Die Haut Gottes

09. Oktober 2013

Verblasste Tinte aus Muttermilch, Spucke und Ruß unter der Haut alter Frauen. In Bosnien-Herzegowina wurden früher katholische Frauen mit religiösen Symbolen tätowiert. Über den alten Kult, der heute wieder neue Anhängerinnen findet.

 

Wien. Nicol Lovrić zupft an ihrem Pullover, streicht sich eine
Haarsträhne aus dem Gesicht. In ihrer Hand hält sie ein Tea machte sich den Tattoo-Kult 2008 zum Hobby. altes,vergilbtes Foto. „Das sind meine Oma und ich“, sagt sie mit traurigem Lächeln.
„Sie ist gestorben, als ich sechs war.“

Nicols Vater erzählt der 23-Jährigen immer, wie ähnlich sie ihrer toten Großmutter sei. Genauso aufbrausend und stur. Sie hat das gleiche Grübchen wenn sie lacht und dieselben strahlenden Augen. Auf dem Foto erkennt man ein Tattoo auf der Hand ihrer verstorbenen Großmutter. „Ich will es mir unbedingt nachstechen lassen“, erklärt die Sonderschullehrerin. „Es ist nicht nur ein Symbol für meine Oma, sondern auch ein Zeichen der Zugehörigkeit und die Erhaltung einer Tradition.“

 

Spiritueller Schutz vor Osmanen

Die genaue Zahl an traditionell tätowierten, katholischen Frauen am Balkan ist nicht bekannt. Tea Mihaljević begann 2008 mit der Recherche über den 2000 Jahre alten Brauch. Sie machte sich die Nachforschung des alten Katholikenkults zum Hobby, weil sie die Tradition ihrer Vorfahren fasziniert. Die 29-Jährige hat mit etwa 200 traditionell tätowierten Frauen gesprochen. „Es ist mehr als nur Dekoration, es dient zur Identitätserkennung“, erklärt sie.

Katholische Gemeinden in Bosnien und Herzegowina litten während der osmanischen Herrschaft. Viele der Katholiken konvertierten zum Islam, Kinder wurden entführt und Mädchen zwangsverheiratet. Junge Frauen tätowierten sich gegenseitig Kreuze und andere historische Zeichen auf Hände, Brust, Rücken und Stirn. So kennzeichneten sie sich für den Fall
einer Entführung und verwendeten die Kreuze und Ornamente als
spirituellen Schutz vor Osmanen.

 

Die stolze Katholikin

Ganze Gruppen von Mädchen im Alter zwischen drei und sechs wurden meist am 19. März, dem Tag des heiligen Josip, oder am 25. März, „blagovijest“, der „Maria Verkündung“ tätowiert. Beide Termine sind wichtige katholische Feiertage in der Karwoche.

Ruža Jonjić war bei ihrer ersten Tätowierung am 19. März 1949 sechs Jahre alt. Die heute 70-Jährige Ruža ist in Kupres geboren und aufgewachsen. Hier hat sie geheiratet und ihren Mann verloren. Jeden Sonntag besucht sie die gleiche Kirche, seit über 60 Jahren. Ruža blickt auf ihren Handrücken. Sie empfindet ihre Tätowierung als Verbindung zu ihrer Religion. „Ich bin sehr stolz auf meine Tattoos“, erklärt sie. Sie greift nach dem Anhänger an ihrer goldenen Halskette, es ist ein Kreuz. „Als Katholikin gehören sie zu mir.“ Ihre Stimme wird bestimmter. „Es wäre eine Schande, würde ich mich dafür schämen oder sie gar verstecken.“

Die Tattoos sind verzierte Kreuze oder Ornamente. Die genaue Bedeutung kennen selbst die tätowierten Frauen nicht. Es war ein Brauch, der über Jahrtausende eingehalten wurde. Die beliebtesten Stellen zum Stechen waren Unterarme, Hände und Finger. Kreuze auf Brust und Stirn seltener, kamen aber auch vor, gerade bei älteren Generationen. Katholische Kennzeichnungen zierten einst auch Männer, die sind aber tot.

