Hilfe—Ich bin süchtig nach Facebook!

11. Januar 2016

Hallo, mein Name ist Frederika und ich habe ein Problem. Ein Facebook-Problem. Eine Social Media Plattform, die sich intensiver in unser Leben gebohrt hat, als MySpace, Netlog, Twitter und Instagram gemeinsam.


Gastbeitrag von Frederika Ferkova

Facebook wird längst nicht mehr einfach nur gebraucht, um mit Freunden auf der ganzen Welt Kontakt zu halten. Es wird für die Uni, für Gewinnspiele und für Nachrichten benötigt. Wenn man dem Tinder-Trend folgen möchte, braucht man Facebook. Natürlich, Alternativen gibt es viele — Telefon, Zeitung, Mails. Aber Facebook vereint und vereinfacht alles. Es ist unmöglich, sich dem zu entziehen. Das erste Mal, als ich wirklich gespürt habe, dass ich ein Problem habe, war ich auf Familienurlaub in Griechenland. Aber alles von Anfang an.

Viele von uns haben ein Problem

Mein Problem geht längst darüber hinaus, einen obligatorischen Account zu haben. Ich teile Facebook-User in drei Gruppen ein: Gesunde, Zuschauer und Selbstdarsteller. Die erste Gruppe — der gesunde Nutzer — wird immer kleiner. Der gesunde Nutzer ist ein paar Mal die Woche online, gibt nicht zu viel von sich preis und benutzt Facebook, um ab und an mit Freunden von außerhalb zu chatten. Die zweite Gruppe — der Zuschauer — ist täglich immer wieder online. Er postet und versieht wenige Beiträge mit einem "Gefällt mir". Seine Hauptbeschäftigung ist es, auf eine Interaktion zu warten, den Newsfeed runterzuscrollen, zu chatten und die anderen zu beobachten. Er schaut zu.

Die dritte Gruppe, die der Selbstdarsteller, ist mein Metier. Der Selbstdarsteller benutzt Facebook genau wie Facebook es möchte. Er kommentiert, er „liket”, er postet. Er füllt die Feeds seiner Freunde mit unnötigen Informationen über sich. Mir ist bewusst, dass die dritte Gruppe am unsympathischsten ist. Mir ist auch bewusst, dass die dritte Gruppe am offensichtlichsten ein Problem hat. Man darf aber nicht vergessen, dass Zuschauer gleich viel Zeit online verbringen wie Selbstdarsteller.

Die Big Five

Als intelligenter und reflektierter Mensch kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem man sich fragt, warum man so verfallen ist. Wieso man nicht zumindest der Zuschauer sein kann. Wieso man nicht normal sein kann. Der erste Teil der Antwort wäre meine Arbeit: Ich veranstalte und ich schreibe. Beides braucht eine Plattform, beides hat mein Postingsucht-Tierchen gefüttert. Doch das alleine kann nicht die Lösung des Problems sein, da viele meiner Kollegen ihre Arbeit schaffen, ohne der Postingsucht zu verfallen. Sie werden eher Zuschauer. Der größere Teil der Antwort steckt — wie so oft — in der Psychologie.  

Die Big Five, oder auch das Fünf-Faktoren-Modell (FFM), werden für verschiedene Persönlichkeitsforschungen verwendet. Die Big Five bestehen aus Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit. Neurotizsmus beschreibt, wie man mit negativen Gefühlen umgehen kann. Je nach Ausprägung ist man eher emotional labil oder schiebt die ruhige Kugel. Extraversion beschreibt die Geselligkeit. Die Offenheit für Erfahrungen steht für die Neugierde. Die Gewissenhaftigkeit beschreibt den Grad an Organisiertheit der Person, die Verträglichkeit wiederum, ob man eher ein misstrauischer oder ein kooperativer Mensch ist.
 


Eine Persönlichkeit, die Extraversion, Offenheit für Erfahrungen und Verträglichkeit besonders stark ausgeprägt hat, neigt eher zum Social-Media-Konsum als eine Person, die diese Persönlichkeitsmerkmale nur schwach ausgeprägt hat. Willkommen in meiner persönlichen Hölle.

Stoffungebundene Sucht — trotzdem gefährlich?

Natürlich, man vergiftet sich nicht körperlich. Facebook ist keine Nikotin-Zigarette und auch kein Wodka-Stamperl, auch wenn die gesellschaftliche Akzeptanz dem Wodka-Stamperl nahekommt. Es ruiniert auch nicht Existenzen wie die Shopping- oder Gamblingsucht. Doch eine Sucht ist eine Sucht und sie nur zu verharmlosen, weil sie nicht direkt den Betroffenen schadet, kann nicht der richtige Weg sein. Und nur weil sie Betroffenen nicht schadet, heißt das nicht, dass sie für die nähere Umgebung der Betroffenen harmlos ist. Ich habe eher das Gefühl, dass die Familie, der Partner und Freunde sich sehr vernachlässigt fühlen, wenn man statt einem geraden Gespräch ab und zu auf das Handy schaut.
 


