Doch kein Brexit? Briten spielen mit der Union

27. Juni 2016

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Brexit
Foto: pixabay.com

Für viele ist der Tag nach dem EU-Referendum ein schwarzer Freitag. Vor allem aber offenbart der Sieg der EU-Skeptiker eine schwierige Zukunft für das Vereinigte Königreich und Europa. Während eine Petition der Remain-Fraktion, die einen Verbleib Großbritanniens in der EU befürwortet, bereits über drei Millionen UnterstützerInnen gewinnt, sprechen manche Medien auch schon von „Bregret“, eine kreative Wortschöpfung, die das Bedauern über den Brexit umschreibt.

Die EU drängt Großbritannien nach dem eindeutigen Wahlergebnis des Referendums, in dem die Mehrheit der 33 Millionen WählerInnen für einen Brexit stimmten, zu schnellem Handeln. Entgegen der Ankündigung des Premiers, sich im Fall eines Leave-Votums möglichst bald auf Artikel 50 des Lissabon-Vertrags zu berufen, bleibt Großbritannien untätig. Das verstärkt die Unsicherheit der Märkte und bringt die EU zusätzlich ins Schwitzen. So warnen die EU-Gründungsväter am Samstag auch vor einem Katz-und-Maus-Spiel.

Innenpolitisch geht es aber zumindest schon einmal rund. David Cameron gab noch am Freitagvormittag vor versammelter Presse seinen Rücktritt als Premier bekannt. Sein Nachfolger wird aller Voraussicht nach Boris Johnson heißen. Wieso gerade das bedeuten könnte, dass Großbritannien nicht austritt, glaubt der Guardian zu wissen.

„Wahrscheinlich realisieren es viele Brexiters noch nicht, aber sie haben verloren.“ Mit seinem Rücktritt habe „Cameron das Referendumsergebnis aufgehoben und gleichzeitig die Karriere von Boris Johnson zerstört“, heißt es im Kommentar des Guardian.

Als selbst dem letzten Union-Jack-Fetischisten die Dimension eines Austritts bewusst werden musste, war das Pfund bereits auf Talfahrt, die Märkte in hellen Aufruhr und Schottland, Nordirland und Gibraltar schon halb auf Unabhängigkeitskurs gebracht. Verblüfft stellte man fest, dass die Themen, die eine Brexit-Debatte dominieren hätten sollen, nämlich die wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen einer Scheidung von der EU, in einer Migrationspolemik untergingen.

„Das Ergebnis des Referendums ist nicht bindend. Das Parlament ist nicht dazu angehalten, sich der gewünschten Vorgehensweise zu verpflichten.“ Daher stellt der Guardian die entscheidende Frage: „Wer will die Verantwortung für all jene Auswirkungen tragen?“ Sollte Boris Johnson das Amt Camerons nach dem Parteitag der Konservativen übernehmen, muss er die Entscheidung über den Brexit, den er zuvor befürwortet hat, treffen. „Er ist schachmatt.“ Wenn Johnson Großbritannien aus der EU führt, dann ist eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe absehbar. Rezession und die Abspaltung Nordirlands und Schottlands. Tut er es nicht, wird er genauso unglaubwürdig und stellt sich gegen einen Volksentscheid. „Boris Johnson weiß das alles. Wenn er wie der Stumme blond handelt, ist es genau das: ein Schauspiel.“

„Die Brexiters haben jetzt ein Ergebnis, das sie nicht verwenden können. Für die Führung der Tory-Partei wurde das Referendum zum Giftkelch“, aus dem man lieber nicht trinken will. „Als Boris Johnson sagte, dass er keine Notwendigkeit sieht, Artikel 50 sofort auszulösen, meinte er damit eigentlich ihn "nie" auszulösen“, scheint sich der Guardian sicher.

An die Einheit der Europäischen Union können aber weder Johnson noch Cameron gedacht haben bei ihren inner- und parteipolitischen Machtkämpfen. Die leidtragendenden sind nämlich nicht nur die Briten, sondern vor allem die Union. Obwohl manche vor einer Kettenreaktion und Austrittswellen warnen, evoziert ein Austritt Großbritanniens wohl eher ein abschreckendes Bild. Sollte Großbritannien jedoch wie beschrieben auf Zeit spielen, birgt dies nur noch mehr Verunsicherung und Gefahren für den Rest der EU. Die Briten fordern gerne einen „better deal“, aber vielleicht muss sich die Union nun entscheiden, ob der bessere Deal für Europa Brexit bedeutet.

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