlangt – sei es Geld, Engagement, oder Zeit – entsteht schnell eine Art Gruppen-Trance. Man ist die ganze Zeit umgeben von denselben Menschen, man hört immer dieselben Parolen. Wenn jede freie Minute damit gefüllt ist, hat man gar nicht mehr Zeit zu überlegen: Tut mir das gut? Will ich das überhaupt?“ Auch wenn Team Alpha keine sektenähnliche Organisation ist, ist es keine Seltenheit, dass Multi-Level-Marketing-Unternehmen manchmal Vertriebsstrategien verfolgen, die als sektenartig erlebt werden. „Dabei werden die Produkte emotional aufgeladen und die Vertiebsgemeinschaft bezeichnet sich als Familie“, veranschaulicht Ulrike.

„DU BIST SCHULD“

Nach dem Event lade ich mich selbst ein, um mit den Veranstaltern essen zu gehen. Sie nehmen mich „ausnahmsweise mit, denn eigentlich dürfen nur bereits erfolgreiche Mitglieder mit ins Büro.“ Dort lerne ich Sara* kennen. Sie ist schon seit einem Jahr dabei, ursprünglich aus Afghanistan und wohnt im 15. Wiener Gemeindebezirk. Als ich sie frage, ob sie schon Erfolg im Trading habe oder vielleicht über neu angeworbene Mitglieder Geld verdiene, erzählt sie mir, sie sei „der Team-Member, der zu inkonstant ist, um was zu verdienen. Ich habe für jedes Problem eine Lösung. Suche den Fehler immer bei den Umständen und bin völlig uncoachable.“ In Saras Antwort finden sich Floskeln wieder, die den Jugendlichen in ihren Mindset-Kursen gepredigt werden. Denn auch wenn man sich die einzelnen Module bei seiner monatlichen Abo-Vereinbarung aussuchen kann, ist ein Mindset-Kurs immer miteinbegriffen. Mein Eindruck: Hier werden unqualifizierte Jugendliche auf einen hoch komplexen Markt losgelassen und ihnen wird die Illusion vermittelt, dass allein durch positives Denken und dem richtigen Mindset Gewinne erzielt werden können. Dabei wird neben dem Handel mit Kryptowährungen wie Bitcoin vor allem mit dem sogenannten Forex-Trading geworben. Darunter versteht man den Handel mit ausländischen Währungen, bei dem mit den Schwankungen der Kurse spekuliert wird, um Gewinne zu erzielen. Expert:innen jedoch warnen aufgrund des äußerst hohen Risikos vor dieser Handelsform. Bei einer Live-Trading-Session von Team Alpha wird von dem Vortragenden aber das Gegenteil behauptet: „Trading ist leicht. Der Markt ist berechenbar und es ist schnelles Geld. Wenn du Verluste machst, ist das, weil du deine Emotionen nicht im Griff hattest. Du bist schuld, nicht der Markt.“ Auch mir wird während des Events von mehreren Mitgliedern gesagt, wie perfekt es sei, dass ich Psychologie studiere, denn: „Trading ist nur Kopfsache“.

Ein Aufstieg in der Hierarchie ist für die Mitglieder von Team Alpha ein großer Ansporn (c)Tomas Süß

