Die Couch meiner Oma

06. Mai 2011

In letzter Zeit spielten Statussymbole in unserem Blatt eine große Rolle. Alle starren wir auf fette Karren, unsere Eltern würden sich unsere Mag.s, Bakks und Dipl. Ing.s am liebsten auf ihre Stirn meißeln und wenn man nicht die Rechnung von mindestens 20 flüchtig Bekannten übernimmt, gilt man bestenfalls als armes Schwein.

Stutssymbole hatten in meiner alten Heimat seit eh und jäh einen hohen kulturellen Stellenwert. Früher waren sie natürlich nicht so kostspielig wie ein 3er BMW oder ein Hochschulstudium. Weniger wert waren die schönste Kuh im Stall oder die Levis Jeans aus der DDR deshalb nicht. Das Herzstück im Haushalt meiner Großeltern war ihre Couch. Irgendwann Anfang der 70er Jahre hatte mein Großvater ein seltenes und teures Exemplar einer khaki-farbenen Sitzgarnitur mit Holzrahmen ergattert. Die kommunistische Planwirtschaft hatte sich damit für seine aktive Arbeit im Kampf gegen das faschistische Regime und für das Proletariat bedankt. Andere Familien mussten fünf Jahre und länger auf ihr Sofas warten und dann waren dieso lange nicht so edel wie unser Traum in Khaki!

Meine Großmutter ließ kein Haar auf dieses Prachtstück fallen. Sie nähte und bestickte eigene Schonbezüge, damit die Garnitur geschont würde. Oder um - Gott behüte - sie vor Flecken, Staub und Kindern zu schützen. Alle diese handgemachten Decken übersteigen heute den antiken Wert der Couch um ein Vielfaches. Wenn Besuch kam, hob meine Großmutter ganz stolz das Ende der Tagesdecke, um den neidischen Nachbarinnen ein Stück vom "Original" zu zeigen. An Weihnachten und am 1. Mai wurde der Überzug sogar entfernt und ausgewählte Opinion Leader aus der Verwandschaft durften darauf sitzen.

Ein paar Jahre später hatte das Sofamodell "Khaki-in-Holz-gefasst" in fast allen bulgarischen Wohnzimmern Einzug gehalten. Dass mein Opa einer der Erstbesitzer war, machte meine Oma immer ganz besonders stolz. Die meisten Verbote meiner Kindheit hatten mit dieser Couch zu tun: Essen, springen, sitzen, trinken, stehen, atmen... waren auf der Couch ohne Schonbezüge strengstens verboten. Als mein Bruder sich wieder einmal diesen Verboten widersetzte und sich beim Springen an den scharfen Kanten des Sofas die Stirn aufschlitzte, wurde er während der ganzen Fahrt ins Krankenhaus geschimpft, weil sein Blut über das ganze Holz verschmiert war.

Aber robust war sie, dieses Prachtstück des bulgarischen Kommunismus. Es hat drei Todesfälle, vier Enkelkinder und vier Urenkelkinder, fünf Staatsoberhäupter und ein ganzes politisches Regime überlebt.

Kommentare

 

sehr like!

und grüße an die oma und ihre couch!

 

super blog! Hat mir gleich ein Lächeln auf´s Gesicht gezaubert :-)

 

suuuper blog marina.
irgendwie werde ich seit todor, dir und anderen bulgaren die einstellung nicht los, dass bulgarien der witzigste geschichtentopf in ganz europa ist.
und sogar traurige geschicheten verpacken die bulgaren mit humor.

 

komödie und tragödie liegen eng beieinander. es ist z.B. lustig und tragisch zugleich, dass unser premierminister früher trainer der bulgarischen judonationalmannschaft und persönlicher leibwächter des damaligen kommunismusführers war.

 

I like! :)

 

gfoit ma a

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