„Du heiratest nur einen von unseren Leuten!“

07. Dezember 2022

Viele Migra-Kids kennen das: Den Eltern ist die Herkunft des Partners wichtiger als das Glück der eigenen Kinder.

Von Maria Lovrić-Anušić, Fotos: Zoe Opratko

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

 

Mein Vater hat nichts gesagt, sondern seine Fäuste sprechen lassen“, erzählt Lavin*. Er hatte sie zuvor mit ihrem albanischen Freund beim Spazieren gehen erwischt. Sie selbst ist Kurdin aus der Türkei und ihr war bewusst, dass ihre Eltern und vor allem ihr Vater niemals eine andere Nationalität akzeptieren würden. Ihr Vater zeigte sich immer angewidert, wenn er zwei Menschen aus verschiedenen Nationen sah, die sich liebten. Diese Abneigung ließ er auch Lavin spüren. Er brüllte sie an, wie sie es wagen könne, ihre Familie so zu hintergehen, und schlug auch immer wieder auf sie ein. „Ich schrie jedes Mal zurück, dass ich kein Leben wie meine arme Mutter führen möchte und keinen aggressiven Mann wie meinen Vater heiraten werde.“ Lange hatte Lavin aus Angst ihren Freund verheimlicht, denn sie wusste, was sie erwarten würde.

Sowie Lavin geht es vielen Migra-Kids, deren Partner:innen nicht aus dem gleichen Land wie sie bzw. deren Eltern stammen. Für viele Eltern ist so eine Liebesbeziehung ein absolutes No-Go, weshalb sie sie mit allen Mitteln zu verhindern versuchen. Dass dieses Phänomen weit verbreitet ist, zeigt sich immer häufiger in den Sozialen Medien. Junge Menschen nehmen auf TikTok Kurzvideos auf und erzählen davon, wie sie sich zwischen ihrer Familie und ihren Partner:innen entscheiden müssen. In den Kommentaren tummeln sich Leidgenoss:innen, die mitfühlen, ihre eigenen tragischen Liebesgeschichten in Worte fassen und sich gegenseitig Mut zusprechen.

Foto: Zoe Opratko
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Nationalstolz und Gedankengut

Ein Großteil der migrantischen Eltern besitzt eine andere Lebensrealität als ihre Kinder, erklärt die Bildungsmanagerin und Geschlechterforscherin Emina Šarić. „Die Eltern stecken in traditionell und ehrkulturell geprägten Milieus fest, welche stark kollektivistisch wirken.“ Das bedeutet, dass die Identität der Einzelpersonen durch die Gruppe, in der sie sich befindet, geprägt ist. Es wird eine imaginäre Festung aufgestellt, innerhalb derer sie sich bewegen können. Für sie existieren streng einzuhaltende Sitten, Vorschriften und Ideologien, zu denen auch übermäßiger Nationalstolz zählen kann. Doch auch Eltern, die einen Krieg miterlebt haben und ihre Traumata nie verarbeiten konnten, bleiben häufig in ihren eigenen Gruppen, da sie noch alte Feindbilder besitzen. Dieses Gedankengut versuchen sie auch ihren Kindern aufzudrängen.

