200 Tage im Lager

29. Mai 2015

Dan bijelih traka

Dan bijelih traka
Foto: bereitgestellt/Dan bijelih traka

Prijedor, eine Stadt im Nordosten Bosnien und Herzegowina. Sie befindet sich in der Republika Srpska. Mai 1992. Alle Nicht-Serben werden aufgefordert, ihre Häuser mit weißen Tüchern zu kennzeichnen und ein weißes Band um den Arm zu tragen. Der heute 43-Jährige Satko Mujagic hat all das hautnah miterlebt. Ich habe mit ihm über den Angriff auf Prijedor und seine Zeit im Lager in Omarska gesprochen.


„Es wurde den ganzen Tag geschossen“, erinnert sich Satko Mujagic. „Meine Familie und ich sind ein paar Tage vor dem 31. Mai aus unserer Heimatstadt Kozarac nach Prijedor geflüchtet.“ (Anm.: Kozarac ist etwa 12 Kilometer von Prijedor entfernt). Ende Mai verkündete ein Radiosender, dass Prijedor von Serben angegriffen wird und alle nicht-serbischen Bewohner der Stadt ihr Haus mit einem weißen Tuch kennzeichnen und ein weißes Band um ihren Arm tragen müssen. „Ich selbst habe kein weißes Band getragen“, erzählt der heute 43-Jährige. „Das liegt aber nur daran, dass ich an diesem Tag mit etwa 150 anderen Männern ins Lager in Omarska gebracht wurde.“

Das erste Mal wurden Mitglieder einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe 1939 vom NS-Dekret auf ähnliche Weise, mit einem Davidstern, gebrandmarkt. Auch Hilmija Draganovic war im Mai 1992 in Prijedor. „Wir mussten alle diese Bänder tragen, um uns kennzuzeichnen. Auf unseren Häusern hingen weiße Laken oder Fahnen, damit zu erkennen war, ob Nicht-Serben hier leben“ erzählt der 54-Jährige, der "Glück” hatte. Denn im Gegensatz zu seinen zwei Brüdern war er nicht in einem der Lager rund um Prijedor.

200 Tage.

Satko hat drei Monate im Lager in Omarska, einer Stadt in der Nähe von Prijedor verbracht. Vier weitere Monate war er im Lager Manjaca, nahe der Stadt Banja Luka. „Ich habe insgesamt 200 Tage in diesen Lagern verbracht.“ Täglich wurden Menschen erschossen. Sie wurden malträtiert, erniedrigt, vergewaltigt. Im August 1992 wurde das Lager geschlossen, nachdem die Gräueltaten von Medien aufgedeckt wurden.

"Die Männer befanden sich in verschiedenen Stadien des menschlichen Verfalls und Leidens; die Knochen ihrer Ellbogen und Handgelenke traten hervor wie Teile von zackigen Steinen. Von den bleistiftstarken Stelzen zu denen ihre Arme abgemagert waren. Nichts ist vergleichbar mit dem Anblick eines Gefangenen, der sehnlichst sprechen und seine furchtbare Wahrheit, die so nah und auch so fern ist, mitteilen möchte, sich aber doch nicht traut. Ihr Zustand brennt, und sie sprechen nur mit ihrem schrecklichen Schweigen, und mit ihren Augen, in denen die völlige und pure Angst ohne Hoffnung brennt“,

zitiert ESI, ist ein gemeinnütziger Verein, den britischen Journalisten Ed Vulliamy aus seinem Buch (Seasons in Hell, 1994). Er war während des Balkankrieges in Omarska. Er blieb auch Jahre danach mit den ehemaligen Lager-Insassen in Kontakt. 2012 schrieb der "The Guardian"-Redakteur wieder über sie. In dem Artikel erzählen die Opfer noch einmal von den Gräueltaten, die ihnen widerfahren sind. Da wäre Jadranka Cigelj oder Dzemal Partusic, die beide im Lager in Omarska waren. Oder Fikret Akic, der im Lager Trnopolje war. Einer der Erzähler ist auch Satko Mujagic.

Satko Mujagic, Bosnien, Krieg, Serben, KZ-Lager
Foto: bereitgestellt/Satko Mujagic

Heute lebt Satko in Brüssel und setzt sich ehrenamtlich für die Aufarbeitung der Verbrechen während des Krieges ein. 2004 gründete er in Holland „Optimisti Kozarac“, eine Art Stiftung, die am Aufbau der zerstörten Stadt Kozarac mitgearbeitet hat und sich unter Anderem für eine Gedenkstätte im Lager in Omarska einsetzt. Der Vorsitzende ist sein Cousin mit Sitz in Kozarac - auch er war im Lager. Die Initiative leistet Aufklärungsarbeit mit allen ethnischen Gruppen in Prijedor und Umgebung.

2012 kam Überlebenden von Prijedor die Idee, den internationalen Tag der weißen Bänder am 31. Mai ins Leben zu rufen. Die bosnische Diaspora und Menschenrechtsaktivisten wollen damit allen Opfern des Krieges gedenken. „Gedenktage wie der 31. Mai sind enorm wichtig, weil Prijedor und der gesamte Balkan die Vergangenheit noch nicht verarbeitet haben“, so Satko. „Kriegsverbrecher, Massenermordungen sowie grausame Lager müssen anerkannt und verurteilt werden, das ist ein wichtiger Schritt um Frieden schließen zu können." Bevor er seine Erzählung abschließt, stellt er noch eine Sache klar: „Es ist wichtig zu betonen, dass immer mehr Serben an den Gedenkfeiern teilnehmen. Was eigentlich Politiker und Verantwortliche tun müssten, übernehmen stattdessen die Menschen, die sich bewusst sind, was in Prijedor passiert ist.“

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 Am 31.Mai findet auch in Wien eine Gedenkfeier am Stephansplatz um 17 Uhr statt.

 

Weiterführende Links:

http://www.theguardian.com/world/2012/apr/08/bosnia-camps-ed-vulliamy
http://www.theguardian.com/world/1992/aug/07/warcrimes.edvulliamy
http://balkans.aljazeera.net/tag/dan-bijelih-traka
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13684618.html

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