Mein perfektes Social Media Ich

12. Dezember 2016

Ob Facebook-Freunde oder YouTube-Stars:
Online sind alle perfekt, vom Lidstrich bis zum Porridge. Alles Schein oder nur geschönter Ausschnitt?

Von Jelena Pantić

Foto: Frank Teich
Foto: Frank Teich


Ist es euch schon einmal passiert, dass ihr eine Person nur online kanntet, sie dann in echt gesehen habt und euren Augen nicht trauen konntet? Das Styling war nicht halb so sexy und das Selbstbewusstsein von den Fotos wie weggewischt. Die Kluft zwischen dem Social Media Auftritt und der Person vor eurer Nase damit riesig. Die Fitness und Comedy YouTuberin Valentina Vale weiß um dieses „Social Media Ich” Bescheid: „Man kann ganz genau entscheiden, was man postet und was nicht. Je nachdem wird dann ein Image von dir geschaffen, das andere Leute sehen können.”

Sind wir auf Social Media also wer wir sind oder wer wir gerne wären? Bei einem Blick auf Vales Profile fällt auf, dass sie regelmäßig tolle sexy Shootings hat. In echt ist sie aber mehr Messy Bun und Cardigan statt knapper Body und Smokey Eyes. „Man lernt super zu posen, man lernt gut zu fotografieren und zu retuschieren. Diese 'perfekte' Version von mir ist nur eine Momentaufnahme”, sagt Vale. Social-Media-Regel Nummer eins lautet also: Du siehst nur den Ausschnitt, den ich dir zeigen will. Wenn dieser Social Media Ausschnitt von der Frau aus Fleisch und Blut jedoch stark abweicht, macht sich schnell Enttäuschung breit. Oder aber man ist schwer erleichtert, dass die Person aus dem Internet doch nicht so perfekt ist.

Foto: Frank Teich
Foto: Frank Teich

Nur eine Seite der Medaille

Diesen Reality-Check bekommen wir aber nicht immer. Deshalb schafft es die omnipräsente Online-Perfektion uns fertig zu machen. Ein Blick auf Facebook reicht: Deine Freunde
sind auf Urlaub, verlobt, kriegen Babys, ihre Gesichter sind symmetrischer als deins und karrieretechnisch sind sie dir meilenweit voraus. Dazu kommen Bloggerinnen, die jung, schön, fit, gesund, vegan, umweltbewusst, aktivistisch, tierlieb, erfolgreich, ständig unterwegs und in perfekten Beziehungen sind. Nach einiger Zeit des Scrollens durch ihre Instagram-Feeds entstehen innerlich unzählige #relationshipgoals, #bodygoals, #lifegoals und die eine unweigerliche Frage: Bin ich gut genug?

Man weiß schon länger: Social Media trägt nicht zwingend dazu bei, dass wir uns besser fühlen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Durch den andauernden Vergleich mit anderen schneiden wir meistens schlechter ab und fühlen uns minderwertig. Einer der Gründe dafür ist „die stark idealisierte Selbstdarstellung der anderen gegenüber den eigenen”, sagt Psychologin Sandra Gerö und fügt hinzu, dass „normale bis depressiv gefärbte Gefühle zu einem negativ ausfallenden Vergleich führen, aus dem man in entsprechender Stimmung leicht schließen kann, dass man eben offensichtlich ein Versager im Leben ist.” Autsch. Das Problem: Wir vergleichen unser Leben mit all seinen guten und schlechten Seiten mit einem, von dem wir nur einen bestimmten Ausschnitt sehen - nämlich den allerbesten. Dass dieses Ungleichgewicht zu Unzufriedenheit führt, ist ganz klar.

Die Reaktion darauf?

