„Ich bin kein Täter... und auch kein Opfer!“
Anti-Gewalt-Kurse an Wiener Mittelschulen - Nein, heißt nein!"
von Aleksandra Tulej und Amar Rajkovic, Fotos: Soza Jan
"Mädels klärt man am besten mit Rolex, Bratan!“, verkündet der zwölfjährige Marko breit grinsend, während seine Klassenkollegen links und rechts von ihm eifrig zunicken. „Außer, sie gibt dir Korb“, wirft sein Sitznachbar Marsel ein.
„Und was machst du, wenn dir ein Mädchen einen Korb gibt?“, fragt Coach Rick den Schüler. „Ja, dann geh ich halt weg. Pech gehabt“, zuckt Marko mit den Schultern.
„Ja! Genau richtig! Nein heißt nein“, applaudiert ihm Rick.
Die Message ist angekommen.
Kein Mann ohne Rolex, keine Frau ohne Schminke - oder doch?
Das Gewaltpräventionsprojekt „Ich bin kein Opfer – und auch kein Täter“, das biber zusammen mit dem Österreichischen Integrationsfonds an Wiener Mittelschulen durchführt, richtet sich an Mädchen und Burschen im Teeanger-Alter. Bis Ende des Schuljahres werden sechs Workshops stattfinden. Rick Reuther vom Verein „Poika“ und Renate Wenda vom Verein „Drehungen“ sprechen mit Jugendlichen in dreistündigen Workshops über Themen wie Selbstvertrauen, Belästigung, Flirten, Rollenbilder, Genderkonstrukte , Körpersprache, Grenzen, und bringen auch einige Selbstverteidigungstechniken bei. Die Klasse wird geteilt, Mädchen und Buben getrennt.
„Ihr lernt heute Selbstverteidigungstechniken, die nur wir Frauen kennen“, erklärt Trainerin Renate Wenda der Mädchengruppe der 2b. „Yes! Ur cool“, Melissa klatscht mit ihrer Sitznachbarin Esra ein. „Aber sagt mir zuerst spontan, womit ihr das Wort „Frau“ assoziiert?“, fragt Renate. „Haare!“, „Make-up!“, „Pink!“, „Schön!“, schreien die Mädchen. „Und was fällt euch zu dem Wort „Mann“ ein?“ - „Rolex! Friseur! Jogginghose! Arbeit! Fußball“, sind sich alle einig. „Kann denn ein Mädchen auch Fußball spielen?“, fragt Renate Wenda. „Ja, schon“, stimmen dem alle zu. Die Mädchen der Klasse haben es satt, von den Burschen immer in eine Schublade gesteckt zu werden.
Nackenschelle mit Zustimmung
„Aber so Mann mit langen Haaren ist schwul. Das geht nicht“, ist sich Mert* sicher. Der Jugendarbeiter Rick erklärt den Jungs, warum „schwul“ keine Beleidigung sein darf. Es folgt eine Übung, bei der die Jungs ihren Sitznachbarn fragen sollen, ob sie ihn an einer Körperstelle, wie z. B. dem Arm berühren dürfen. „Bruder, darf ich dir Nackenschelle geben?“, fragt Marko seinen Sitznachbar. „Klar, immer Bruder. Aber nur leicht, ok?“, „Ok, Bruder.“
„Und genau das ist Zustimmung,“ klärt Rick die Beiden auf. Man solle davor immer fragen, bevor man eine andere Person anfasst. Ein anderer Schüler fragt seinen Nachbarn, ob er seine gegelten Haare berühren darf. Er bekommt sofort ein entschiedenes „Nein“ als Antwort. Rick springt auf, schnappt sich die Kreide und schreibt an die Tafel: „Nein heißt nein!“.
Renate Wenda erklärt den Schülerinnen nebenan, dass um sie herum immer ein Radius existieren sollte, den niemand ohne ihre Zustimmung betreten darf. Sollte das doch eintreten, zeigt die Trainerin schnell zu lernende Selbstverteidigungstechniken. „Das ist ja ur cool!“, klatscht Fatma in die Hände, und fügt mit ernster Miene hinzu: „Das kann man schon gut gebrauchen, wenn man im Dunklen alleine auf der Straße geht.“ Zustimmendes Nicken im Raum. Die Mädchen fangen an, eine nach der anderen, über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu sprechen. Das Erschreckende ist, dass so gut wie jede von den 13-Jährigen Schülerinnen dieser Klasse schon mit Gewalt konfrontiert wurde. Geschichten über belästigende Taxifahrer, Übergriffe seitens älterer und gleichaltriger Männer und Mobbing im Internet werden in die Runde geworfen. Renate macht den jungen Frauen klar, dass sie die Schuld niemals bei sich suchen dürfen – und gibt ihnen Tipps, wie man sich in Notsituationen benimmt. Laut nach Hilfe schreien – das ist der wichtigste Punkt. In den meisten Fällen ist der Täter überrascht und tritt die Flucht an. „Durch Übungen, Informationen und Tipps und Tricks erkennen sie, dass sie körperlich und verbal gut in der Lage sind, sich zu schützen.“, so Renate Wenda. „Wenn ich weiß, was ich tun kann, kann ich in grenzüberschreitenden Situationen selbstbewusst auftreten“.
"Mobber sind Mörder"
Unter den Jungs wird das Thema sexuelle Belästigung ebenfalls heiß debattiert: „Wie würdest du dich denn fühlen, wenn jemand auf der Straße beim Vorbeigehen deinen Arsch kommentiert?“, fragt Rick die anwesenden Burschen. Er erklärt, dass Kommentare über das Aussehen anderer in den meisten Fällen nicht in Ordnung sind – ebenso Witze auf Kosten anderer. Das Thema Mobbing scheint in der Klasse ein sehr präsentes zu sein. Die Jugendlichen debattieren darüber, was es ausmacht, wo die Grenzen beim Spaßmachen enden und dass „Witze auf Kosten anderer nicht lustig sind.“ Rick hat jahrelange Erfahrung im sozialen Bereich und ist begeistert von den heutigen Buben: „Super coole, aufgeschlossene Burschen, die sicher alle ihre eigenen Rucksäcke tragen und es nicht immer leicht im Leben haben“, resümiert Rick hochzufrieden.
Am Schluss sind sich alle einig: Mobbing ist uncool und geht gar nicht. Oder, wie es der 13-jährige Valentino mit ernster Miene ausdrückt: „Denn Mobber sind Mörder“
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