Lavins Bruder stellte sich in dieser Nacht vor seine Schwester und drohte dem Vater, die Polizei zu rufen. Weil ihre Mutter die Befürchtung hatte, dass ihr Vater sie noch mal schlagen würde, riet sie ihr, das Haus zu verlassen. Jugendliche, die aus diesen Milieus aussteigen möchten, brauchen professionelle Hilfe, betont Šarić. Denn die Eltern könnten zu gewalttätigen Sanktionsformen greifen, so wie Lavins Vater das immer wieder tat. Mit nichts außer ihrem zerrissenen Pyjama verließ sie die Wohnung und kam für die Nacht bei einer Freundin unter. Nach diesem Vorfall folgten Monate von Verfolgung und Beschattung, die bis heute andauern. Sie muss aufpassen, welchen Zug sie nimmt, und von zuhause abholen kann ihr Freund sie auch nicht. Zu groß ist die Angst, dass ihr Vater oder jemand seiner Bekannten sie zusammen sehen könnte. „Mein Vater hat überall Leute, die mich erkennen würden“, erzählt die 25-Jährige. Ihre Mutter jedoch weiß immer Bescheid, wo und wann Lavin unterwegs ist. Sie steht zu ihrer Tochter, traut sich jedoch auch nicht, sich gegen ihren Mann zu stellen. Laut Šarić ist dieses Verhalten der Mutter sehr typisch und nennt sich Komplizenschaft. Ihre Aufgabe wäre es, ihre Tochter zu beschützen, jedoch hat sie Angst, ihren eigenen Status in der Community zu verlieren und verurteilt zu werden. „Da wir als Kurden es nie leicht hatten, denkt mein Vater, dass alles umsonst war und die Kurden aussterben, wenn ich jemanden mit einer anderen Nationalität liebe.“ Doch genau diese aufgezwungene Art stieß sie immer wieder von ihren Landsleuten ab. Es ist ein harter Weg und die Geheimniskrämerei macht ihr zu schaffen, aber sie hat ein Ziel. Sie will ihren Liebsten heiraten, eine Familie gründen und endlich ihre Ruhe haben, keine lästigen Kommentare zu ihren Lebensentscheidungen mehr hören und sich nicht mehr als Schande betiteln lassen müssen.

Foto: Zoe Opratko
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Gestraft durch Schweigen

Für die Bosnierin Maida kam die negative Reaktion ihrer Eltern auf ihren Freund komplett unerwartet. Schließlich habe sie nie ein Geheimnis aus ihrer Weltanschauung gemacht. Doch dass sie sich für einen Serben entschieden hat, stößt ihrer Familie dennoch sauer auf. „Sie haben mich gefragt, wie ich ihnen das antun kann.“ Maida würde laut ihnen sowohl ihre Religion als auch ihre Landsleute verraten. Als Auslöser für diese Aussagen sieht Maida die noch immer bestehenden Wunden ihrer Eltern vom Jugoslawienkrieg in den 90er Jahren. Viele ex-jugoslawische Eltern haben die irrationale Angst, ihr Kind an den damaligen Feind zu verlieren, erklärt Šarić. „Es handelt sich um eine Art der Retraumatisierung.“ Dass die 25-Jährige selbst nicht religiös oder nationalistisch ist, möchten ihre Eltern nicht wahrhaben. Sie üben weiterhin den Druck auf sie aus, sich einen Muslim als Partner zu suchen. Ihre Entscheidung sich nicht zu trennen, führt zu unzähligen Streitigkeiten in ihrer Familie, gefolgt vom Totschweigen des Themas. „Es herrscht seitdem leider sehr viel Distanz zwischen meinen Eltern und mir.“ Das belastet vor allem Maidas Freund. Er fühlt sich schlecht dabei, der Auslöser für Streit in Maidas Familie zu sein. Jugo-Nationalismus-Drama kennt er jedoch selbst nur allzu gut aus seiner serbischen Familie und ist daher unfassbar geduldig und mehr als verständnisvoll, erklärt die Bosnierin. Sie hatte noch nie einen Mann kennengelernt, der sie so versteht, respektiert und unterstützt wie er. Darum kämpft sie weiter für ihre Liebe. In ihrer Familie gibt es einige, die sich Partner:innen aus dem gleichen Kulturkreis ausgesucht haben, um damit auch ihre Eltern zufrieden zu stellen. Die meisten davon seien heute unglücklich und bereuen diese Entscheidung. Laut Maida zeigt sich dies in ihrer Familie häufig anhand von Untreue. So ein Leben will sie nicht führen, nur um die Leute um sich herum glücklich zu machen. Sie hofft, dass ihre Entscheidung in Zukunft respektiert wird und sie nicht mehr mit endlosem Schweigen gestraft wird. „Ich bin in einer multikulturellen Stadt ohne Krieg aufgewachsen. Ich bin anders als sie und das haben sie zu akzeptieren“, verkündet sie kämpferisch.

