Erdbeben in der Türkei und Syrien: Zu privilegiert, um zu helfen?

09. Februar 2023

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Screenshot: TikTok Kommentar

„Muss man jetzt wirklich alle Regale mit Babynahrung leer kaufen? Lasst was für unsere deutschen Babys übrig!“, mit diesen Worten fordert eine Tikokerin, dass keine Babynahrung mehr gekauft wird, um sie in die Türkei zu schicken. Und sie ist nicht die Einzige, duzende Videos von verärgerten Müttern aus Österreich und Deutschland landen momentan auf meiner TikTok Foryou Page. Je weiter ich scrolle, desto skurriler werden die Aussagen. „Wollt ihr, dass UNSERE Babys etwa verhungern?“ oder „Sollen wir unseren Kindern jetzt mit Zeitungen den Arsch abwischen?“, Diese Kommentare bringen mich zur Weißglut. Sie sitzen in ihrem warmen Zuhause und beschweren sich über ein leeres Regal im Drogeriemarkt, während uns seit Montagmorgen apokalyptische Szenen aus der Türkei und Syrien erreichen. Kinder, Babys und Säuglinge werden jeden Tag aus Trümmern geborgen, manche auch bereits tot. Häufig sind die Eltern entweder verstorben oder es wird noch nach ihnen gesucht. Die Menschen haben ihre komplette Existenz verloren und können nicht einfach eben zum nächsten Supermarkt gehen und sich ihre Babynahrung oder Windeln besorgen. Teilweise fehlt es ihnen nämlich bereits an sauberem Trinkwasser. Die Kinder vor Ort haben zum Teil über 40 Stunden unter eingestürzten Häusern gelegen, ohne etwas zum Essen oder Trinken. Die Mengen an Babyprodukten, die gerade gespendet werden sind da nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Kein Baby in Deutschland und Österreich wird verhungern, da wir nicht in so einer Katastrophe stecken, und es hier immer Möglichkeiten gibt Nahrung zu besorgen.

Politische Hetze zu Krisenzeiten

Kritik zum Spenden kommt auch auf politischer Ebene: „Jetzt muss Schluss sein mit Millionengeschenken an das Ausland!“, schrieb am Dienstag Niederösterreichs FPÖ-Chef Udo Landbauer über Facebook. Gemeint sind damit die drei Millionen Euro, die Österreich aus dem Auslandskatastrophenfonds für Hilfsorganisationen in der Türkei zugesagt hat. Die Tatsache, dass er das Geld als Geschenk beschreibt ist unglaublich problematisch, da es die Situation verharmlost. Es ist echt unbegreiflich, wie man sogar solch eine Situation für seine eigene Hetze verwenden kann.

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Screenshot: Facebook Udo Landbauer

Hochzeitskleider und High-Heels: ernsthaft?

„Wir haben eine Spendenaktion gestartet und keine Müllabfuhr“, lässt eine freiwillige Helferin einer Sachspendensammelstelle in Deutschland ihren Frust in einem TikTok Video raus. Im Moment laufen in Österreich und Deutschland mehrere Spendenaktionen für die Opfer des Erdbebens. Freiwillige sammeln Sachspenden, sortieren sie und bringen sie im Anschluss in die Krisengebiete. Benötigt werden warme Winterklamotten, feste Schuhe, Decken, Hygieneartikel und Babynahrung. In den Spenden findet sich allerdings immer häufiger Unbrauchbares. In den Spendenkartons liegen Hochzeitskleider, Stöckelschuhe, Hotpants und Bikinis, aber auch kaputte und dreckige Klamotten und Decken wurden abgegeben. „Wenn es mir schlecht gehen würde, dann würde ich auch alles anziehen, was man mir gibt!“ und „Also ein Danke habe ich bis jetzt noch nicht von denen gehört!“, sind einige der vielen privilegierten Antworten auf die Bitte der Helfer:innen nur Brauchbares zu spenden. Wahrscheinlich würden die Menschen auf den Straßen der Türkei und Syrien auch diese zerrissenen und schmutzigen Klamotten anziehen, aber wieso wollt ihr sie damit noch mehr erniedrigen? Es geht darum, den Menschen zu helfen und nicht darum, dass ihr mal euren Schrank ausmisten könnt.

Wenn ihr nicht spenden wollt oder könnt, dann ist das in Ordnung. Keiner zwingt euch etwas herzugeben, aber bitte hört auf mit diesen gehässigen Kommentaren und euch selbst als Opfer darzustellen. Die Menschen kämpfen gerade um ihr Überleben, während einige hier in Sicherheit ihren Krokodilstränen freien Lauf lassen.

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Kommentare

 

Syrien ist ein „failed state“, aber nicht erst seit dem Bürgerkrieg. Denn die Bevölkerung hat sich seit 1960 vervierfacht, der Kriegsindex stieg auf gefährliche 3.5 an. Seit Jahren trocknet der Norden aus und über die Felder treibt der Staub. Anders als die Israelis, hat man es in Syrien nie geschafft, ein funktionierendes Wirtschaftssystem für die rasant wachsende Bevölkerung aufzustellen. Die Bauten sind Bruchbuden, die jungen Männer voller Aggressionen.
„welt-warum Syrer niemals wieder Deutschland verlassen werden“

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