Haftstrafen für vegane Eltern? Wie wäre es mit reden, statt urteilen?

08. August 2016

Die Berlusconi-Partei Forza Italia hat einen Gesetzentwurf eingereicht, welcher bis zu zwei Jahre Haft vorsieht für Eltern, die ihre Kinder vegan ernähren.

Eigentlich sollte es niemanden überraschen. Die populistische Partypartei Forza Italia macht wiedermal damit auf sich aufmerksam, dass sie die dringenden Probleme Italiens erkennt und anspricht. Nein, der langjährige Grundstückhandel zwischen korrupten Parteien und diversen Mafia-Verbänden ist dabei nicht gemeint, auch nicht das lawinenhaft abstürzende Bildungssystem, die massive Jugendkriminalität in Süditalien oder der offen gelebte Sexismus im italienischen Parlament. Nein, Forza Italia beschäftigt sich mit dem Veganismus. So hat die Oppositionspartei einen Gesetzesentwurf im Parlament eingereicht, welcher vorsieht, Eltern mit einer Haftstrafe von bis zu zwei Jahren zu belasten, sollten sie ihr Kind dazu zwingen, sich vegan zu ernähren.

Reden wir über Ernährung

Nun ist die Debatte über vegane Ernährung nichts Neues. Besonders nicht, wenn man sie als Fortsetzung der Diskussion über vegetarische Ernährung aus den 90ern sieht. Ich bin 1991 geboren und erinnere mich durch meine gesamte Kindheit hindurch an Sätze wie: „Wenn du kein Fleisch isst, wirst du nie das Erwachsenenalter erreichen“. Oder: „Willst du dein Leben krank und schwächelnd verbringen? Nein? Dann iss Fleisch“.


Ich wurde in einem Kindergarten an einen anderen Tisch gesetzt, weil ich die mir servierten Frankfurter dankend ablehnte, Kinder in der Volksschule weigerten sich, mit mir zu spielen, weil ich „komisch“ sei,und auf jeder Kindergeburtstagsparty wurde ich wie ein pingeliger Problemfall behandelt. Am eindrucksvollsten aber war eine Nonne in einem italienischen Sommerheim, welche zu jedem Mittagessen neben mir stand um sicherzugehen, dass ich die Fischstäbchen auf meinem Teller auch wirklich esse. Da war ich dreizehn, im Jahr 2004.

Um diese Zeit herum veränderte sich plötzlich etwas. Wissenschaftler fanden heraus, dass die vegetarische Ernährung nicht gefährlich ist, nein sie sei sogar gut, beuge diversen Herz- und Fettleibigkeitskrankheiten vor und sei auch bei Fleischessern in die tägliche Ernährung zu integrieren. Und plötzlich redete man offen und faktenbasiert über das Thema, der Begriff der „richtigen Ernährung“ wurde erweitert und ich, endlich, in Ruhe gelassen.
Vor drei Jahren kam ich dann allerdings darauf, dass mir die allgemeine negative Aufmerksamkeit fehlte und ich wurde, eh klar, Veganerin.

Kindesentzug statt Information

Ich wusste, dass das Thema viel Uneinigkeit hervorruft, dass ich mich damit aber in ein derart aufgebrachtes Hornissennest setze, war mir nicht klar und ich kann es auch drei Jahre später nicht nachvollziehen. Denn es ist eine Ernährungsweise. Keine Religion, keine antidemokratische Ideologie, keine gefährliche Praktik. Trotzdem wird sie als solche behandelt und jede Reaktion hat etwas von Hexenverbrennung. Aber, so die Behauptung der Scheiterhaufenstapler, immer mit gutem Grund.

