Was ist eine „gute“ Türkin?

14. April 2023

Jahrelang musste sie sich anhören, dass für sie auf österreichischen Theaterbühnen kein Platz ist. Heute ist Zeynep die erste türkischstämmige Schauspielerin im Burgtheater-Ensemble.

von: Zeynep Buyraç, Fotos: Christoph Liebentritt
 

"Aber warum möchten Sie gerade in Wien Schauspiel studieren? Es gibt in der Türkei ja auch Schauspielschulen, oder?”

20 Jahre später kann ich mich tatsächlich nicht mehr an meine Antwort erinnern. Mit größter Wahrscheinlichkeit aber war sie so überzeugend, dass die Aufnahmekommission der Schauspielabteilung entschied, es mit mir doch zu probieren. Mit der 19-jährigen Istanbulerin, deren Vorname auch die Jahre darauf unaussprechbar blieb – geschweige denn ihr Nachname. Allerdings ist es in meinem Fall kaum notwendig, den Nachnamen zu verwenden, da es in den letzten 20 Jahren kaum eine andere Schauspielerin auf österreichischen Bühnen gegeben hat, die Zeynep hieß. In der Türkei heißt übrigens jede zweite so.

Foto: Christoph Liebentritt
Foto: Christoph Liebentritt

 

Von der Mehrheit zur Minderheit geworden

Ich heiße also Zeynep. Immer noch, obwohl mir während meiner gesamten Schauspiellaufbahn in den letzten 20 Jahren mehr als einmal geraten wurde, den Namen zu ändern, da es sonst angeblich sehr schwierig gewesen wäre, eine Schauspielkarriere in Österreich anzugehen. Und da ich für einige viele bioösterreichische Augen gerade noch südeuropäisch genug aussah, wäre es also mit einer Namensänderung mehr als ausreichend gewesen, auch für ganz normale” Rollen in Frage zu kommen. Ich blieb aber bei meinem Namen. Erstens war ich nicht kreativ genug, mir einen anderen auszusuchen, und zweitens hatte ich somit bei vielen Vorsprechen und Castings auch automatisch einen Grund für Small Talk. Zuerst musste ich ihn ein paar Mal wiederholen, bis er halbwegs richtig klang, danach nahm ich dankend das Lob entgegen, dass ich der deutschen Sprache so mächtig war, obwohl ich gar nicht hier geboren und aufgewachsen bin.

Dieser Enthusiasmus ging manchmal so weit, dass ich als junge Schauspielerin bei sogenannten come-togethers mit Publikum sogar Applaus dafür bekam. Mit Anfang zwanzig und frisch in Österreich angekommen fand ich es sogar putzig, dass man aus mir von heute auf morgen ein Integrationswunder machen wollte, ohne dass ich nur einen einzigen Tag versucht hatte, mich zu integrieren. Im Nachhinein betrachtet war mir zu dem damaligen Zeitpunkt dieses mächtige Wort sogar fremd, da es während meiner gesamten Zeit in der renommierten Deutschen Schule in Istanbul – eines der Gymnasien in der Türkei von Eliten für Elite - kein einziges Mal beigebracht worden war. Ich kam also aus einer Metropole, aufgewachsen mit dem Gefühl, auf der sicheren Seite der Mehrheit zu liegen, mit einem gut situierten bürgerlichen Elternhaus im Hintergrund, ausgebildet in einer der teuersten Schulen des Landes, mit dem Luxuswunsch, im Ausland Schauspiel zu studieren, und plötzlich war ich da und alles, was früher als selbstverständlich erreichbar zu sein schien, galt also nun als Ausnahme. Ich war also nicht nur die Türkin inÖsterreich, sondern die gute Türkin, denn bis auf den Namen konnte ich ja alles, was gut integrierte nun mal so können müssen, ich trank gerne Wein und aß Schweinefleisch, trug kein Kopftuch, das wienerische Sudern hatte ich auch drauf. Damals vor 20 Jahren war Diversität zwar noch nicht en vogue, aber man konnte mit mir schon ziemlich gut angeben und ich war dankbar – dankbar für die Jobs, für den Applaus, für das Gefühl etwas geschafft zu haben, das für Menschen mit ähnlichen Einwanderungsgeschichten nicht vorgesehen war.

Foto: Christoph Liebentritt
Foto: Christoph Liebentritt

Warum ist mir etwas gelungen, was vielen von uns verweigert blieb?

Nun aber kannte ich auch kaum eine andere Einwanderungsgeschichte als meine eigene, denn während meiner gesamten Schauspielausbildung und auch Jahre danach waren meine einzigen Begegnungen innerhalb eines Theaters in meiner Muttersprache jene mit den Reinigungskräften. Das waren Frauen, die doppelt so viel leisteten wie ich, aber für sie war kein Applaus drinnen, ihre Geschichten waren nicht fancy genug für Small Talks während Premierenfeiern. Natürlich gab es auch vor 20 Jahren da und dort einzelne KämpferInnen, für die die Stadt gerade noch so viele Subventionen übrig hatte, dass sie im ganz kleinen Rahmen unterschwelliges Migrantentheater machen durften – also Theater von MigrantInnen für MigrantInnen mit einem enormen sozialpolitischen Engagement, sie erledigten also die schwerste Arbeit ohne Ruhm, während die gesamte österreichische Hochkultur eine homogene Realität der Gesellschaft auf der Bühne behauptete, die es ab dem Bühnenausgang schlicht und ergreifend nicht gab. Auch nicht vor 20 Jahren. Warum ist mir etwas gelungen, was vielen von uns verweigert blieb? 

