Die Kunst des „Niksens“

10. Oktober 2022

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entspannen; niksen; Landschaft;
Photo by Nick Page on Unsplash.

Einfach mal für ein paar Minuten aus dem Fenster schauen oder Hühner beim Gackern beobachten? Das klingt nach unproduktiver Prokrastination, ist aber die niederländische Kunst des „Niksens“. Und die verspricht sowohl Entspannung als auch kreative Ergüsse. Was steckt hinter dem hippen Lebenskonzept und wie nikst man richtig? Ein Selbstversuch.

Ich sitze auf der Couch, meine Füße stehen beide etwas unbequem, – aber dafür geerdet – auf dem Boden. Ich lasse meinen Blick unscharf auf dem Fenster vor mir verweilen und konzentriere mich angestrengt darauf, nichts zu tun. Das liest sich auf den ersten Blick vielleicht absurd, ist aber schwer im Trend. Mit meiner Intention, nichts zu tun, schließe ich mich dem niederländischen Lebenskonzept des „Niksens“ an.
            Niksen leitet sich von dem niederländischen Wort „niks“ (zu Deutsch: „nichts“) ab und bedeutet wortwörtlich ins Deutsche übersetzt „nichtsen“ – sinngemäß also „nichts tun“. Ganz einfach erklärt steckt hinter diesem Konzept die Idee, dass wir uns im Alltag bewusst Zeit nehmen, um nichts zu tun. Die Frage, wie viele Niederländer*innen dieses bewusste Nichtstun tatsächlich praktizieren, lässt sich schwer beantworten. Einerseits liegt das daran, dass es keine Vereine, Treffen oder Telegramgruppen fürs Niksen gibt. Andererseits lässt sich die Zahl der niksenden Menschen schwer einschätzen, weil das Niksen selbst ein sehr vages Konzept ist: Was genau tut man, wenn man nikst? Schließlich tun wir ständig etwas, – selbst wenn wir schlafen. Vielleicht können wir einen niksenden Menschen deshalb am besten mit einem stillstehenden Auto, dessen Motor läuft, vergleichen. Denn es geht beim Niksen vor allem darum, etwas zu tun, das keinen Sinn oder Zweck erfüllt – wie zum Beispiel Hühner beim Gackern zu beobachten.

Generell gesprochen, kann man sich für niksendes Beobachten von Hühnern keine gesellschaftliche Anerkennung erwarten. Letztlich hat man damit nichts Produktives gemacht. Ja, kritische Stimmen könnten Nikser*innen sogar unterstellen, sie würden nur auf der Bärenhaut liegen und hätten einfach ein schickes neues Wort erfunden, um ihre eigene Faulheit zu vertuschen. Eine solche Unterstellung wäre aber etwas zu voreilig. Eine Studie der University of Central Lancshire belegt nämlich, dass totale Untätigkeit unsere Kreativität steigert. Außerdem können wir durch regelmäßiges niksen Probleme besser lösen und haben leichter kreative Einfälle. Alles in allem scheint niksen so etwas wie eine Tankstelle der Produktivität und Kreativität zu sein. Niksen ist also weniger „faulenzen“ und mehr „aufladen“.

Mit diesem Wissen im Hinterkopf sitze ich jetzt auf meinem Sofa und versuche nichts zu tun. Das klingt erst mal ganz schön einfach, ist aber ganz schön schwer. Trotz meiner guten Absichten ereilen mich ständig Gedankenblitze mit Handlungen, die ich jetzt sofort ausführen könnte: „Hat mein Handy gerade etwa geklingelt? Da muss ich doch schnell mal nachschauen, wer das war.“ Oder: „Ach scheiße, morgen ist ja Dienstag! Ich muss die Uniarbeit noch fertig schreiben.“ Während ich also apathisch aus dem Fenster starre, um zur Ruhe zu kommen, schwirren meine Gedanken in derart rasantem Tempo durcheinander, dass mein Gehirn sich anfühlt wie eine Waschmaschine im Schleudergang. Wirklich entspannend ist das nicht, und ich frage mich, warum es so anstrengend ist, dieses niksen.

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