Foto: Zoe Opratko
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„Nur eine bosnische Muslima kommt in Frage.“

„Mir wurde bereits in der Kindheit gesagt, dass nur eine bosnische Muslima als Partnerin in Frage komme“, erklärt Amir. Diese Aussage trifft den 23-Jährigen gleich auf zwei Ebenen. Zum einen sucht er sich seine Partner nicht nach der Nationalität oder Religion aus und zum anderen ist er selbst homosexuell. Sein letzter Partner war Österreicher, weshalb er die Beziehung sehr lange geheim hielt. Amir konnte sich der neugierigen Fragen seiner Familie jedoch nicht entziehen. „Jeder hat nach meiner Freundin gefragt und im selben Atemzug auch, woher sie denn kommt“, erzählt er genervt. Diese ständigen Fragen übten einen enormen Druck auf ihn aus, sodass er mit Wut reagierte und von seinen Eltern daraufhin als Problemkind abgestempelt wurde. Dabei hatte er nur Angst, abgestoßen zu werden. Diese Angst ist laut der Integrationsexpertin auch verständlich. Die Eltern greifen laut ihr häufig dazu, die Kinder rauszuwerfen, zu bedrohen, oder sie wenden in manchen Fällen sogar körperliche Gewalt an, wenn sie nicht den Normen und Sitten ihrer Gruppe entsprechen. Gleichzeitig wollte Amir aber auch nicht den gleichen Fehler wie seine Schwester begehen. Sie hatte aus familiären Druck einen Bosnier geheiratet, zwei Kinder von ihm bekommen und sich dann scheiden lassen, weil sie ihn eigentlich nie wirklich liebte. Nach einigen Monaten sammelte er seinen ganzen Mut zusammen und erklärte seinen Eltern unter Tränen, dass er nicht so wie sie tickt und ihm die Nationalität egal ist. „Ich habe meinen Eltern erzählt, dass es sich um eine Frau handeln würde. Sie wissen nämlich nicht, dass ich queer bin.“ Auch wenn Amirs Eltern anfangs eher gelassen reagiert hatten, mit der Zeit brachten sie immer wieder passiv-aggressive Sprüche zur fremden Nationalität. „Die denken nicht so wie wir“ oder „Die haben doch ganz andere Traditionen“, musste er sich ständig anhören. Das Festklammern an die eigene Kultur kommt nicht von irgendwo her. Laut Šarić ist das Praktizieren der Traditionen der Community ein wichtiger Teil der eigenen Identifikation. Wenn ihr Kind nun die Normen dieser Community nicht mehr genauso weitertragen möchte, sondern sie mit einer anderen vermischt, verlieren auch die Eltern ein Stück weit ihre Identität. Amirs Eltern machten ihm indirekt klar, dass sie seine Beziehung nicht akzeptieren könnten. Er begann sich immer mehr abzuschotten und weniger von seinem Partner zu erzählen. Keiner der Männer, die nach seinem österreichischen Freund kamen, hat seine Eltern kennengelernt. „Es fühlt sich nicht gut an, aber besser, als wenn sie meine Partner bewerten.“

 

Die nicht gewollte Schwiegertochter

„Ich stelle mir heute noch die Frage, warum sie mir keine Chance geben“, fragt sich Lara. Die 22-jährige Österreicherin belastet es stark, von den Eltern ihres Verlobten nicht beachtet zu werden. Sie sehen sie nicht als Zukünftige für ihren Sohn und möchten sie nicht einmal kennenlernen. Ihr Verlobter Driton hat albanische Wurzeln und für seine Eltern kommt keine Frau in Frage, die nicht albanisch ist. Ihre Eltern freuten sich von Anfang an über das Liebesglück ihrer Tochter: „Meine Eltern sind sehr offen bezüglich anderer Kulturen und Nationalitäten“, erklärt sie, weshalb sie ihnen auch ohne zu zögern von ihrer Beziehung zu Driton erzählen konnte. Sie unterstützten sie sofort und freuten sich für die beiden. Er hingegen musste Lara anfangs geheim halten, weil ihm die Einstellung seiner Eltern nicht fremd war. Er ließ sich immer Lügen einfallen, um sich heimlich mit ihr zu treffen, doch mit der Zeit flog er auf. „Meine Eltern sind draufgekommen, dass ich was verheimliche, weil ich immer länger in der `Arbeit´ geblieben bin“, erklärt der 22-Jährige. Sie waren enttäuscht von ihm und haben ihn in eine schmerzhafte Situation gedrängt. Er fühlte sich zwischen zwei Stühlen eingeklemmt, wie gefangen. Auf der einen Seite stand seine Verlobte, die er liebte, und auf der anderen Seite seine Eltern, die er nicht enttäuschen wollte. Er verbrachte Jahre damit, sie umzustimmen und sie von seiner zukünftigen Ehefrau zu überzeugen. Er stieß immer wieder auf taube Ohren. „Das habe ich so lange getan, bis meine Psyche darunter nur noch gelitten hat.“ Heute lebt das Pärchen zusammen und sowohl er als auch Lara hoffen, dass seine Eltern in Zukunft doch noch einen Schritt auf sie zugehen. „Wir lassen das auf uns zukommen, was das Schicksal für uns vorbereitet hat.“

