Na, immer noch Charlie?

15. September 2015

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Charlie Hebdo
Facebook Screenshot: Carbonated.TV

Das französische Satiremagazin Charlie Hebdo spottet in seiner aktuellen Ausgabe über den Tod des kleinen Aylan Kurdi. „Willkommen Flüchtlinge“ titelt das Blatt über der Illustration der toten Kinderleiche am türkischen Mittelmeerstrand . „So kurz vorm Ziel...“ amüsieren sich die Karikaturisten und auf der Plakatwand neben der Karikatur von Aylan grinst Ronald McDonald und preist zwei Kinder-Happy-Menüs zum Preis von einem an.

Das Magazin tanzt Niveau-Limbo. Ein gefährlicher Weg wurde beschritten zwischen Satire und Meinungsfreiheit und menschenverachtender Geschmacklosigkeit. Braucht es diese Karikatur um uns unsere „falsche Anteilnahme und Bestürztheit“ von ein paar Wochen vor Augen zu führen? Das Massensterben reißt, trotz Trauer um Aylan, nämlich nicht ab.

Bereits wegen seiner Mohammed-Karikaturen war das Magazin angefeindet worden und es ereignete sich daraufhin ein tragischer, islamistisch motivierter, Terroranschlag auf die Redaktion, bei dem zwölf Satiriker starben. Nach diesem traurigen Tag  waren Frankreich und die Medien in einer Art Schockstarre. Eine weltweite Debatte über das hohe Gut der Meinungs- und Pressefreiheit war entzündet. Unter dem Hashtag #jesuischarlie bekundeten Millionen ihre Bestürztheit über diesen Angriff auf die Freiheit im Herzen Europas.

„Provokation ist ein Mittel für Doofe“

Zurecht muss man sich aber auch die wichtige Frage stellen: Was darf Satire? Die Frage kann auch lauten wieso muss Satire uns provozieren?

Der verstorbene Aktionskünstler Christoph Schlingensief meinte einmal Provokation sei ein „Mittel für Doofe“. Die Reflexion über schockierende, stark emotionalisierte Bilder ist natürlich legitim und die Wirkung eines Bildes, das den toten Körper eines ertrunkenen Kindes zeigt, muss auch kritisch hinterfragt werden. Während zum Beispiel arabische Medien nicht ausreichend Gründe finden selbst Hinrichtungsszenen und Leichenbilder nicht zum Hauptabendprogram aus zu strahlen, gibt es im Mainstream der westlichen Medien eine klare Vermeidungsstrategie. Es wäre auch wichtig zu bedenken, dass gerade solche Bilder, die Mitgefühl und Betroffenheit reproduzieren, schnell Gefahr laufen ihre Wirkung auf die Medienkonsumenten zu verlieren. Die Erschütterung  und das Entsetzen über den Tod des kleinen Aylan waren groß, dennoch was wurde damit bezweckt? Es gab möglichweise eine kurze Welle an Solidarität und größeren Spendenbereitschaft, dennoch verblasst das Bild und auch das Bewusstsein über das Sterben im Mittelmeer langsam aber sicher aus den Köpfen der Europäer.

Ein Strand voller Kinderleichen?

Bis zur nächsten Kinderleiche, oder vielleicht braucht es dann schon einen Strand voller Kinderleichen um uns wieder Anteilnahme zeigen zu lassen? Provokation stimuliert Emotionen auf eine primitive Art und Weise. Über die genauere Motivation von Charlie Hebdo lässt sich klarer Weise nur spekulieren. Entweder man braucht einen neuen, medienwirksamen Skandal um den eigenen Geltungsdrang zu befriedigen, oder Charlie Hebdo will uns eigentlich wegen unserer Überempfindlichkeit verhöhnen. Geändert hat sich für die Flüchtlinge, die unter Lebensgefahr das Mittelmeer nach Europa überqueren müssen, nämlich nichts. Wäre das nicht eigentlich Zynismus genug?  Im österreichischen Satiremagazin Hydra stand als Replik auf den Terroranschlag auf die französischen Kollegen und zu #jesuischarlie zu lesen: „Wir müssen unsere Privilegiertheit begreifen, die Verantwortung, die daraus resultiert. Es reicht nicht zu glauben, weil es uns gut geht,... dass diese Werte automatisch von jenen Teilen der Welt, die in Armut und Unterdrückung leben, angenommen werden. Wir sehen die vielen Grenzen nicht, die wir in Gedanken und auch real ziehen, weil die Flüchtlinge, die unentwegt in unser Paradies strömen, eben nicht vor unserer Haustüre ertrinken.“ Satire und  Schreckensbilder gehen in einer Katastrophe unter, die unendlich erscheint. Der kleine Aylan Kurdi ist tot, lassen wir ihn doch bitte in Frieden ruhen und benützen wir seinen Tod, seine letzten Bilder nicht um Zeitschriften zu verkaufen und  zu provozieren. Nicht einmal für Doofe!

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