 

Ruß, Honig, Spucke und Muttermilch

Die 82-jährige Zora Stojanović bekam wie Ruža ihr erstes Tattoo am 19. März, im Jahre 1944. „Ich war damals 13 Jahre alt“, erzählt die 20-fache Großmutter mit schelmischem Lachen.

Für das Stechen der Tätowierungen wurden eine einfache Nadel und eine Mischung aus Ziegen- oder Muttermilch einer Frau, deren Erstgeborenes männlich war, verwendet. Hinzu kam entweder Ruß, Honig, Spucke oder Kohle. Je nach Region unterschied sich die Mixtur. Die meisten traditionell tätowierten Frauen leben in den bosnischen Städten Kupres, Prozor, Travnik und Jajce.

Zora wohnt in einem Dorf in den Bergen der Region Rama in Herzegowina. Sie hat ein kleines Häuschen und nur einen direkten Nachbarn. Die Fahrt in die nächstgelegene Stadt Prozor dauert 20 Minuten. „Hier in der Gegend hat jede Frau in meinem Alter mindestens ein Tattoo“, sagt sie und schenkt sich eine Tasse schwarzen Kaffee ein. „Es war damals einfach eine Kennzeichnung von katholischen Mädchen.“

Eine Legende besagt…

„Eine alte Legende besagt, dass ein katholisches Mädchen vor langer Zeit von einem Osmanen entführt wurde. Er befahl ihr, dass tätowierte Kreuz von ihrer Haut zu kratzen. Sie folgte seinem Befehl und entdeckte ein in ihren Knochen geritztes Kreuz“, beginnt Milica Simić ihre Erzählung. Die 76-Jährige richtet ihre Frisur, streift ihr schwarzes Kleid glatt. Milicas Einfamilienhaus ist groß und wirkt aufgeräumt. Im Wohnzimmer hängt ein großes Kreuz aus Holz, in der Küche ein Foto des Papstes.

Milica hatte nie Probleme wegen ihrer Tattoos. Obwohl der Kommunismus diesem Brauch ein Ende setzte. Frauen verloren ihre Arbeitsplätze. Junge Mädchen wurden gehänselt. „Mich haben sie nie schikaniert“, erinnert sich die Witwe. „Aber ich kannte viele Mädchen, die aufgrund der Zeichen ausgelacht wurden.“ Ein Grund warum die letzte traditionell tätowierte Frau 1984 gestochen wurde, erklärt Tea. Die 76-Jährige Milica bekam ihr erstes Tattoo mit sieben. Heute sind ihre Hände rau und ledern, die gestochenen Symbole schwer zu erkennen. „Damals hat man sie besser erkannt“, erzählt die praktizierende Katholikin. „Aber ich habe meine Hände eben all die Jahre genutzt, meine Haut ist verbraucht.“

 

 

Der Großmutter huldigend

Nicols Hände sind jung, unverbraucht und gepflegt. Bald soll die Innenseite ihres Unterarms das gleiche Symbol tragen wie da ihrer verstorbenen Großmutter. „Zwischen meiner Oma und mir gab es immer eine besondere Verbindung“, sagt Nicol und legt das Bild der beiden beiseite.

Der Vater der 23-Jährigen teilt die Begeisterung seiner Tochter. Mit Freunden hat sie noch nicht darüber gesprochen. „Es ist eher eine familiäre Angelegenheit.“ Nicol will die Tradition ihrer Großmutter aufrechterhalten. Sie will verhindern, dass der katholische Kult in Vergessenheit gerät. Sie wird still, wirkt gedankenverloren. „Meine Oma wäre sicher glücklich über mein Tattoo.“

Wie Nicol hatte auch Maja Brkan eine außergewöhnliche Beziehung zu ihrer Großmutter. Den Rücken der jungen Frau schmückt ein Ornament, das aussieht wie ein Traumfänger. Für Maja ist das Tattoo mehr als nur eine Kennzeichnung ihres Glaubens. „Meine Oma hatte auch eines und ich war als Kind immer so fasziniert davon“, schwelgt die 21-Jährige in Kindheitserinnerungen. „Deswegen habe ich mich auch für ein Symbol aus dieser Zeit entschieden.“