COPY - PASTE

„My Story, his Glory“ war ein Zitat, das in den verschiedensten Kontexten aufkam und zuerst bei mir für Verwirrung sorgte, denn ich konnte die Bedeutung dahinter nicht erkennen. Mittlerweile ist mir klar, was damit gemeint ist. Die Geschichte, wie jemand zu Team Alpha gefunden hat, ist der Ruhm jener Person, die sie auf diesem Weg betreut hat. Im Regelfall werden die potentiell neuen Mitglieder nämlich über soziale Medien kontaktiert und mit der Absicht, selber Profit zu machen, wird ihnen das Unternehmen präsentiert. Ich bekam viele Gespräche mit, in denen meine Kontaktperson von Leuten, die sich in der Unternehmens-Hierarchie weiter unter ihr befanden, nach Anleitungen zur Rekrutierung neuer Mitglieder gefragt wurde. Bei Team-Alpha ist das keine Seltenheit. Ständig wird von „Mentoren“ und „Leadern“ geredet, denn das gesamte Konstrukt basiert darauf, dass man den Leuten, die in der Hierarchie über einem stehen, blind vertraut und ihrer Führung folgt. Auf der Webseite von Team Alpha ist diese Hierarchie klar ersichtlich: an oberster Stelle der Gründer mit dem Rang Chairman 25 – die Zahl 25 soll markieren, dass er allein durch die Einnahmen der abgeschlossenen Abos unter ihm 25.000 USD monatlich verdient.  Das macht ihn für alle anderen bei Team Alpha zum Vorbild. Basierend auf den Stimmungen, die ich dort wahrnehmen konnte, würde ich sogar sagen, dass auch von Vergötterung gesprochen werden kann. „Jungs, ein Chairman hat mir gerade einfach die Hand gegeben!“, höre ich jemanden in auffallend euphorischem Ton sagen. Alle wollen sein wie er und von ihm lernen. Doch das war nicht mal das Dubioseste daran. Seien es die Sprechchöre bei Live-Events oder die identisch aussehenden Instagram-Profile – ich war verblüfft, wie anpassungsfähig Individuen werden, sobald eine starke Gruppendynamik im Spiel ist. Egal mit wem ich mich unterhielt – sie nutzten alle ein sehr ähnliches Vokabular, predigten dieselben Lebensweisheiten und erzählten vom gleichen Entwicklungsgang. Es wirkte wie Copy-Paste.

JUNG, PLEITE, MIGRANTISCH

Obwohl ich im vollen Bewusstsein darüber war, dass durch dieses Unternehmen nur ein Bruchteil der Mitglieder überhaupt Gewinn machen kann, gelang ich selbst zeitweise zur Überzeugung, ich wäre der Ausnahmefall und könnte durch diese Organisation tatsächlich reich werden. Das nur, weil die Gründer mir das erfolgreich eingeredet haben. „Dione, du hast richtig viel Potential, das merkt man sofort“, wurde mir bei Gesprächen mehrmals gesagt. Was das wohl in Menschen auslösen muss, die sonst nie Wertschätzung erleben? Auch die Bundesstelle für Sektenfragen bestätigt mir, dass es kaum möglich sei, sich selbst zu schützen. Die Bundesstelle berät vorrangig Angehörige, deren Familienmitglieder in solche Systeme eingestiegen sind. Denn Freund:innen und Familie sind viel eher in der Lage, suspektes Verhalten schnell zu erkennen und die betroffene Person vor diesen Kreisen zu warnen. Ab einem gewissen Punkt ist es jedoch kaum mehr möglich, durch gutes Zureden oder kritische Fragen jemandem die negativen Aspekte eines Vorhabens oder Unternehmens aufzuzeigen.

Durch risikoreiches Trading ist Geld leicht zu verdienen- aber auch leicht zu verlieren.(c)Thomas Süß

Und die Geister, die du rufst, wirst du auch so schnell nicht mehr los, denn bei Alpha wird viel Wert auf Bindung gelegt: Seit der ersten Kontaktaufnahme Anfang Juni sind mittlerweile mehrere Monate vergangen und obwohl ich nicht mehr wirklich antworte, werde ich noch immer regelmäßig von einem der Gründer gefragt, wie es mir geht und wann wir das nächste Mal telefonieren, denn ich passe genau in die Zielgruppe: jung, pleite und migrantisch. ●

Anmerkung der Redaktion: Team Alpha hat bis Redaktions­schluss nicht auf unsere Bitte um Stellungnahme zu dem Artikel reagiert.