In Italien war der Grund für den Gesetzesvorschlags-Scheiterhaufen der Fall eines Kleinkindes, welches stark unterernährt in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Das kommt immer wieder vor, aber in diesem Fall hat die Familie vegan gelebt. Die Reaktion des Staates darauf? Den Eltern wurde das Sorgerecht entzogen. Nun bin ich absolut dafür, Kinder vor misshandelnden Eltern zu schützen, aber der Entzug des Sorgerechts ist nicht nur für die Eltern schlimm, sondern für das Kind. Und in diesem Fall fehlt mir jegliches Verständnis für das Urteil. Denn hier sieht es nicht so aus, als wäre ein Kind vor grausamen Eltern gerettet worden, sondern als hätte eine mächtige Instanz auf der Basis von Unwissen eine schwerwiegende Entscheidung getroffen.

Reden wir über Zwang

Aber auch mir wird immer wieder gesagt: „Du kannst deinem Kind doch nicht so eine radikale Lebensweise aufzwingen“. Dazu muss ich sagen: Definiert mir doch bitte Zwang und radikal.

Für mich war das Verzehren von toten Tieren äußerst radikal und geschah ausschließlich unter Zwang. Verteidigt hätte mich damals kein Gericht. Und wenn wir schon darüber reden, wofür Eltern bestraft werden sollten, wenn sie es ihren Kindern antun, dann fordere ich sofortigen Kindesentzug für all jene, die ihren Kindern Fastfood, Zigarettenrauch, oder eine Religion aufzwingen. Denn hey: Zwang!


Immerhin sterben weit mehr Menschen an Fettleibigkeit, Lungenkrebs oder Missbrauch im Namen Gottes als an einer Ernährungsweise, die tierische Produkte ausschließt. Einziger Unterschied? Wir reden über die diversen Themen unterschiedlich. Wir behandeln Veganer wie schwer gestörte Sektenmitglieder, während wir zum Mci Burger essenden Kind sagen „Ach, ein bisschen Fastfood schadet ihm doch nicht und außerdem macht es glücklich“.

Was davon ist also zwanghaft, was natürlich? Wenn wir uns Erziehung als Gesamtkonstrukt ansehen wird klar: Jegliche Erziehung ist aufgezwungen. Und jetzt müsste auch klar werden, dass es hier nicht um richtig oder falsch, um Zwang oder Freiheit sondern um Gewohnheit geht. Um das, womit wir aufgewachsen, was wir als richtig, wichtig und normal erleben. Und sobald wir das verstanden haben, kann sich die Debatte um Veganismus nur ändern. Zumindest hoffe ich das.

Reden wir

Denn wir verwechseln Tradition mit Wissen, Gewohnheit mit Recht und Vorurteile mit Sorge. Das kennen wir ja auch aus anderen Bereichen, nicht wahr?! Stellen wir uns doch mal vor, was passieren könnte, wenn wir nur aus diesen Denkmustern ausbrechen, wenn wir über Dinge reden, statt blind zu urteilen. Im Fall in Italien hätte zum Beispiel verordnet werden können, dass die Eltern sich bei Experten ordentlich informieren müssen, was alles zu einer ausgewogenen veganen Ernährung gehört – das würde ich sowieso allen Menschen, egal welcher Ernährungsweise angehörend, empfehlen. Wissen ist immer besser als Unwissen, auch beim Essen.

Danach hätte eine regelmäßige Blutbildkontrolle angeordnet werden können, um mögliche Defizite rasch erkennen und vorbeugen zu können. Hätte all das stattgefunden, wären auch die Richtenden darauf gekommen, dass das einzige Vitamin, welches durch die vegane Ernährung nicht natürlich aufgenommen werden kann, das Vitamin B12 ist und dieses leicht supplementiert werden kann. Dann hätte ein Kind jetzt noch seine Eltern und Forza Italia möglicherweise keinen Grund für derart dumme Gesetzesvorschläge. Aber das ist nicht passiert. Anstatt über das Thema zu reden, sich ordentlich zu informieren und dann zu urteilen, wurden die ersten zwei Schritte übersprungen und gleich geurteilt. Sollte das Gerichtsurteil sich tatsächlich nur auf die Ernährungsweise und nicht auf andere Misshandlungen beziehen, hat es nichts erreicht außer die eigene Ignoranz offen zur Schau zu stellen und eine Familie zu zerstören.

Bravo Italia. 

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