„Alle Opfer sind Opfer und alle Verbrecher sind Verbrecher“

25. Mai 2021

Der Oscar-nominierte Film „Quo vadis, Aida?“ der bosnischen Regisseurin Jasmila Žbanić handelt von den Ereignissen rund um das Massaker in Srebrenica 1995. Die Hauptdarstellerin Jasna Đuričić spricht mit biber über die fehlende Präsenz von Frauen in Kriegsfilmen, Resilienz und Objektivität. 

von Jelena Čolić (Interview und Übersetzung)

biber: Der Film „Quo vadis, Aida?“ war in der Kategorie „Best International Feature“ nominiert. Gratulation! Was war das für ein Gefühl?

Jasna Đuričić: Es ist sehr selten, dass es ein Film aus dem ehemaligen Jugoslawien bis nach Hollywood schafft. Auch wenn wir nicht gewonnen haben, war es uns eine große Ehre. Wir sind ein kleines Volk mit einer kleinen Kinematographie, die immer mit dem Geld kämpft. Zu wissen, dass der Film internationale Aufmerksamkeit bekommt und weltweit ein großes Publikum erreicht, ist unbezahlbar. 

Sie spielen die Hauptrolle Aida im Film. Die Thematik des Filmes – die Tage vor und nach dem Massaker in Srebrenica während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien – geht vielen Menschen aus der Ex-Ju-Community heute noch nahe. Können Sie in Ihren eigenen Worten die Handlung des Filmes beschreiben?

Der Film handelt von den drei Tagen, bevor Srebrenica definitiv angegriffen wurde und eine große Anzahl an Bewohner*innen es geschafft hat, Obhut in der holländischen Basis der UN zu finden. Im Zentrum der Geschichte steht der fiktive aus Srebrenica stammende Charakter der Aida Selmanagić, die als Übersetzerin für die Vereinigten Nationen arbeitet. Sie versucht ihre Familie zu retten, da sie in einer etwas besseren Position steckt als der Rest der Bewohner*innen. Sie hofft durch ihre Akkreditierung ihrer Familie einen Vorteil schaffen zu können, aber scheitert leider. Kämpfen tut sie jedoch bis zur letzten Minute. 

Quo Vadis, Aida?, Jasna Đuričić, FIlmstil
© Quo vadis, Aida?, Deblokada, coop 99 filmproduktion G.m.b.H., 2020 bereit gestellt von POLYFILM Verleih

Sind die Vorbereitungen zum Dreh dieses Films anders gewesen?

Zu Beginn ähneln sie sich alle, weil man sich zuerst näher mit der Materie befassen muss. Aber sobald es vermehrt um die Aufarbeitung der Vergangenheit geht, vor allem eine, die mir so nahesteht, benötigt es eine noch tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema, um Objektivität zu garantieren.

Sie haben selbst den damaligen Krieg im heutigen Serbien verbracht. Wie nahe geht ihnen das Thema? 

Sehr, es geht doch um meine alte Heimat Jugoslawien. Meine Empathie mit den Opfern ist riesig. Aus diesem Grund fielen mir die Vorbereitungen zum Dreh nicht sonderlich schwer, weil meine Gefühle echt und nicht gespielt sind. Ich habe so viele Leute kennengelernt mit ähnlichen Schicksalsschlägen – nur von verschiedenen Seiten. Ich habe die Summe aus diesen Erfahrungen und Geschichten anderer in meine Interpretation von Aidas Rolle hineingesteckt.

Es sind 26 Jahre seit dem Genozid in Srebrenica vergangen. Das Thema ist aber nach wie vor sehr aktuell und es gibt immer noch konträre Meinungen zu den Geschehnissen rund um den 11.Juli 1995. Glauben Sie, der Film „Quo vadis, Aida?“ regt einen erneuten Dialog an?

Es ist schwer abzusehen, was genau der Film für einen Effekt haben wird. Persönlich würde ich mir natürlich wünschen eine Vielzahl an Personen mit dem Film zu erreichen. Besonders jene Menschen, die während des Krieges noch nicht einmal geboren waren. Das Problem am Balkan ist, dass die Narrative, die den Kindern weitergegeben werden, sehr gefärbt und nicht objektiv sind. Jeder hat das Bedürfnis „seine Leute“ von Anfang an in Schutz zu nehmen und die Schuld auf die anderen zu schieben.

Wie ist es dem Film gelungen, bei einem so sensiblen und für die gesamte Filmcrew „nahem“ Thema, eine objektive Herangehensweise zu wahren?

Das Politikgeschehen in allen Teilstaaten Ex-Ju’s trägt nicht dazu bei, dass den Kindern in der Schule eine objektivere Version der Geschichte präsentiert wird. Als Künstler*innen haben wir eine andere Erzählweise. Statt einer einseitigen und voreingenommenen Version der Geschichte, wollten wir eine objektive Geschichte erzählen, bei der alle Opfer, Opfer und alle Verbrecher, Verbrecher sind. Die Frage, wer die größeren Opfer sind, oder die Herkunft der Verbrecher bleibt dabei nebensächlich. 

Quo Vadis, Aida?, Jasmila Zbanic
Regisseurin Jasmila Zbanic bei den Filmfestspielen von Venedig 2020 © Elisabetta A. Villa/WireImage

Was macht den Film so besonders?

Anders als bei vielen Kriegsfilmen, wird die Heldin hier von einer Mutter gespielt. Es ist so selten, dass solche Geschichten durch den weiblichen Blick erzählt werden. Die Zuschauer*innen schauen Aida dabei zu, wie sie eine aufopfernde Mutter, Ehefrau und Kämpferin ist, die alles dafür tun würde, um ihre Familien zu schützen. Aidas Resilienz, obwohl sie alles verloren hat und vor machthungrigen Männern für ihre Überzeugungen einsteht, macht „Quo Vadis, Aida?“ schließlich zu einer Ode an den Feminismus. 

Welche Szene war am schwierigsten zu spielen?

Die Rolle Aidas fällt besonders durch ihre Ruhelosigkeit auf. Während des gesamten Films ist sie gehetzt und versucht diverse Probleme zu lösen, immer mit dem Hintergrund ihre Familie zu retten. Dieser ständige Kampf und Angst, erlaubt es ihr nicht zur Ruhe zu kommen. Im gesamten Film gibt es nur zwei Szenen, wo sie wirklich loslässt. Dieser Prozess der aufgestauten Emotionen ohne sie rauszulassen, während des gesamten Drehs aufrecht zu erhalten, war sehr schwierig.

Was zeichnet den Charakter von Aida aus?

Aida ist gezeichnet von den Erfahrungen des Krieges. Genauso wie der Rest des Landes. Alle erfahren das gleiche Leid. Aber sie kehrt zurück, vergibt und beginnt von vorne. Für mich ist sie eine größere Heldin, als die ganzen anderen vermeintlichen männlichen Kriegshelden aus dem Jugoslawien-Krieg.

Filmplakat Quo Vadis, Aida?
© Quo vadis, Aida?, Deblokada, coop 99 filmproduktion G.m.b.H., 2020 bereit gestellt von POLYFILM Verleih

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