Jedes Ende ist in Wirklichkeit ein Anfang!

07. November 2022

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Autorin Jasmine Zehrawi. ©Zoe Opratko

Mein europäischer Traum in Syrien hat sich plötzlich in der Ukraine erfüllt.

 

Es war schon immer mein Traum, in Europa zu leben. Als ich 13 Jahre alt war, sah ich die Serie "Memory in the flesh" der algerischen Autorin Ahlam Mosteghanemi, die in Paris gedreht wurde und seither sagte ich mir: "Eines Tages werde ich dort leben." Damals hätte ich nie damit gerechnet, Syrien in absehbarer Zeit aus irgendeinem Grund zu verlassen.

 

Flucht aus Syrien inmitten des Krieges

 

Als junge Teenagerin im Alter von 17 Jahren erlebte ich zum ersten Mal den Krieg und fühlte mich ständig unsicher. Das Jahr 2013 war das schlimmste meines Lebens, als ich im letzten Schuljahr alle Prüfungen bestehen musste und inmitten der täglichen Schießereien und Bombardierungen um mich herum immer noch darüber nachdenken musste, wie ich am Leben bleibe, ohne einen Teil meines Körpers zu verlieren.

Dann, im Oktober 2013, hatte ich den größten Segen meines Lebens: Ich konnte Damaskus mit allen meinen Familienmitgliedern, in guter gesundheitlicher Verfassung, verlassen. Niemand wurde erschossen, niemand starb oder litt an einer Behinderung.

 

Ein Zwischenstopp in der Ukraine für neun Jahre

 

Als jemand, der zwei völlig unterschiedliche ethnische Herkünfte und Pässe hat, hatte ich das Glück, in mein anderes Land ziehen zu können, da es keine Möglichkeit mehr gab, im ersten Land sicher zu leben. In Kiew hatte ich tatsächlich die Möglichkeit, mich wieder zu Hause zu fühlen, sicher zu leben und einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. 

Jahrelang lernte ich die ukrainische Sprache, schloss die Universität ab, arbeitete als Online-Tutorin und bekam meinen Traumjob als Journalistin und Nachrichtenredakteurin bei einem staatlichen ukrainischen Fernsehsender. Ich muss zugeben, dass die vierjährige Arbeit dort einer der Gründe dafür war, dass ich mich zu 80 % ukrainisch fühle und nicht zu 50 %, wie es die Logik vorgibt. Selbst als der Krieg, am schlimmsten Tag im Leben aller Ukrainer*innen, dem 24.02.2022, begann und tausende von Menschen an diesem Tag flohen, wollte ich nicht weg. 

Anfang März diesen Jahres verstand ich, dass dieselbe syrische Geschichte in der Ukraine wieder von vorne beginnt. Damals erinnerte ich mich daran, wie einer meiner Studenten sagte: "Sicherheit ist eine Illusion". Nach zwei Erfahrungen auf der Flucht vor dem Krieg mit einem Abstand von etwa 10 Jahren dazwischen beschloss ich, den Ort nicht mit dem Satz "es ist sicher" zu beschreiben.

Ich habe die Ukraine verlassen, aber mein Herz ist immer noch dort

Meine Eltern und ich packten buchstäblich an einem Tag nur wenige Taschen - die in mein kleines Auto passten - und beschlossen, uns zum zweiten Mal auf die Flucht zu begeben. Diesmal gab es keine Flugzeuge, sondern ich musste die ganze Strecke von 1400 km von Kiew nach Wien fahren, mit sehr wenig Schlaf, viel Angst, einer miauenden Katze und einem bellenden Hund hinter meinem Sitz. 

Ich konnte die Ukraine nicht verlassen, ohne Tränen in den Augen und Kummer in der Seele zu haben. Dieses Mal wollte ich einfach zu Hause bleiben. Ich spürte, dass meine Ukraine viel wertvoller ist als der Traum vom Leben in Europa, aber gleichzeitig kann ich diese Albträume vom Krieg nicht ein zweites Mal erleben.

 

Eine neue Reise beginnt

 

Eine Woche nachdem ich Kiew verlassen hatte, kam ich in Wien an. Der Neubeginn war gar nicht so einfach. Der herzliche Empfang durch die Österreicher*innen bedeutete uns jedoch viel und half uns, viele Hindernisse zu überwinden, die wir als neue Flüchtlinge zu überwinden hatten. 

Ich muss zugeben, dass ich mich in Wien verliebt habe, seit ich im September 2021 als Touristin hier war. Ein fünftägiger Besuch reichte aus, um zu entscheiden, dass ich hier leben möchte. 

In der Tat ist es etwas völlig anderes, sich in einem Land niederzulassen, als es nur zu besuchen. 

In dem Bewusstsein, dass "jedes Ende in Wirklichkeit ein Anfang ist" und "man nie zurückschauen sollte", beschloss ich, meine Vergangenheit hinter mir zu lassen und eine neue Reise im schönen Wien zu beginnen.

 

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