Making of Aspern

08. Oktober 2014

Am Rande Wiens schießt eine der größten Wohnsiedlungen Europas aus dem Boden. Auf einer Fläche doppelt so groß wie die Josefstadt, entstehen Wohnungen, Sportzentren und ein türkisblauer See. Doch, wer sind die Menschen hinter der Baustellen-Fassade?

 

Text: Olivia Mrzyglod

Fotos: Christoph Schlessmann, Olivia Mrzyglod, Marko Mestrovic

 

Da, wo die U2 endet


Eine ganz normale Fahrt in der U2. Bei den meisten ist am Praterstern Endstation. Der Rest sind Ralph-Lauren-tragende WU-Studenten und waschechte Transdanubier. Die sind spätestens bei der Station „Stadlau“ weg. Plötzlich ist der Waggon menschenleer. Die nächste und zugleich Endstation ist „Seestadt Aspern“. Links Landidylle, rechts die größte Baustelle Österreichs.

 

Bis zum Jahr 2028 sollen hier doppelt so viele Menschen leben, wie in Eisenstadt. Zu diesen 20.000 Einwohnern kommen ebenso viele Arbeitsplätze hinzu. Ein Viertel der geplanten Gebäude sind schon bezugsbereit. In ihnen leben die ersten „Pioniere“ Asperns. So nennt man Bewohner, die sich trotz angrenzendem Baustellen-Wahnsinn und fehlender Nahversorgung am östlichen Stadtrand Wiens einquartiert haben. Gesellschaft bekommen sie von den rund 1000 Arbeitern, die täglich ein Haus nach dem anderen aus dem Boden stampfen.

 

Am Rande des Sees, der sich direkt neben der Station befindet, ist eine Gruppe knallorangener Gestalten zu sehen. Sie tragen alle Warnwesten, die ihnen am Anfang ihrer Tour ausgehändigt wurden. „Jeden ersten Freitag im Monat findet eine statt. Man muss sich nur auf der aspern-seestadt.at- Seite anmelden. Bis zu 1.000 Besucher tummeln sich hier an Wochenenden“, erklärt der Gruppenleiter.

 

Mile, der „Insider“

 

Die Tour beginnt. Während der Tross auf einer nigelnagelneuen Straße entlang geht, wird rund um die Wohnungstouristen gebohrt und gespachtelt. Auf einem Container steht ganz groß „Kantine“. Ausgedruckte Bilder von Schnitzelsemmeln und Pizzen schmücken den Eingang. Der Besitzer heißt Mile Savic. Der 53-Jährige ist seit dem ersten Spatenstich der Hauptversoger für hungrige Arbeiter. „Ich kenne mich hier aus, wie niemand sonst“, meint er stolz. In der Mittagspause, so Savic, platz sie aus allen Nähten.

„Ich habe so etwas noch nie gesehen.“ - Als Savic mit seiner Kantine vor einem Jahr ankam, waren hier nur Felder und Sonnenblumen zu sehen. Jetzt ziehen schon die ersten Bewohner ein. Der selbsternannte Insider erzählt weiter, dass sich für eine Wohnung bis zu 50 Leute anmelden. „Bis zu 13.000€ Euro beträgt die Anzahlung auf eine geförderte 3-Zimmer-Wohnung, es werden also keinesfalls Wohnungen für Sozialfälle“, ist sich der Kantineur sicher. Seine Frau fügt vom Nebentisch hinzu: “Das Letzte vom Letzten kommt nicht her. Das wird kein Zehnter oder sechzehnter Bezirk hier, hundertprozentig nicht.“

Egal wer kommt, der gebürtige Serbe will in der Seestadt bleiben und aus der Kantine ein Restaurant machen. Übrigens, Mile hat keine fixen Öffnungszeiten, denn „Sperrstunde hat nur der, der Nachbarn hat“, erklärt er lachend.

 

Diese Hände bauen eure Stadt

Nachdem sich die Tagestouristen in der Kantine gestärkt haben, geht die Führung weiter. Bekanntlich wird eine Stadt nicht von im Büro herumsitzenden Geschäftsleuten errichtet. Es sind Hände von Bauarbeitern, die in waghalsigen Höhen Fassaden bemalen, in der prallen Sonne den Metallbau machen und im Akkord Rohre verlegen. „Die meisten sind aus ex-jugoslawischen Ländern oder dem Ostblock. Besonders beim Rohbau, also der Anfangsphase des Gebäudes, werden sie geholt, um die Drecksarbeit zu erledigen. Die Fachkräfte wie Elektriker sind Österreicher“, mutmaßt ein Bauarbeiter, der lieber anonym bleiben möchte. „Unsere Hände bauen eure Stadt“, sagt Piotrek, ein polnischer Fassadenbauer, während er eine Wurstsemmel verputzt.

 


Frauenpower trifft Männerschweiß

 

Auf ihrem blitzblauen Fahrrad rollt eine Frau an der Touristen-Gruppe vorbei. „Super, das ist sicher auch eine Schaulustige“, schreit eine Dame mittleren Alters. Auf die Frage, was sie an diesem ungewöhnlichen Ausflugsziel macht, zückt sie ein mit rosa Glitzersteinchen verziertes Etui und holt ihre Visitenkarte heraus. „Mag. Christine Spiess, Projektleiterin Seestadt Aspern“. Ob es kompliziert sei als Frau über so vielen Männern zu stehen? „Keinesfalls! Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht kompliziert bin“, meint Frau Spiess lächelnd. „Übrigens wird die Seestadt weiblich. Jeder Straßen- und Park-Name gebührt einer starken Frau“, sagt sie und radelt auf der Schotterstraße davon.  

 

Die mittlerweile erschöpften Touristen begeben sich langsam Richtung U-Bahn Station. Auf einmal schreit einer aus der Gruppe: „Schaut, da fliegt eine Kugel herum.“ Um ihre Neugierde zu befriedigen, robbt der Mann übers Feld. Er nähert sich vorsichtig dem Werfer, einem durchtrainierten Athleten, der auf den Namen Stefan Dumtrica hört. Mehrmals die Woche kommt der Rumäne nach Aspern und trainiert für die europaweiten Turniere der Highland Games. „Noch nie davon gehört? Das kennen die wenigsten“, beruhigt er uns. „Es ist ein Nationalsport aus Schottland. Neben Baumstammwerfen und Hammerwerfen gehört auch Steinweitwurf zu den Disziplinen.“ So mischt sich auch die schottische Kultur in die wohl angesagteste Baustelle Europas.

 

Zahlen & Fakten

•         Die Seestadt Aspern ist zurzeit das größte Stadtentwicklungsprojekt  Europas.

•         Auf einer Fläche von 350 Fußballfeldern werden etwa 20.000 Menschen leben.

•         Insgesamt 4 Mrd. Euro werden in das Projekt investiert.

•         Die U2 wurde eigens für die Seestadt um drei Stationen ausgebaut. 

•         Die ersten Einwohner sind Anfang 2014 eingezogen.

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