"Gläubig zu sein heißt nicht, asketisch leben zu müssen" - Islamic Finance
Islamic Finance boomt. Etwa 2,5 Billionen US-Dollar sind weltweit bereits halal angelegt. Mittendrin: das deutsche FinTech INAIA. Im Interview erklärt Gründer und Geschäftsführer Emre Akyel, wer entscheidet, ob Finanzprodukte dem Islam entsprechen, und wie sein Unternehmen ohne Zinsen Geld verdient.
Interview: Susan Djahangard
(Anm.: Dieser Text ist in der Sommer-Ausgabe des QAMAR Magazin erschienen. QAMAR ist das erste muslimische Magazin in Österreich, der Artikel erscheint im Rahmen einer Kooperation.)
Herr Akyel, im Jahr 2007 haben Sie ein islamkonformes Finanzunternehmen gegründet. Was hat Sie dazu motiviert?
Unsere Kundinnen und Kunden sind im Durchschnitt 34 Jahre alt. Wir bedienen also eine sehr junge Kundschaft. Natürlich sind viele davon Musliminnen und Muslime – aber auch in der Bibel gibt es ja ein Zinsverbot. Deshalb sind auch einige strenggläubige Katholikinnen und Katholiken bei uns. Genauso haben wir auch jüdische, hinduistische und atheistische Kund:innen. Wir führen aber über die Religionszugehörigkeit keine Statistik, deshalb kann ich hier keine genauen Prozentsätze angeben. Grob geschätzt sind zwei Drittel Musliminnen und Muslime, überwiegend mit Migrationshintergrund. Aber das ändert sich zurzeit – immer mehr Nichtmuslim:innen kommen zu uns.
Sie werben mit dem Slogan „Ethisch. Moralisch. Ertragsorientiert“. Wie passt „ertragsorientiert“ zu einem IslamicFinance-Unternehmen?
Das ist überhaupt kein Widerspruch.Verzicht hat im Islam zwar eine hohe Bedeutung, das sieht man im Ramadan. Aber gläubig zu sein heißt nicht, asketisch leben zu müssen. Allah hat Zinsen verboten, aber Handel erlaubt. Musliminnen und Muslime dürfen und sollen sogar Unternehmen gründen, Waren produzieren, Geld verdienen – weil sie so der Gesellschaft einen Mehrwert bieten, weil sie so Arbeitsplätze schaffen. Außerdem sind wir als Musliminnen und Muslime alle verpflichtet, die Zakāt zu zahlen. Also ist es ja toll, wenn wir vielen Kundinnen und Kunden dabei helfen können, Vermögen aufzubauen, weil davon am Ende viele profitieren, auch arme Menschen.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie auf Ihre Arbeit, etwa auch von anderen deutschen Banken?
Das ist sehr gemischt. Viele Menschen finden spannend, was wir machen, weil es ihnen ähnlich geht wie mir am Anfang: Sie haben ein Problem mit der Gier im kapitalistischen Finanzsystem. Aber wir begegnen ab und an auch groben Vorurteilen, bis hin zur Islamfeindlichkeit seitens deutscher Unternehmen. Ich glaube trotzdem, dass wir mit unserem Unternehmen Brücken bauen können. Wir haben am Anfang überlegt, ob wir uns Islamic Finance überhaupt auf die Fahnen schreiben sollen. Ob wir nicht einfach ein ganz allgemein „ethisches“ FinTech [Finanztechnologie-Unternehmen, Anm.] sein wollen. Wir haben uns dann bewusst für das Branding als islamkonform entschieden, weil wir hoffen, damit Dialog und Verständnis zu fördern. Wenn Menschen sehen, dass wir gute Arbeit leisten, dann assoziieren sie in Zukunft vielleicht auch uns mit „dem Islam“ und nicht nur die negativen Vorstellungen, die sich in den letzten zwanzig Jahren breitgemacht haben.
Eine konventionelle Bank verdient ihr Geld mit Kontogebühren und Zinsen. Wie machen Sie Gewinn?
Wenn wir für jemanden Gold kaufen, dann nehmen wir für diese Dienstleistung ein Entgelt, eine sogenannte Wakala-Gebühr. Das ist islamkonform: Für unseren Service haben wir eine Gegenleistung verdient, die Kosten dürfen nur nicht exzessiv sein. Bald werden wir auch eine Immobilienfinanzierung anbieten. Dafür gibt es verschiedene Modelle, wir setzen auf das Prinzip, das Diminishing Musharaka genannt wird. Das heißt: Eine Kund:in und wir kaufen gemeinsam ein Objekt. Die Kund:in nutzt die Immobilie und zahlt uns für unseren Anteil Miete. Darüber hinaus kauft die Kund:in Monat für Monat Anteile am Haus dazu. Somit reduziert sich unser Mietanteil, bis das Eigentum vollständig auf die Kund:in übergeht. Wir berechnen in den Mietanteilen einen Aufschlag, der uns als Profit zusteht.
Aber ist das dann nicht das Gleiche wie ein Darlehen, das eine Kund:in monatlich tilgt, mit einem Aufpreis, den man normalerweise Zinsen nennt?
Nein, wir sind gemeinsam Eigentümer:innen eines Objekts. Somit gibt es keine Geldleihe, sondern beide Parteien beteiligen sich aktiv am Geschäft. Des Weiteren kalkulieren wir auf einer ganz anderen Basis, die losgelöst vom Marktzins ist.
Neben dem Goldsparplan bieten Sie auch ETF-Sparpläne an, also Sparpläne mit Aktienfonds, die einen Börsenindex abbilden. Damit ist INAIA dann doch im klassischen kapitalistischen Börsenhandel unterwegs. Wie passt das zu dem, was Sie am Anfang gesagt haben – dass Sie mit Zockerei und Spekulation nichts zu tun haben wollen?
Hier muss man sich bewusst machen: An der Börse werden unterschiedliche Produkte gehandelt. Sehr spekulative, wie Wertpapiere, die nur Kursschwankungen abbilden, ohne dass dahinter ein tatsächlicher, physischer Wert steht. Damit zu handeln wäre nicht islamkonform. Mit Aktienfonds hingegen erwirbt man Beteiligungen an Unternehmen. Die Aktien haben einen echten Gegenwert, daher ist das in Ordnung. Wir bieten über verschiedene Depotbanken unterschiedliche Aktienfonds an, so können unsere Kundinnen und Kunden selbst entscheiden, in welche Unternehmen sie investieren möchten und in welche nicht. Abgesehen davon muss man auch die eigene Intention hinterfragen, denn auch in der Finanzwelt gilt die islamische Überlieferung: Die Taten entsprechen den Absichten. Ist meine Absicht, an der Börse zu zocken, so ist das nicht halal. Will ich aber mittel- oder langfristig mit Aktien in ein Unternehmen investieren, ist das mit den Vorschriften des Islam vereinbar.
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