Die Stiefkinder von Corona

20. August 2020

Delna Antia-Tatic

Delna Antia-Tatic
Zoe Opratko

Wird Kroatien dem Westbalkan bevorzugt? Warum sind Negativ-Ergebnisse so wurscht? Und bleibt Gewaltanwendung weiterhin Testnormalität bei Kleinkindern? Österreichs Testpolitik ist "problematisch". 

Österreichs Teststrategie ist „problematisch“ – um mal das Jugendwort der Saison zu bemühen. Erstens, wenn auf einmal rückkehrende Urlauber aus Kroatien im August kostenlos getestet werden können, fragt man sich schon, warum das nicht schon vorher möglich war? Warum hat man diesen liebevollen Puffer nicht bereits im Juli zugestanden, wo kurzerhand der Westbalkan zur Risikozone erklärt wurde? Bin das nur ich oder wirkt das stiefkindlich? Man könnte eine Bevorzugung von Segelbootbesitzern an der Adria gegenüber Großfamilienbesuchern am Balkan vermuten.

Segelbootbesitzer vs. Großfamilienbesucher

Denn ja mei, so dachte man sich wohl, in Bosnien und Co macht ja keiner ernsthaft Urlaub. Nur diese paar hunderttausend Migranten – also eh nur jene Österreicherinnen und Österreicher zweiter Klasse. Überhaupt, da soll man sich gar nicht beschweren, der Westbalkan wurde pünktlich zu Ferienbeginn dicht gemacht, nicht wie jetzt zum Ende der Urlaubssaison. Damals haben alle noch rechtzeitig aus ihrem BMW aussteigen und einfach auf den Heimatbesuch „unten“ verzichten können. War ja nicht so schlimm, es ging darum Schlimmstes im Land zu verhindern. Viel wichtiger war zu kommunizieren, dass ungehorsame Migranten keine Scherereien mit ihrer Arbeit provozieren sollten, Konsequenzen selbst tragen müssen und Strafen anfallen. Dass Kroatien damals nicht schon mit gestrichen wurde, sollte man sich schon selbst erklären und am besten nicht geographisch. Die Idee, solch kostenlose Tests für Westbalkan-Rückkehrer ein paar Tage lang anzubieten, war so gesehen absurd. Man hat hier zulande ja noch Wahlen zu bestreiten und will sich mit verschwenderischer Symbolpolitik nicht herumärgern. Zumal das Regierungsmotto Integration durch Spaltung lautet und darin eine Anerkennung von migrantischen Lebensrealitäten problematisch wäre. Überhaupt, was rede ich von großen Gesten, die hatte man doch eh geboten! Erinnert ihr euch? Es hat da irgendwann einmal diesen tollen Applaus für alle Systemerhalter gegeben – und das sogar ohne Indexierung. (Die holt man dafür jetzt beim einmaligen Corona-Familienbonus nach). Und die 24h-Pflegerinnen können ja heute auch total froh und dankbar sein, dass das Gesundheitsministerium endlich nach sechs Monaten verkündet, die Kosten ihrer Tests zu übernehmen, wenn sie von Österreich in Sonderzügen aus Rumänien und Co heran transportiert werden, weil hierzulande keiner ihre Arbeit machen will. Sogar rückwirkend. Warum das so lange gedauert hat, will ich gar nicht erst fragen. Es sind ja gute Nachrichten. So wie die, dass auch die jungen Beachboys von den Balearen für ihre Testung nicht eigens in die Tasche greifen müssen – sofern sie sich an das Zeitfenster zur Heimkehr halten. Immerhin, wie man so liest, kommen ja derzeit vor allem Männer um die 23 Jahre alt positiv ins Land zurück. Aber am Ballermann eine Maske zu tragen ist tatsächlich problematisch. Oder wisst ihr, wie man sonst die Sangria zu zehnt aus Eimern trinken soll?

Um bei aller Ironie nicht missverstanden zu werden: Ich finde die kostenlose Testung von Rückkehrern aus Ländern, die kurzerhand als Risikoland eingestuft werden müssen, gut. Ich finde es schade und ein politisches Versäumnis, es nicht schon beim Westbalkan so gehandhabt zu haben. Denn dieses Prozedere macht nicht nur rational Sinn, was die Eindämmung der Virusverbreitung betrifft, es besitzt darüber hinaus eine emotionale Botschaft: Deine Stadt, dein Land halten zu dir. Du brauchst weder Geldbörse noch Symptome mitbringen, Ludwigs Drive-in und Anschobers 1450-Hotline testen alle und die Rechnung geht aufs Haus. Deutschland hat diese Freiwilligen-Strategie übrigens schon seit Juli so praktiziert – sogar mit Option für Rückkehrer aus Nicht-Risikoländern. So konnten sich zum Beispiel Deutsche testen lassen, die ihren Urlaub in Kurz‘ sicherem Österreich gebucht hatten, etwa am Wolfgangsee oder so. Hier bin jetzt nicht ich ironisch, sondern das Virus.