Foto: Zoe Opratko
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Der Hoffnungsschimmer

Nach eineinhalb Jahren konnte Hakima ihre Beziehung zu ihrem russischen Freund nicht mehr geheim halten. Sie selbst fühlte sich zu dem Zeitpunkt schon sicher mit ihm, doch sie hatte Angst vor der Reaktion ihrer libanesischen Eltern. Das Hinauszögern musste jedoch ein Ende finden, da er immer wieder davon sprach, ihr einen Antrag zu machen. „Ironischerweise war die Reaktion meiner Mutter schlimmer als die meines Vaters. Das hätte ich nicht erwartet.“ Ihr Vater war zwar enttäuscht, blieb aber ruhig. Hakimas Mutter hingegen machte sich, ohne ihren Verlobten kennengelernt zu haben, schon ein Bild von ihm. Sie fand immer wieder Dinge, die ihr an ihm nicht passten. Seine Nationalität, seine Tätowierungen und sein Beruf, in allem sah sie ein rotes Tuch. „Du warst mein ganzer Stolz und jetzt enttäuscht du mich so“, waren ihre Worte. Jeden Tag wurde auf die 26-Jährige eingeredet, dass es doch schöner wäre, wenn sie mit ihrem Mann Arabisch sprechen könnte, und dass sie sich fragen sollte, ob sie sich selbst und ihren Eltern sowas wirklich antun möchte. All diese Worte ihrer Mutter belasteten sie so stark, dass sie sich in der Vergangenheit auch mal zeitweise von ihm getrennt hatte. „Meine Eltern sind eigentlich keine strengen Klischeemuslime. Ich glaube, sie waren einfach überrumpelt.“ Laut Šarić ist es auch wichtig, die Eltern nicht direkt zu verteufeln. Vielmehr müsste man erst ihre Lebensrealität verstehen. Dann kann der Versuch gestartet werden, sie über die eigene Sichtweise aufzuklären und sie zu überzeugen. Bis vor einigen Wochen herrschte zwischen Hakima und ihren Eltern Funkstille. Sie waren wütend, beleidigt, enttäuscht und ignorierten sie, doch langsam gewöhnen sie sich an den Gedanken und haben Hakimas Partner auch kennengelernt. Nicht zuletzt, weil sowohl Hakima als auch ihr Verlobter immer wieder mit den Eltern das Gespräch gesucht hatten. Von ihrer Verlobung wissen die Eltern jedoch noch nichts.

Die Normen und Sitten der Communities, in die wir reingeboren werden, müssen endlich hinterfragt werden. Wir haben einen kulturellen Wandel bitternötig, um aus den toxischen Strukturen auszubrechen. Viele unserer Eltern kennen es nicht anders, aber auch für sie und ihre Psyche wäre das Platzen dieser kulturellen Blasen sehr gut. Sie sind gefangen in Gruppen, die ihr ganzes Leben bestimmen und einschränken. Wir sind die Generation, die diese veralteten Strukturen zum Brechen bringen muss. Damit helfen wir nicht nur uns selbst, sondern auch den Generationen, die nach uns kommen. Außerdem kennt die Liebe schlichtweg keine geografischen oder kulturellen Grenzen. ●

 

Die Namen wurden von der Redaktion geändert. Die Fotos wurden nachgestellt, es handelt sich auf den Bildern nicht um die Protagonist:innen des Artikels

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