Generation Erasmus

29. August 2016

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Generation Erasmus
Foto: pexels.com

Sie sind jung, ausgebildet und wollen Europa entdecken. Sie wandern nicht wegen Kriegen oder drohender Arbeitslosigkeit aus, sondern aus Neugier und Abenteuersucht. Über die Erasmus-Generation oder eine andere Migrationsart.


Win-win-Situation

Wäre die Erasmus-Initiative von der EU nicht ins Leben gerufen worden, hätten Millionen von Studenten nie die Chance gehabt, in einem anderen Land auf dem Kontinent zu studieren oder zu arbeiten. Beim Studieren sieht alles ganz einfach aus: Man darf ein Semester oder das ganze Studienjahr an der Universität seiner Wahl in Europa studieren und dafür bekommt man finanzielle Unterstützung und Anerkennung des Auslandssemesters in seinem Heimatland. Was die Arbeit angeht, dürfen Studenten ein Praktikum für ihr Studium in einem anderen europäischen Staat abschließen. Bezahlt werden sie meistens auch von der EU. Viele Erasmus-Praktika-Anbieter zählen meistens darauf und bieten daher keine Gehälter. Win-win-Situation, oder?

Wozu das Ganze?

Was will eigentlich die EU damit erreichen? Ist das Erasmus-Programm eine Art karitatives Projekt: Die europäische Kommission gibt so viel aus, ohne im Gegenzug etwas zu bekommen? Die Antwort ist: Nein. Der Zweck hört sich lobenswert an: „Globale neue Bürger“ formen, die sich überall in Europa zuhause fühlen und anpassen können. Ein solcher europäischer Bürger hat einen Uni-Abschluss hinter sich, spricht fließend mindestens drei Sprachen, ist weltoffen und tolerant und arbeitet gerne in einem multikulturellen Umfeld. Er ist fleißig, produktiv und „proaktiv“, wie man in letzter Zeit so schön im korporatistischen Jargon zu sagen pflegt. Das bekämpft die beängstigende Arbeitslosigkeit und trägt zur wirtschaftlichen Produktivität bei.

Migration mal anders

Viele ehemalige Erasmus-Studenten wandern irgendwann irgendwo anders hin aus. Durch ihren vorübergehenden akademischen Aufenthalt kommen sie in den Genuss des Lebens im Ausland, vor dem sie sich früher vielleicht gefürchtet hätten.

Ich gehöre selber zu dieser Generation. In einer Zeit, in der die Europäische Union als die böse Hexe dargestellt wird, die für Ungleichgewicht und Probleme auf der ganzen Welt sorgt, würde ich mir nie erlauben, sie zu tadeln. Wäre sie nicht gewesen, hätte ich es nicht so leicht gehabt, in meiner Wahlheimat Österreich zu studieren und zu arbeiten. Ja, ich bin zwar weder vor dem Krieg geflüchtet, noch habe ich versucht, vor der Arbeitslosigkeit oder der wirtschaftlichen / politischen / was-auch-immer-ischen Lage meiner Heimat wegzulaufen. Es war eine zwanglose und freiwillige Entscheidung meinerseits.

In einer Zeit, in der Menschen dazu verdonnert werden, aus ihren Heimatländern auszuwandern, hat meine Geschichte so einen Hauch von „dem armen verwöhnten Kind war daheim langweilig“. In einer Zeit, in der sich der Rechtspopulismus und die Ausländerfeindlichkeit ständig zuspitzen und die Devise „jeder bleibt lieber bei sich zuhause“ in aller Munde ist, fällt es mir manchmal schwer zu sagen, dass ich, Vertreterin der Erasmus-Generation, gewollt und ohne meine Heimat zu verachten, ins Ausland ausgewandert bin. Es hört sich so an, als ob ich mit diesem Riesenprivileg angäbe und das wäre die letzte meiner Absichten.

Es gibt auch andere Gründe

Mir persönlich hat mein Erasmus-Aufenthalt geholfen, einen Ort zu entdecken, wo ich mich mental und physisch besser fühle und wo ich mein berufliches und privates Leben von Grund auf aufbauen mag. Wahrlich, aller Anfang ist bekanntlich schwer, aber ich habe alle Herausforderungen in Kauf genommen und habe mir daher ein großes Ziel gesetzt. Ich bin da, weder um vom österreichischen Sozialstaat zu schmarotzen noch um Englisch als Hauptkommunikationssprache zu benutzen.  Ich bin nicht da, um Multimillionärin zu werden und Paläste in meiner Heimatstadt zu errichten. Ich bin nicht da, weil mir Rumänien unerträglich geworden ist. Solange es gesetzlich erlaubt ist, darf ich mir einen Ort auf dieser Welt aussuchen, wo ich glücklich und zufrieden mit meinem Leben sein kann. 

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