Geplanter Boykott und staatliche Kriminalität

30. Mai 2023

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Kosovo, Wahl-Boykott, Polizei, KFOR, NATO
© LAURA HASANI / REUTERS / picturedesk.com

Gewaltsame Ausschreitungen bei Demonstrationen, Z-Schmierereien und verbrecherische Allianzen: Was passiert gerade im Kosovo?

Schon seit Jahren sorgen Auseinandersetzungen im Kosovo zwischen der serbischen und albanischen Bevölkerung für Schlagzeilen. Vor allem in den letzten Monaten kam es zu immer stärkeren Spannungen im Norden des Kosovo. Zuerst aufgrund der von serbischen Nationalist:innen organisierten Straßenbarrikaden, die als Reaktion auf die angepassten Bedingungen für serbische Staatsbürger:innen bei den Grenzkontrollen im Kosovo stattfanden. Nun sorgen erneut serbische Demonstrant:innen für Unruhen im Norden der Republik, diese protestieren gegen die Amtsübernahme von ethnisch-albanischen Bürgermeistern in drei Gemeinden. Die besagten Wahlen fanden im April 2023, nach dem Rücktritt der ethnisch-serbischen Bürgermeister, statt und wurden nach Anweisungen aus Belgrad von den serbischen Einwohner:innen diesen Gemeinden boykottiert. Unter diesen Umständen kam es bei den Kommunalwahlen in der beinahe ausschließlich von Serb:innen bewohnten Region zu einer Wahlbeteiligung von 3,5 Prozent und ausnahmslos albanischen Wahl-Siegern.

Viele verletzte Soldaten und Demonstrant:innen

Als Folge kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der von der NATO geführten kosovarischen Schutztruppe KFOR und augenscheinlich serbischen Aktivist:innen. Diese trafen vor dem Gemeindeamt in Zvecan aufeinander. Von Seiten der KFOR kam es zum Einsatz von Tränengas und Blendgranaten während die Zivilist:innen mit Flaschen, Steinen und Schlagstöcken um sich warfen. Das zeigen zahlreiche im Netz kursierende Videoaufnahmen. Dabei kam es zu mehreren Verletzten. Laut eigenen Angaben der KFOR wurden über 30 Soldaten verletzt, manche von ihnen schwer. Der serbische Präsident Aleksander Vučić meldet den Medien wiederum, dass 52 Serbinnen verletzt seien. Laut einem Facebook-Post des Präsidenten wurde einer der Demonstranten durch Schüsse der albanischen Seite verletzt.

Befohlene Kriminalität

Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook werden nun von serbischen Nationalist:innen genutzt, um ihre angebliche Unschuld zu beweisen. Es werden Video-Ausschnitte von sitzenden Demonstrant:innen gezeigt, die von der KFOR eingeengt werden und daraufhin mit Schlagstöcken und Fäusten auf die Einsatzkräfte losgehen.

Während Vučić den kosovarischen Ministerpräsidenten Albin Kurti für diese Auseinandersetzungen verantwortlich macht, sieht Kurti die Quelle der Gewalt ganz klar im Nachbarland Serbien. Im Gespräch mit westlichen Botschaften bezeichnete er die Aktvist:innen als „ein Haufen Extremisten unter Anleitung des offiziellen Belgrads“, berichtet der Nachrichtenkanal euronews.com. Auch die Staatspräsidentin Vjosa Osmani, teilte am Montag auf Twitter, dass „Diejenigen, die Vučićs Befehl zur Destabilisierung des Nordens des Kosovo ausführen, müssen vor Gericht gestellt werden.“ Das Narrativ, dass Präsident Vučić Hauptverantwortlicher für die herrschende Gewalt ist, wird auch klar von einem Artikel des „The New York Times“-Magazins unterstützt. Der Journalist Robert F. Worth erläutert darin die vermeidliche Zusammenarbeit zwischen Vučić und Banden-Anführer Veljko Belivuk, einem serbischen Schwerverbrecher, dem, abgesehen von Drogenhandel auch Mord vorgeworfen wird, der aber nie lange Zeit im Gefängnis verbringen musste. Er und seine Männer wurden schon mehrmals in Gesellschaft von mächtigen Menschen fotografiert, unter anderem mit dem Sohn des Präsidenten, Danilo Vučić.

„Z“-Symbole und brennende Autos

Belivuk erläuterte in einer Gerichtsverhandlung abseits der Öffentlichkeit, dass seine Bande „für die Bedürfnisse und im Auftrag von Aleksandar Vučić“ organisiert worden sei. Obwohl Präsident Vučić das nun bestreitet, reagierte er laut Angaben von Worth sehr emotional und aggressiv auf die Anschuldigungen. Nun berichtet der kosovarische Nachrichtenkanal „telegrafie.com", dass einige der Aktivist:innen das Markenzeichen des berühmten Kriminellen trugen. Eine schwarze Schildkappe mit einem silbernen Nike-Zeichen soll sich als Symbol von Veljko Belivuk entwickelt haben.

Veröffentlichte Fotos zeigen auch einen, von Twitter und Facebook-Nutzer:innen identifizierten, Polizeibeamten bei den Protesten im Norden des Kosovo während er mit einem Schlagstock auf Einsatzkräfte einschlägt. Abgesehen davon zeigen Fotos von brennenden Einsatzwägen, mit Sprühdosen gezeichnete „Z“-Symbole auf den Autos und Hauswänden. Das großgeschriebene „Z“ wird seit Beginn des Krieges in der Ukraine mit russischen Militärtruppen in Verbindung gebracht, denn diese nutzen es, um ihre Kampffahrzeuge zu kennzeichnen. Wofür genau es steht, ist jedoch nicht bekannt.

Sie sind keine Opfer

Die serbische Bevölkerung und Politik versuchen sich wiedermal hinter dem Schleier des „Opfer-Narratives“ zu verstecken und verkaufen ihre Angriffe gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo als Selbstverteidigung. Dabei fällt mir als Tochter kosovo-albanischer Eltern schnell auf, dass das erneut eines der für Serbien gewöhnlichen Ablenkungsmanöver sein muss. Denn nach den Amokläufen in Serbien kam es zu großen Widerstandsbewegungen im Land. Zehntausende von Menschen standen auf den Straßen, um die Gewalt im Land zu kritisieren. Nun sorgt Präsident Vučić eben für Schlagzeilen aus dem Kosovo. Und bis zu einem gewissen Grad funktioniert es auch. Westliche Medien fokussieren ihre Berichte beinahe ausschließlich auf die verletzten KFOR-Soldaten. Kritik an Serbien wird kaum geäußert. Wann und ob die Lage im Kosovo irgendwann endgültig entschärft werden kann, bleibt unklar – doch ich bleibe hoffnungsvoll.

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