„Wer Kinder bekommt, wird bestraft“

21. Oktober 2021

Anm. d. Red.: Dieser Text ist eine Replik auf den Artikel „Bekommt eure Kinder jetzt – bevor es zu spät ist!“ aus der letzten Ausgabe. Mit dieser Message an junge Frauen verabschiedete sich biber-Chefredakteurin Delna Antia-Tatić vergangenen September in die Babykarenz. Der Text stieß auf unglaubliche Resonanz und löste hitzige Diskussionen in den Kommentarspalten unser Social Media Kanäle aus – auch innerhalb der Redaktion wurde diskutiert und überlegt. Ob Kinder kriegen Anfang Zwanzig so viel „gescheiter“ ist als Ende Dreißig? Eine hat es jedenfalls getan.

Foto: Zoe Opratko
Foto: Zoe Opratko

Mit jungen 22 Jahren wurde Autorin Sandra Schmidhofer Mama. In ihrem damaligen Freundeskreis war sie die Erste mit Kind. Heute, fünf Jahre später, ist sie immer noch die Einzige.

Von Sandra Schmidhofer

Kopfschütteln, Gelächter, Irritation – das waren die Reaktionen meiner Freund:innen, wenn ich gefragt habe, ob sie nicht auch bald Nachwuchs wollen. „Noch lange nicht“, war die Standardantwort. Und so blieb ich auf Spielplätzen und in Baby-Cafés oft die Einzige, die nicht Mitte 30 war und sich Gedanken über Hauskauf, Hochzeiten oder Scheidungen machte. Nach einiger Zeit habe ich sie dann doch gefunden: Die jungen Mütter und Väter, die auf unterschiedlichste Weise ihr Familienglück leben – es gibt uns, doch wir sind in der Minderheit.

VON NORMAL ZU ABNORMAL

„Du bist die Babysitterin, oder?“ – eine Frage, die ich vor allem in den ersten zwei Lebensjahren meiner Tochter unzählige Male gestellt bekommen habe. Die Reaktionen auf meine Antwort waren oft daneben. „Du bist die Mutter? Nein, das glaube ich nicht!“ oder „Du bist doch noch viel zu jung!“ waren hier unangenehme Klassiker. Dass manche junge Erwachsene es wagen, Kinder zu bekommen, scheint für viele fast ein Skandal zu sein. Dabei ist es noch nicht so lange her, da war es ganz normal, Anfang 20 Kinder zu bekommen. Laut dem österreichischen Institut für Familienforschung der Universität Wien lag das Durchschnittsalter einer Mutter bei ihrer ersten Geburt 1980 bei 23,3 Jahren. Seither ist dieses Alter stetig angestiegen und lag 2019 bei 29,9 Jahren.

Dass sich junge Menschen mit der Familienplanung heute mehr Zeit lassen, kann ich durchaus verstehen. Denn jungen Eltern wird es nicht gerade leicht gemacht. Ausbildung und Elternsein zu vereinbaren, ist herausfordernd. Als junge Frau, die gerade ins Berufsleben einsteigt, begegne ich einer Unmenge an Anforderungen – allen voran jene nach uneingeschränkter zeitlicher Flexibilität, die ich als Mutter schlicht und ergreifend nicht erbringen kann. Das Kind kann ich schließlich nicht nach Betriebsschluss aus dem Kindergarten abholen und Babysitter lassen sich nicht spontan aus dem Ärmel zaubern. Auf Rücksicht von Seiten der Arbeitgeber kann ich nur hoffen, in der Regel gibt es sie nur dort, wo Frauen in Führungspositionen sitzen. Dazu kommt, dass es in vielen Branchen großen Konkurrenzkampf gibt. Als Mama fällt es schwer, da mitzuhalten. Plötzlich ist man wieder abhängig von der Familie oder von Institutionen wie Kindergärten und Horten – und das in einer Lebensphase, in der Unabhängigkeit und Selbstbestimmung einen großen Stellenwert haben.

ARBEIT, STUDIUM, KIND?

Von uneingeschränkter Freiheit können meine kinderlosen Freund:innen trotzdem nicht berichten. Für manche ist es auch ohne Kind schwierig, eine WorkLife-Balance zu finden. Neben Arbeit, Studium und Freizeitaktivitäten noch ein Kind großzuziehen, scheint für viele unvorstellbar. Und es stimmt: Es verlangt einem ein hohes Maß an ManagementQualitäten ab, Job, Kinderspielplatzbesuche, Buch vorlesen, Küche putzen und die „tägliche“ Yogaroutine unter einen Hut zu bringen. Hinzu kommt, dass Partnerschaften in jungen Jahren oft instabil oder gar inexistent sind. Es macht also Sinn, das Elternwerden auf später zu verschieben, wenn man einen sicheren Job hat, eine feste Partnerschaft, und eine große Wohnung. Wenn man das Jungsein genossen hat, erstmal nur für sich selbst leben konnte. Oder?

DER DENKFEHLER

So sehr ich den Gedankengang verstehen kann, so sehr glaube ich, dass ihm ein grundsätzlicher Denkfehler unterliegt. Es wird nicht leichter, wenn man älter wird. Einige Probleme, die einem mit Anfang 20 begegnen, begleiten einen weit ins Erwachsenenalter hinein. Schwierigkeiten, Job und Familie zu vereinbaren, gibt es auch mit Mitte 30. Partnerschaften können auch in diesem Alter in die Brüche gehen. Viele Schwierigkeiten haben weniger mit dem Alter als mit den Strukturen zu tun, in denen wir leben. Oft habe ich das Gefühl, dass Frauen fürs Kinderbekommen regelrecht bestraft werden. Mit schlechteren Chancen auf einen Job, geringerem Gehalt, niedrigerer Pension und wenig Anerkennung für die Leistung, die sie erbringen. Ungerechte Aufteilung der Familienarbeit hat nach wie vor traurige Tradition. Was Familien jeden Alters brauchen, ist gesellschaftliche und politische Anerkennung. Und zwar nicht in Form von Lobgesang und netten Worten, sondern in familienfreundlichen Arbeitsbedingungen und Ausbildungsmöglichkeiten sowie einer grundsätzlichen Toleranz für unterschiedliche Lebensumstände. Statt also seine kostbare fruchtbare Zeit damit zu verschwenden, auf den perfekten Moment für das erste Kind zu warten, macht es mehr Sinn, sich für die notwendigen Umstände einzusetzen und sie einzufordern – bei unseren Arbeitgeber:innen, Bildungseinrichtungen, Politiker:innen und Partner:innen. 

 

 

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