Das große „Aber“ der Body-Positivity-Bewegung: Wie 115 kg mein Leben bestimmten

16. August 2023

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Das Model Angelina Duplisea (C) Miley Cyrus auf YouTube

Als 15-Jähriger wog ich ganze 115 Kilogramm. Ein bisschen Body-Positivity hätte mir in dieser Zeit sicher nicht geschadet – aber es gibt einen kleinen Haken.

Von Filip Lazar

Abgesehen von den Vorwürfen, die sich um die US-amerikanische Popsängerin Lizzo häufen, gilt sie immer noch als Kernfigur für mehr Body Positivity – wenn auch ihr Image beschädigt ist. Mitunter soll sie ihre Mit-Peformerinnen aufgrund ihres Gewicht verbal attackiert haben. Womöglich wäre es ohne Lizzo niemals möglich gewesen, dass es eines Tages auch ein Plus-Size-Model auf das Cover der „Sports Illustrated“ schafft. Über eine Künstlerin mit Lizzos Aussehen und einem solchen popkulturellen Einfluss hätte sich mein 15-jähriges Ich gefreut. Ich wog damals selbst 115 Kilo.

Als Kind war ich immer schon dicker als andere – aber hinterfragte dies lange Zeit nicht. Sicherlich hörte ich Kommentare wie „Dickerchen“ oder „Iss‘ doch nicht so viel“, aber ich empfand mein Aussehen nicht als Problem. Bis die Pubertät mit etwa 14 Jahren einsetzte – denn ich merkte, dass bei meinen Altersgenossen Merkmale wie Behaarung sichtbar wurden, während mein Körper unverändert blieb.

Fatphobic – oder nur ehrlich?

Ich hatte weder Körperbehaarung, noch war ich im Stimmbruch oder hatte sonst irgendwelche Anzeichen der Pubertät. Bei einem Arztbesuch stellte sich heraus, dass mein Übergewicht meine Entwicklung beeinträchtigte. Neben der Tatsache, dass ich ständig Schweißattacken hatte, schnell die Puste verlor und sich Schürfwunden an den Innenseiten meiner Oberschenkel bildeten, war dies ein regelrechter Weckruf für mich. Über diese Begleiterscheinungen von Übergewicht wird in der heutigen Body-Positivity-Bewegung wenig bis gar nicht gesprochen. Es versteht sich von selbst, dass niemand aufgrund seines Aussehens diskriminiert werden soll und, dass Körper, die nicht normschön sind Sichtbarkeit verdienen. Aber bei einigen Beispielen scheiden sich die Geister: Das Model Angelina Duplisea wiegt bei einer Körpergröße von 1,63m mehr als 170 Kilogramm. Nachdem sie in einem Musikvideo von Miley Cyrus einen Auftritt hatte, löste sie eine Debatte aus: Glorifiziert sie mit ihrer Erscheinung starkes Übergewicht, oder macht sie es nur sichtbar und signalisiert, dass jeder Mensch einfach er selbst sein kann? Als jemand, der selbst mit seinem Gewicht zu kämpfen hatte, sehe ich es problematisch, einen Körper mit solchen Maßen als „normal“ zu präsentieren. Jegliche Kritik wird jedoch schnell als „fatphobic“ oder Hass abgestempelt. Die Debatte ist generell sehr emotionalisiert.

Psychische Probleme und Übergewicht

Spätestens, als mir mein erster Crush bei einem Date sagte: „Du hast ein schönes Gesicht, aber du bist mir einfach zu dick“ wusste ich, dass ich meinen Lebensstil radikal ändern musste: Ich begann viel Sport zu machen und krempelte meine Ernährung komplett um. In einem Jahr verlor ich mehr als 50 kg. Mit Body-Positivity hat meine Erfahrung wenig zu tun – und dennoch bin ich dankbar dafür. Ich fühlte mich nämlich viel besser in meinem neuen Körper: Beim Treppensteigen war ich nach einem Stockwerk nicht erledigt, ich konnte Kleidung einkaufen, die mir gefiel und fühlte mich physisch und auch psychisch besser. Laut Studien leiden übergewichtige Menschen eher an Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen – auch ich habe mich in der Zeit als Übergewichtiger oft geistig nicht wohl gefühlt.

Es mag sein, dass manche „Fatfluencer:innen“ und auch Lizzo sich pudelwohl in ihren Körpern fühlen – ich persönlich konnte es nicht schönreden, wie gefangen ich mich einst in meinem Körper gefühlt habe. Wie vorhin schon erwähnt, bringt Fettleibigkeit viele Nachteile mit sich und ich bin sehr froh aus dieser Phase meines Lebens draußen zu sein. Also Body Positivity – ja, bitte! Aber dann sollten auch Probleme ehrlich debattiert werden können, ohne als Hater bezeichnet zu werden.

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