2015 sind mehr Menschen durch Selfies gestorben als durch Hai-Angriffe. Wie gefährlich das Benutzen von Handys während des Autofahrens ist, muss man nicht extra herausstreichen. Doch auch sozial kann Facebook gefährlich werden. „Facebook” als Trennungsgrund anzugeben ist längst keine Randerscheinung mehr. Die Trauerphase um den Ex-Partner oder Schwarm wird durch Facebook unnatürlich verlängert, wenn man sich nicht drastisch löscht und blockiert. Personen, die zu Depressionen neigen, leiden dadurch gesundheitlich. Betrunkene Postings, Beiträge, in denen man markiert wird und sich nicht schnell genug entfernt, und Facebook-Bugs können den sozialen Status extrem in Mitleidenschaft ziehen.

Einfach löschen kann nicht die Lösung sein

Es gibt auch klarerweise noch keine Langzeitstudien über die Folgen einer Social-Media-Sucht. Doch wie würde so eine Langzeitstudie überhaupt aussehen? Es steht jetzt schon fest, dass uns das Internet-Zeitalter verändert. Es verändert alle Formen von sozialen Beziehungen, es ist ein Sozialisierungsfaktor geworden und die Langzeitfolgen davon sind ungewiss. Das muss nicht heißen, dass wir dem Untergang geweiht sind. Es ist einfach etwas, wovon wir noch nicht wissen, wie es uns als Spezies Mensch verändert.

Obwohl uns Facebook und alle anderen Sachen im Internet ermutigen, einfach loszulegen und zu „usen”, sollte man ab und zu reflektieren, wozu und ob es notwendig ist. Ich bin kein Fan vom „Vorsicht mit seinen Daten”- Argument. Wir haben die Vorratsdatenspeicherung, die gesetzlich festgelegt ist, wir haben Handynummern und so gut wie jeder hat ein Facebook-Profil. Wenn jemand den Zugriff hat und etwas mit unseren Daten machen will, macht er es. Wir hängen zusammen drinnen. Die meisten von uns sind, glaube ich, aber nicht wichtig genug, um relevant für Datenmissbrauch zu werden. Und Werbung im Internet funktioniert auch auf anderen Seiten wie Google zugeschnitten. Sich also wegen dieses Arguments Facebook zu entziehen halte ich für nicht für sehr weit gedacht.

Doch was passiert, wenn man Facebook löscht? Ich hatte meinen Facebook-Account letztes Jahr für eine Woche gelöscht — ich war sozial exkludiert. Man wird auf Partys nicht mehr per SMS oder Brief eingeladen. Es gibt eine eigene Facebook-Veranstaltung. Auch wenn es nur das gemeinsame Essen mit Freunden ist. Ich hatte keine Zusammenfassungen für wichtige Prüfungen, stattdessen musste ich alle nerven, sie mir per Mail zu schicken. Beim Kennenlernen kamen stets seltsame Blicke, als ich sagte, ich habe momentan kein Facebook. Egal, wie ich es mache, ich kann es nie allen recht machen.

Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung

Doch ab wann ist man süchtig? Jeder muss für sich selber wissen, ab wann er glaubt, ein Problem zu haben. Was die Familie und Freunde über das eigene Verhalten sagen, hilft bekanntlich wenig. Meine Erkenntnis kam im Familienurlaub. Ich bin ins WiFi-Restaurant nicht ohne mein Handy gegangen. Es ging sogar so weit, dass ich zu meinen Essenszeiten mein Handy aufgeladen haben musste. Ich habe es zwar halbwegs gut geschafft, nichts zu posten, aber ich habe dafür noch mehr Beiträge geliket, noch mehr Sachen kommentiert. Ich habe auf eine einzeilige Frage im Chat mit 25 Zeilen geantwortet. Kurz gesagt: Ich habe mein gestörtes Verhalten nur verlagert.

Momentan versuche ich vom Selbstdarsteller mehr zum Zuschauer zu werden. Es läuft ganz gut. Ich poste schon viel weniger. Ich habe mir angewöhnt, beim Essen das Handy wegzulegen. Das führt zwar momentan noch zu einem schlingenden Essverhalten, aber ich schaue optimistisch nach vorne. Das zunehmende Alter arbeitet bestimmt auch für mich. Eine Bitte habe ich aber noch: Hört auf, die Selbstdarsteller so anzuprangern. Ihr seid als Zuseher selbst in der Facebook-Maschinerie und selbst täglich online. Ja, wir sind extrovertiert. Ja, wir können nerven. Aber wir machen Facebook für euch spannend. Leugnet es nicht.

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