Selber posten was das Zeug hält. Auf Urlaub warst du erst, wenn du Fotos im Kokosnussbikini unter Palmen gepostet hast. Du warst im Fitness-Center trainieren? Pics or it didn’t happen. Wozu gehst du gut essen, wenn du es nicht bisschen bearbeitest und teilst? „Niemand hängt sich ein hässliches Bild ins Zimmer und ins Fotoalbum kommen nur die schönsten Bilder. Und gepostet wird dann natürlich auch das, was gefällt”, erklärt die Psychologin Sandra Gerö unseren Hang zur inszenierten Selbstdarstellung. Aber zeigen wir anderen auch, wenn wir zusammengekauert am Badezimmerboden heulen? Nein, natürlich nicht. Wer will das schon preisgeben? Vor allem: Es würde wahrscheinlich auch kaum jemand sehen wollen. Wir Zuschauerinnen wollen das Perfekte, auch wenn wir wissen, dass es nicht echt ist. Unsere Social Media Kumpanen flunkern uns ein bisschen an und wir sie auch. „Das ist die Konvention: Man gibt sich zuversichtlich, glücklich und erfolgreich. Wir sind soziale Wesen, und nur im intimsten Kreis zeigen wir unser wahres Ich. Warum soll es auf Social Media anders sein?”, bestätigt Gerö. Das finden auch die drei Lifestyle-Bloggerinnen von The Cosmopolitas: „Man ist eher dazu motiviert, etwas mit Menschen zu teilen, wenn das Ereignis positiv ist. Man will die negativen Seiten des Lebens eher für sich behalten und zeigt diese nur sehr selten der breiten Öffentlichkeit.”

instagram.com/the_cosmopolitas
instagram.com/the_cosmopolitas

Auch Ethic-Lifestyle-Bloggerin Stellamina konzentriert sich auf das Positive. Sie ist 21, hübsch, trainiert regelmäßig, liebt Tiere und achtet auf die Umwelt. Ihr Instagram-Feed fungiert als Tagebuch ihrer schönsten Momente, die sie wirklich so erlebt hat und festhalten möchte. Was man auf ihren mit Liebe zum Detail gestalteten Fotos aber nicht sieht: „Momente der Verzweiflung vor den Prüfungen, Augenringe nach einer langen Nacht, dass ich auch im Urlaub jeden Tag arbeite und Abschalten kaum möglich ist”, zählt Amina auf. An diese Momente möchte sie sich aber nicht ständig erinnern und teilt sie demnach auch nicht. Die Wahlwienerinnen mit ex-jugoslawischem Background „The Cosmopolitas“ zeigen in ihrer YouTube-Serie „The Real Blogger Life” beispielsweise wie lästig und anstrengend ein mühelos aussehendes Unboxing von Beauty-Produkten hinter der Kamera ist. Sie wollen darauf aufmerksam machen, dass hinter dem perfekten Lifestyle harte Arbeit steckt. „Ich darf diesen Traum leben, weil ich viel dafür tue”, sagt auch Amina. Ihr Leben ist also sehr schön, aber eben nicht nur. Und das ist der springende Punkt.

instagram.com/stellamina
instagram.com/stellamina

Influencerinnen wissen also ganz genau wie der Hase hinter dem Fotobearbeitungsprogramm läuft, und trotzdem: Auch sie schaffen es nicht immer, das Vergleichen zu vermeiden. Amina versucht das gelassen zu sehen: „Ich habe zeitlich nicht dieselben Kapazitäten wie jemand der Vollzeit bloggt – also kann ich nicht dieselbe Menge an Content produzieren und das ist okay! Ich habe erst vor ein paar Monaten angefangen mich mit Zero-Waste zu beschäftigen, also kann ich nicht das Wissen haben wie jemand, der das seit zwei Jahren macht.” Und diesen Ratschlag nehmen wir uns zu Herzen. Das nächste Mal, wenn wir durch perfekte Feeds scrollen, könnten wir ja versuchen, bewusst zu entscheiden, was davon wir annehmen wollen. Man kann sich ja wirklich dazu inspirieren lassen besser zu frühstücken, weniger Fleisch zu essen, mehr Sport zu machen oder seinen Stil auszuleben. Aber ohne Zwang. Social Media ist ein Hilfsmittel, das uns dienen sollte und uns nicht zu selbstbemitleidenden, unzufriedenen Gefangenen macht. Nutzen wir es auch so. Und immer im Hinterkopf behalten: Die schönsten Momente passieren doch immer dann, wenn keine Kamera dabei ist. Und wenn doch wieder die Selbstzweifel einkehren, denken wir an Vales Worte: „Jeder Mensch hat unterschiedliche Facetten, aber das Echte ist dennoch das Beste." 

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