 

 

 

 

Tattoos sind im 21. Jahrhundert keine Besonderheit mehr, im Gegenteil, sie wurden zur Modeerscheinung. Mädchen wie Maja und Nicol nutzen die Tradition vergangener Generationen um ihre eigenen Tätowierungen einzigartig zu machen. Sie verbinden Vergangenes mit dem Trend von heute und drücken so ihre Zugehörigkeit aus - ähnlich wie es ihre Großmütter einst taten. Maja wird im November heiraten. „Ich habe mein Hochzeitskleid extra so ausgesucht, dass mein Tattoo zu sehen ist“, erzählt die zukünftige Ehefrau.

 

 

 

Von Alexandra Stanić und Marko Mestrović (Fotos)

 

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Kommentare

 

Ich habe mich vor einigen Jahren während meines Slawistikstudiums selbst mit diesem Thema auseinander gesetzt, da meine Uroma selbst tätowiert war. Ihre ganze Hand wurde von Ornamenten, in denen auch ein Kreuz integriert war, verziert. Ich habe zu diesem Thema einen Universitätsprofessor der Kulturwissenschaften ausgequetscht und stellte fest, dass wir diesen Brauch von den Illyrern übernomen haben. Nach der Völkerwanderung vermischten sich slawische (heidnische) Bräuche mit den der Illyrer. 

"Die Tattoos sind verzierte Kreuze oder Ornamente. Die genaue Bedeutung kennen selbst die tätowierten Frauen nicht. Es war ein Brauch, der über Jahrtausende eingehalten wurde."

 

Aus diesem Grund können sie die genaue Bedeutung auch gar nicht kennen, denn es ist ursprünglich nichts katholisches. Genau genommen ist es nicht einmal etwas religiöses. Man geht heute davon aus, dass illyrische Frauen (später auch slawische) diese Symbole (auf Kinn, Stirn, Rücken oder Händen) trugen, weil sie vom Mädchen zur Frau wurden und auch von der Gesellschaft als solche erkannt werden sollten. Es hatte also ursprünglich absolut keine Verbindung zum Glauben. Wenn man eine Verbindung zum Galuben aufstellen möchte, dann höchstens zum Heidentum. Die Slawenmissionierung der Mönche Kyrill und Method, also die Christianisierung der Slawen, fand erst später statt (7. Jahrhundert). Man nahm den neuen Glauben an, dennoch integrierte man alte Bräuche. So auch die illyrischen Tätowierungen. Die Spaltung der Ost- und Westkirche, also die Unterscheidung zwischen orthodoxer und römisch-katholischer Kirche kam erst viel viel später (1054). Und erst in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts kamen dann die Osmanen. Aber bis dorthin hatten diese Tätowierungen schon eine lange Tradition.

Das soll bedeuten, dass diese Tattoos zuerst ALLE Frauen hatten, die dort auf diesem Gebiet lebten und dann schließlich bei allen Christinnen (egal ob katholisch oder orthodox) zu finden waren. Aber diese Tradition hat sich nur bei den katholischen Frauen bis heute erhalten.

 

Ich möchte damit nicht sagen, dass diese Tattoos während der Osmanenzeit nicht die angeführte Verwendung gehabt haben. Ich möchte darauf hinweisen, dass es keine christliche bzw. katholische Erfindung ist. Wenn man sich ein solches Tattoo machen lassen will, sollte man sich seiner ganzen Bedeutung und Herkunft bewusst sein und nicht nur eines Fragments. Und was mir natürlich auch am Herzen liegt, ist das viel zu viele wunderschöne Symbole für irgendwelche Ideologien missbraucht werden und ich hinsichtlich dessen für Aufklärung sorgen möchte. Also dann, viel viel Spaß beim tätowieren!! :)

 

 

 

 

 

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