Demokratie in guten wie in schlechten Zeiten

20. Juli 2015

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Teoman Tiftik
Foto by Marko Mestrovic

Vor einigen Wochen schaffte die kurdische HDP, eine sogenannte Minderheitenpartei in der Türkei, den Einzug ins türkische Parlament. Österreichische Politiker feierten das als Wunder und einen Sieg der Demokratie. Eine Türkische Liste in Österreich ist nicht willkommen. Warum?


Perfektes Futter für das Sommerloch: Dr. Turgay Taskiran, Simmeringer Allgemeinmediziner und Ex Obmann der UETD ( Union Europäisch Türkischer Demokraten) hat angekündigt, eine türkische Liste für die Wienwahl aufzustellen. Als vor einigen Wochen noch der Einzug der HDP ins türkische Parlament als Sieg der Demokratie gefeiert wurde, ist man heute über die Ankündigung einer Migranten-Liste nicht mehr erfreut.

Medien pauschalisieren und so wird kurzerhand aus einer Liste eine Migrantenpartei und aus dem Ex-Vereinobsman der UETD wird schnell ein Obmann der „Auslandstürken“. Beide Informationen sind einfach nur falsch, weil es eben keine Partei ist und die UETD (die der türkischen AKP nahe steht) keinesfalls “die Auslandstürken” repräsentiert und die Türkei auch nicht nur aus der AKP besteht.

3254 Vorzugsstimmen für Platz 166

Man kann von der türkischen Liste halten, was man will. Man kann sie unterstützen oder nicht, aber viele sind ja schon allein aufgrund der Tatsache entsetzt, dass es eine solche Liste geben soll. Den Türken wird wieder mal Integrationsunwilligkeit und Missbrauch der Gastfreundschaft vorgeworfen. Man jongliert mit Zahlen und zeigt auf, wieviele die Liste wählen müssten, damit die Rechnung aufgeht.

Bullshit!

Man sollte sich lieber fragen, warum es notwendig ist, dass Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, es für nötig empfinden, so eine Liste zu gründen. Jahrelang wurden sie von den großen Parteien auf unwählbaren Plätzen gelistet und als Stimmenfänger ausgenutzt. In jeder Partei gibt es etliche solcher Kandidaten. Ich erinnere mich an Gülsüm Namaldi, gereiht auf Platz 166, die mit 3254 Stimmen sechsmal so viele Vorzugsstimmen bekam, wie der damalige amtierende Vizebürgermeister Ludwig. Wo ist Gülsüm Namaldi heute? Was macht sie? Warum spielt sie kein Rolle in der SPÖ? Renate Brauner, die nicht einmal die Hälfte der Vorzugsstimmen erreichte, ist Vizebürgermeisterin. Sebastian Kurz erhielt damals 660 Vorzugsstimmen und ist heute Außenminister.

Türkische Liste - kontraproduktiv

Ich halte die Migranten-Liste für kontraproduktiv, vor allem wenn es darum gehen soll, den Rechtsruck zu mindern. Allerdings finde ich die Einstellung gegenüber dem Vorhaben noch viel schlimmer, was mich wiederum dazu bewegt, mich mit Dr. Turgay Taskiran zu solidarisieren. Er und seine Kollegen wollen Politik machen. Auch mal am Hebel sitzen und etwas tun. Sie möchten am politischen Geschehen teilhaben. Wenn sie das gut machen und rüberbringen, werden sie gewählt werden, wenn nicht, dann werden sie auf die Nase fallen. Das ist Demokratie. So habe ich das in Österreich gelernt und deshalb verstehe ich die Kommentare der Menschen nicht, die sich noch vor einigen Wochen über den Einzug der HDP ins türkische Parlament gefreut haben, aber sich nicht über die türkische Liste freuen können.

Demokratie gilt auch für türkische Liste

Das Argument, die türkische Liste wäre über die UETD indirekt von Erdogan mitfinanziert, lasse ich nicht gelten, denn die HDP ist der politische Arm der PKK, die wiederum im EU-Raum und in den USA als Terrororganisation eingestuft ist. Nichts destotrotz kann ich das Unbehagen nachvollziehen. Es ist etwas Neues und in Österreich ist es üblich, etwas Neuem generell mal skeptisch gegenüber zu stehen. Eine türkische Liste würde Wählerschwund bei der SPÖ bedeuten und die FPÖ kann sich daran ergötzen, weil sie jetzt noch mehr Hass schüren können, indem sie auf die “Türken-Partei” zeigen.

Achtung jetzt kommt der Knackpunkt

Migranten 1. Generation waren oft Arbeiter und wählten jahrelang treu die SPÖ, weil man sagte, dass die SPÖ die einzige Partei ist, die sich für Ausländer und Arbeiter einsetzt. Nun ist es aber so, dass Migranten nicht immer Arbeiter sind und auch andere gesellschaftliche Interessen entwickelt haben. Parteien müssen sich attraktive Inhalte überlegen, die diese Menschen anspricht, weil sie schon längst Teil dieser Gesellschaft und dieses System geworden sind.

Nur zu sagen, dass man gegen Ausländerhetze ist, ist nämlich keine Integrationspolitik, sondern selbstverständlich und Menschenpflicht.

 

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Kommentare

 

Warum man sich über die HDP freut, aber nicht über die türkische Liste in Wien?
Vielleicht weil Herr Taskiran letztens im NEWS gemeint hat, dass er strikt gegen die Gleichstellung von Homosexuellen im Standesamt ist?
Super, ganz großes Kino, so stellt man sich eine Partei vor, die für Toleranz steht - weiterso.
Da macht derStandard eine mehrteilige Artikelserie, um das Vorurteil zu widerlegen, das Migranten heteronormative Machos sind ... und dann das.

Ja, etablierte "österreichische" Parteien haben scheinbar (leider) auch ein Problem mit der Homoehe. Aber die schreiben sich zumindest nicht fett "Toleranz" und "gegen den Rechtsruck" auf die Stirn.

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