Ich bin hauptberuflich Schauspielerin. Und was meinen Beruf betrifft, hieß und heißt es harte Arbeit. Harte Arbeit, um sein Handwerk zu lernen. Harte Arbeit, um in einer Fremdsprache zu spielen. Harte Arbeit, nicht an Absagen, Niederlagen zu zerbrechen. Harte Arbeit, sich daran zu gewöhnen, in permanenter Unsicherheit zu leben; nicht zu wissen, wann das nächste Engagement kommt; nicht aufzugeben; Kritik ernst zu nehmen, aber sich trotzdem treu bleiben. Und in meinem Fall doppelt so harte Arbeit – weil ich eine Frau bin. Und eine, die in Österreich Zeynep heißt. Allerdings mit einem ganz großen Unterschied zu vielen anderen Zeyneps in diesem Land: Ich bin nicht hier geboren. Nicht hier aufgewachsen. Ein Leben in diesem Land ist meine Entscheidung. Weil ich das große Privileg hatte, eine gute Schulausbildung genießen zu dürfen. Weil ich das unfassbare Glück hatte, nicht mit 6 Jahren schon aussortiert worden zu sein – Schule hieß für mich nicht eine Institution der Exklusion. Ich kenne keine Mika-Tests (Anm.d.Red.: Standartisiertes Messverfahren zur Feststellung der Deutschkompetenz von Kindern und Jugendlichen mit Deutsch als Zweitsprache). Ich musste als Kind nicht beweisen, dass ich dazugehöre. Genau so wenig musste ich mir anhören, dass ich erst dann ein Teil einer Gesellschaft auf Augenhöhe bin, wenn ich etwas geleistet habe. Ich bin aufgewachsen mit einem Gefühl der Zugehörigkeit, alleine durch mein Dasein. Sehr wohl aber kenne ich den Kampf gegen das Patriarchat von meiner Kindheit an. Denn in der Türkei muss Frau kämpfen. Genauso wie in Österreich. Mit dem einzigen Unterschied, dass die Diskriminierung der Frauen hier viel subtiler stattfindet. In Form von Kindergartenöffnungszeiten zum Beispiel. Oder Diskussionen über die Notwendigkeit des Genderns. Die europäische Literaturgeschichte ist gepflastert mit den Leichen schöner junger Frauen. 

Wenn wir heute von einem Problem der misslungenen Integration reden - und damit ist natürlich eine seit Jahren misslungene Bildungspolitik gemeint -, dann reden wir nicht über Glaubens- und Herkunftsunterschiede. Wir reden über persönliche Vergangenheiten, die nichts anderes sind als die Welten, in denen wir sozialisiert worden sind. Und die Suche nach der Antwort auf die Frage „Wer ist wir?“ wird sich nur an dem Tag erübrigen, an dem wir uns tatsächlich selber aussuchen können, wer wir wirklich sein möchten, ohne die von der sozialen Ordnung vorgegebene eigene Identität für sich neu formen zu müssen.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Alte Muster durchbrechen

Und ja, ich bin Österreicherin. Und Türkin. Beides geht.  Es ist nicht verwirrend. Es ist nicht beängstigend. Ich komme mit mir ziemlich gut klar. Mehr als das, ich bin sogar ziemlich glücklich darüber. Auch wenn ich keine Ahnung habe, was einen echten Österreicher ausmacht. Noch weniger weiß ich Bescheid darüber, was einen echten Türken ausmacht. Ich muss es nicht wissen. Ich brauche kein nationales Zugehörigkeitsgefühl, um meine Identität zu formen. Ich brauche keinen Nationalstolz, um meine Persönlichkeit definieren zu können. Allerdings habe ich, wie gesagt, leicht reden, denn ich hatte die Möglichkeit, mir das Land, in dem ich lebe und den Beruf, den ich ausübe, freiwillig aussuchen können. Und wenn meine achtjährige Tochter nach Lust und Laune zwischen ihren beiden Vornamen Leyla und Sophia hin und her wechselt, ist dies keineswegs ein Zeichen des durch gelungene Integration errungenen Kosmopolitentums, sondern es ist der Beweis dafür. 

 Erst durch meine Auswanderung nach Österreich vor 17 Jahren bin ich meiner türkischen Herkunft bewusst geworden. Dass ich auf meine Geburtsurkunde reduziert wurde, irritierte mich damals sehr. Heute denke ich mit einem Lächeln daran zurück. Über die Jahre habe ich mir also, vielleicht auch berufsbedingt, den Spaß erlaubt, immer die „Fremde“ sein zu können, wann immer ich Lust dazu hatte. So bin ich in Tirol die Wienerin, in Deutschland die Österreicherin und in Konya die Istanbulerin. Zuhause fühle ich mich aber in Ottakring. ●

 

Zeynep Buyraç ist 41 Jahre alt und die erste türkischstämmige Schauspielerin im Burgtheaterensemble.  

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