Kein Alkohol und die Erlösung

23. Mai 2016

Boah. Also ganz ehrlich, ich bin total geschafft. Die Anspannung und der Nervenkitzel bei der Wahl bis endlich ein Ergebnis feststand haben mich total fertiggemacht. Am Wahltag habe ich sogar kurz vor der ersten Hochrechnung noch was gegessen, um eine gute Unterlage für den Verdauungsschnaps danach zu haben. Das ist schon bemerkenswert, da mir selbst vor lauter Aufregung anscheinend glatt entfallen ist, dass ich gar keinen Alkohol trinke.

 

Bum, und schon hat jeder mitteleuropäisch sozialisierte, heteronormativ geprägte (nein, das tut natürlich nichts zur Sache, ich wollte nur immer schon mal heteronormativ schreiben) Leser den Ausgangspunkt mit den Wahlen vergessen und stellt sich beim Lesen nur eine Frage: „Wie jetzt, du trinkst keinen Alkohol?“

 

Genau so geht's mir nämlich auch immer dann, wenn ich als einzige in einer Runde zu jeder möglichen Gelegenheit eben keinen Alkohol trinke. Mit dieser Frage ist es aber natürlich nicht getan.

Standardmäßig schaut eine typische Tischunterhaltung für mich folgendermaßen aus (inklusive Gedankeneinspielungen so wie jetzt gerade):

„Wie jetzt du trinkst keinen Alkohol?“ – „Nein, mag ich einfach nicht so.“

„Gar nicht?“ – „Nein, höchst selten.“

„Aha, aber ein Gläschen kannst du doch trinken, oder?“ – „Klar, kann ich, mag ich aber nicht.“

„Magst du kein Bier? Dann kannst du ja auch Wein trinken. Rot oder Weiß?“ – „Nein danke!“

„Oder vielleicht ein Cocktail, da schmeckst du den Alkohol dann nicht so raus.“ – Nein danke, muss nicht sein.“ (Die Logik dieser Aussage muss man sich auf der Zunge zergehen lassen wie ääääh Rumkugeln – aber Achtung es geht schon weiter mit der nächsten Frage)

„Warte!“ (betont tolerant) „Bist du Muslima oder so?“ – „Nein, weder so, noch so.“

„Schwanger?“ – „Gott behü- ääääh verhüte!“ (Kann er das überhaupt? An dieser Stelle verschränke ich sicherheitshalber immer meine Beine ineinander).

„Nimmst du Medikamente?“ – „Nein, nicht dass ich wüsste.“ (Aber du wirst bald ein starkes Schmerzmittel brauchen, wenn du nicht aufhörst).

„Trinkst du nicht mal beim Ausgehen?“ – „Nein, ich mag Alkohol auch beim Ausgehen nicht.“

„Am Wochenende?“ -  „Nein, auch nicht am Wochenende.“ (Weiß ich was nicht? Schmeckt Alkohol am Wochenende anders als unter der Woche? Gibt es dafür eine EU-Richtlinie oder so?)

 

 

Die Liste an Fragen könnte ich noch ewig weiterführen. Dabei ist die Antwort so wahnsinnig einfach. Es gibt keinen großartigen Grund, warum ich keinen Alkohol trinke, außer den denkbar einfachsten: Es schmeckt mir einfach nicht. Ja, ich, Europäerin in den Dreißigern (oh shit, in den Dreißigern, her mit dem Alk!), mag keinen Alkohol. Einfach so, wie andere Leute keinen Spinat mögen. Aber irgendwie wird das in unserer Gesellschaft nur ziemlich schwer akzeptiert und so werde ich regelmäßig damit genervt, ob ich nicht doch ein Gläschen trinken kann. Ganz ehrlich, ich komm mir dabei vor wie ein Baby, das seinen Gemüsebrei nicht essen mag und jemand fuchtelt mit einem Löffel - in meinem Fall einem Glas – vor ihm herum und imitiert ein Flugzeug. Danke, ich verzichte auf den Flieger!

 

Nein, natürlich habe ich nichts dagegen, wenn andere um mich herum trinken. Und ich bin auch keine Spaßbremse oder so. Im Gegenteil, ich trage in den meisten Runden wesentlich zur Erheiterung bei. Für mich als quasi Außenstehende ist es dennoch immer wieder faszinierend zu sehen, wie sehr Alkohol nicht nur gesellschaftlich akzeptiert, sondern sogar ein Must ist. Ich will ehrlich gesagt gar nicht wissen, wie viele verkappte Alkoholiker und unerkannte Quartalsäufer da draußen rumlaufen.  Aber hey, da trinken wir einen drauf!

 

Ich persönlich bin ja der Meinung, dass man nicht mit einem Getränk, sondern mit dem Menschen anstößt. Und drum erhebe ich jetzt mein Glas Apfelsaft und stoß erleichtert auf Alexander Van der Bellen an. Die restlichen 50% werd‘ ich mir auch mit Hochprozentigem nicht schönsaufen können. Auf unser aller Wohl!

 

 

 

 

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