Wer nichts hört, ist negativ

Gar nicht lustig ist dagegen eine andere Praxis im österreichischen Testprozedere. Dagegen ist die Länder- und Herkunftshaarspalterei ein Kinkerlitzchen. Es geht nämlich gar nicht, sehr geschätzter Herr Gesundheitsminister, dass die Ergebnisse so auf sich warten lassen. Und damit meine ich jetzt nicht die Reiserückkehrer-Testungen, sondern jene „normalen“. Bei 1450, der Hotline deines Vertrauens, wird einem ganz offen kommuniziert, dass Positiv-Ergebnisse recht rasch rückgemeldet werden, negativ-Ergebnisse aber auf sich warten lassen. O-Ton: „Sollten sie lange nichts hören, sind Sie sehr wahrscheinlich negativ.“ Längsten falls vier Tage, aber wer weiß. Liebe Leute, das ist Selbstmord. Und damit meine ich nicht nur, dass Ergebnisse am selben Tag nötig wären, sondern ich meine die Wertung. Dass jemand, der positiv auf das gefährliche Virus getestet wurde, das unverzüglich erfahren sollte – für sich und für seine Mitmenschen – ist klar. Dass aber auch eine ganz normale Arbeitnehmerin und Mutter wie ich, bitteschön ihr negatives Ergebnis unverzüglich erfahren muss, sollte bitte auch beachtet werden. Andernfalls können sich die Wirtschaft und alle Familien mit ihr den Herbst und Winter in die Haare schmieren. Warum? Weil das Warten auf das Ergebnis immer bedeutet, in dieser Zeit ein „Verdachtsfall“ zu sein – sprich Heimquarantäne ist angesagt. Selbst erlebt: Mein Kind bekam Husten und Fieber. Die Mutter in mir wusste, er hatte zu lange im kalten Wasser geplanscht. Gerade kleine Kinder, so eines ist mein großer Junge, bekommen bekanntlich sehr regelmäßig Husten und Fieber. Besonders gern in Kombination. Und weil kranke Kinder ihre Mütter nachts ganz besonders innig lieben, bekam auch ich Halsweh. Alles eigentlich pups-normal. Doch der Kindergarten erwartete eine ärztliche Bescheinigung, sobald mein Sohn wiederkäme, nur unsere Kinderärztin war im Urlaub. Und weil auch mir ein kleiner Nehammer im Kopf eingepflanzt wurde, der Schuldängste verursacht, rief ich 1450 an – und wurde zum Verdachtsfall. So musste ich alle beruflichen Termine absagen und eine lang geplante Team-Klausur drohte zu scheitern. Denn wie ankündigt wartete ich Tage! Und nicht nur beruflich zog die Sache einen Rattenschwanz nach sich, ich konnte ja nicht einmal für mein Kind zum Supermarkt. Das ist doch Irrsinn. Wenn das die Strategie für den Herbst ist, dann sind die Konsequenzen für das Arbeitsleben, aber auch für die Familien und die Bildung so etwas von problematisch, dass es schon fast haram ist.

Nicht alle Kinder können gurgeln!

Doch, um nicht so düster zu enden, will auch ich den Silberstreifen am Horizont nicht unerwähnt lassen: Den Gurgeltest. Obwohl man hier und da an seiner Effektivität zweifelt, scheint das Ding für die Schulen eine prima Sache zu sein. Vor allem weil das Ergebnis schneller kommt und das Gurgeln den Kindern nicht weh tut. Denn in der Gehirnmasse gekitzelt zu werden, so wie beim Nasenabstrich, ist nicht sonderlich angenehm. Ich habe da nur eine Randbemerkung: Mein Kind kann nicht gurgeln. Der ist zwei. Ich frage mich allen Ernstes, wie mein Kleiner und andere „unfähige“ Kindergartenbesucher ab Herbst regelmäßig getestet werden sollen? Denn die jetzige Lösung, nur einen Rachenabstrich zu nehmen, funktioniert nicht besonders gut. Es mag ja sein, dass ich ein besonders störrisches bzw. willensstarkes Exemplar daheim habe. Immerhin braucht es bei jedem Kinderarztbesuch drei Erwachsene, die ihm Hände, Füße und Kopf festhalten, um ihm in Ohren und Rachen zu schauen. Nur schauen wohl gemerkt, das ist Standardprozedere vor jeder Impfung. Doch auch das bravste Kind wird spätestens beim zweiten Mal Corona-Stäbchen nicht mehr freiwillig den Mund sekundenlang aufreißen. Die Arzthelferin berichtete mir schon von Fällen, wo Kinder seit ihrer Testerfahrung nichts mehr im Mund mit sich machen lassen. Die Lösung: Mit Gewalt, so die Ärztin. Ginge nicht anders. Mir graust davor. Denn auch wenn ich bei ihr weiß, dass sie ihn nicht verletzen wird, ist das Erlebnis doch furchtbar und hinterlässt Spuren. Von Erwachsenen festgehalten zu werden, irgendwie den Mund aufgesperrt zu kriegen und dann womöglich noch von so einem weißen Mondmann ohne Gesicht ein Stäbchen in den Hals zu kriegen – obwohl du verzweifelt schreist. Das ist schlimm. Ein Rachentest ist zwar besser als die Stäbchen-Himmelsfahrt in die Nase, aber angenehm ist anders. Da kann ich als Mutter noch so lustig mit gutem Beispiel vorangehen und der Mondmann noch so fröhlich mit seinem Anzug knistern und unter seiner Maske lachen. Mein Sohn durchschaute das Spielchen sofort und hielt sich schreiend beide Fäuste vor den Mund. So war ich dankbar, als der Mann vom Roten Kreuz entschied, die Testung abzubrechen. „Wir können niemanden zwingen.“ Ihm tat mein panisches Kind leid. Außerdem wurde ich, die Mama, ja eh getestet. Bis heute weiß ich ihm das hoch anzurechnen. Dass mit „Niemand“ auch so ein kleiner „Jemand“ wie mein Kind gemeint war, hat mir viel bedeutet. Doch jedes Mal wird das nicht möglich sein. Ich würde mir daher auch eine schmerzfreie Lösung für Kleinkinder wünschen – und dass wir endlich aufhören, sie wie Stiefkinder am Ende der Pandemiekette zu behandeln. Denn das ist schon lange mehr als problematisch.

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