Zu fett für die Liebe

31. Oktober 2017

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Wir leben in einer Gesellschaft, in der der Wert einer Frau von deren Aussehen bestimmt wird (Fotoquelle: Pixabay)

„Hey, Salme! Roll mal rüber!“, ruft mir ein Mädchen zu. Sie wippt ausgelassen auf ihrer Schaukel, ihre Freundin lacht über ihren Kommentar. Ich bin zu diesem Zeitpunkt zehn Jahre alt und es ist nicht das erste Mal, dass mein Körper zur Zielscheibe des Spotts wird.

Heute bin ich 21 Jahre und lerne langsam, meinen Körper und mich zu lieben. Jahrelang wurde ich für mein Aussehen kritisiert und verspottet. Es ist schwer zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man jeden Tag Beleidigungen und Witze über sein eigenes Aussehen ertragen muss oder wenn man für die Art wie man aussieht oder wie viel man wiegt, gemobbt wird. Es ist schwer zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn man unter Menschen aufwächst, die einem immer wieder sagen, dass man hübsch sein könnte, würde man bloß abnehmen. Es ist schwer zu beschreiben, wie man sich fühlt, wenn Burschen in deiner Klasse Tag ein Tag aus so tun, als ob der Boden unter deinem Gewicht gleich zusammenbrechen würde, weil du darauf gehst, und dir suggerieren, dass dich wegen deines Aussehens niemals jemand lieben wird.

Sport war ein Spießrutenlauf

Irgendwann hat dieser ganze Spott dazu geführt, dass ich all die Schikane geglaubt habe. Dass ich all das verdient habe, weil ich fett bin und dafür bestraft werden muss. Der daraus resultierende Selbsthass und die Scham haben mich in meinem Leben eingeschränkt und meine Handlungen, Gedanken und Emotionen beeinflusst. Ich habe mich lange nicht getraut, Sachen anzuziehen, die zu eng sein könnten, oder zu viel Haut zu zeigen, geschweige denn mit jemandem offen über all das zu sprechen. Im Spiegel habe ich mich lange nur aus der Ferne betrachtet oder jene verwendet, in die nur mein Gesicht zu sehen ist, damit ich meinen verhassten Körper nicht sehen musste. Sport war für mich ein reiner Spießrutenlauf, weil ich nicht aufhören konnte, die ganze Zeit, daran zu denken, dass mich wahrscheinlich alle dabei anstarren und auslachen.

Manche mögen jetzt meinen, dass das normal für Kinder ist. Jeder weiß doch, wie grausam sie sein können. Aber solche Kommentare kamen nicht nur von Kindern, sondern auch von Erwachsenen, LehrerInnen etwa. Und je älter ich wurde, desto mehr Erwachsene fingen an, meinen Körper zu kommentieren. Manche waren Bekannte, mit denen ich das erste Mal sprach und die mir nach einigem Smalltalk Tipps gaben, wie ich am besten abnehmen kann. Einfach so, ohne, dass ich je gefragt habe. Andere waren wiederum Leute auf der Straße, mit denen ich nie ein Wort gewechselt habe und die dachten, dass ich nicht hören oder sehen kann, wie sie auf mich zeigen und spotten. Einige von ihnen waren Freundinnen, die alle meine Probleme auf mein Gewicht geschoben haben. „X ist doch gar nicht dein Problem! Wenn du abnimmst, werden sich all deine Sorgen in Luft auflösen, du wirst sehen!“

Aber wie kann es auch anders sein? In einer Gesellschaft, in der nur Wert darauf gelegt wird, wie eine Frau aussieht, und Mädchen von klein auf dazu erzogen werden, dass Hübsch-Sein einer der größten Ziele ist, die sie im Leben erzielen können, ist der Schönheitswahn schon vorprogrammiert. Ich könnte hier eine ganze Liste von Gründen nennen, wieso der Selbsthass von Frauen die Schuld unserer Gesellschaft ist. Schminktaschen werden an kleine Schulmädchen verkauft und fette Frauen dienen im Fernsehen nur als Pointe eines geschmackslosen Scherzes. Jeden Frühling kann man die immer gleichen Werbeplakate und Fernsehwerbungen sehen, die einen daran erinnern, jetzt schon an deinem „Beach Body“ zu arbeiten und Magazine veröffentlichen heimliche Fotos von weiblichen Stars, die ungeschminkt und in gewöhnlicher Kleidung aus Fitnesscenters kommen, um sie dann dafür zu verurteilen. Und so viel mehr…

Bodyshaming betrifft jede Frau

Aber Bodyshaming ist nicht nur ein Problem, das übergewichtige Frauen betrifft, es ist das Problem aller Frauen in unserer Gesellschaft. Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die nicht mit ihrem Aussehen zu kämpfen hatte und der nicht auf irgendeine Weise beigebracht wurde, dass sie noch viel an sich verändern muss, bevor sie sich selbst als schön bezeichnen darf. In der Schule, an der Uni, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in meinem Freundinnenkreis höre ich immer wieder die gleichen Beschwerden: Die einen reden darüber, dass sie sich mit ihren kleinen Brüsten nicht weiblich genug fühlen, während andere bestimmte Körperteile wie ihre Nase oder ihre Augen hässlich finden.

"All bodies are good bodies"

Mittlerweile habe ich gelernt, meinen Körper zu akzeptieren und sogar zu lieben – so wie er ist. Dank einer Therapie und der Body Positivity Bewegung, die ich online kennen gelernt habe, habe ich es geschafft, mein Körperbild zu ändern, und die Schönheitsideale, die mir von klein auf eingetrichtert wurden, zu hinterfragen. Was mir vor allem geholfen hat, war zu sehen, wie Frauen mit meinem Gewicht ihre Körper feiern, indem sie Fotos von sich selbst in kurzen Kleidern und engen Leggins auf Social Media Seiten posten. Und dafür sogar mit Komplimenten überschüttet werden. Worte können nicht ausdrücken, was für eine Erleichterung man fühlt, wenn man all diese Fotos von Frauen sieht, die den gleichen Körper haben, für den man ein Leben lang verhöhnt wurde, und dann als süß, wunderschön, sexy und umwerfend bezeichnet werden. Fett hin oder her.

Ich habe mich dann lange gefragt, was eigentlich der Unterschied zwischen mir und all diesen Frauen ist. Wir haben den gleichen Körper, ich bewundere jede einzelne von ihnen, und dennoch fällt es mir schwer mich selbst als schön zu sehen. Vielleicht geht es bei der Schönheit nicht um die Körpergröße oder –form einer Person. Vielleicht ist Schönheit kein exklusiver Club, zu der nur einige Frauen Zutritt hatten. Vielleicht ist ja jede Frau schön, selbst wenn die Gesellschaft ihr was anderer erzählt.

Eine Sache steht jedoch fest: Diese Selbstliebe war verdammt harte Arbeit und hat sehr lange gedauert. Unzähligen Frauen geht es heute noch so und unzähligen Frauen wird es weiterhin so gehen, wenn sich nicht bald etwas ändert. Wir müssen das gesellschaftliche Schönheitsideal endlich verändern. Menschen dürfen andere nicht für ihre Äußerlichkeiten niedermachen. Uns macht so viel mehr aus.  

 

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