EM-Journal ´08 Vor dem Finale

28. Juni 2008

Früher, als ich noch jung und naiv war, hat mich das immer maßlos verwundert: warum laufen im TV und auch den Printmedien die Bilanzen der jeweiligen Turnier großteils bereits VOR dem Finale ab?

 
Warum jetzt bereits bilanziert wird. von Martin Blumenau
  Die Antwort ist ebenso logisch wie absurd: weil man das dann am Wochenende machen kann und da bessere Auflagen/Quoten erzielt, als NACH dem Finale am Montag (dem berühmt schwächsten Medientag). Und weil sich die Masse am Dienstag dann ja bereits anderem zuwendet.

Deswegen sind die medialen Bilanzen solcher Turniere auch durchwegs schwach, hektisch hingeschmiert, unüberlegt und verzweifelt danach ausgerichtet, beiden Möglichkeiten nach einem Sieg eines der beiden Finalisten gerecht zu werden.
Ich hab das immer abgelehnt - auch weil dem Netz der schwache Montag ein bissl wurschter ist als den anderen Medien.

Andererseits ist das, was wir alle, die wir den Fußball lieben, aus diesen Wochen mitnehmen eh schon jetzt klar, da wird Deutschland - Spanien nix dran ändern.

Auch, weil die Finalspiele in den seltensten Fällen wirklich wegweisende Klasse haben.

 
 
Das letzte EM-Final bei dem einem die Spucke wegblieb,
  weil da die beiden besten Mannschaften ihrer Zeit auf tollem Niveau rangen und sich die ein Sprüchen bessere davon mit tollen Toren durchsetzt, das war 1988, als ein ganz großartiges holländisches Team auf ein großartiges sowjetisches traf.
Und das letzte WM-Finale, das wirklich tollen Sport zeigte, was 1998 das Duell des Co-Favoriten Frankreich mit dem Favoriten Brasilien, das einen unerwarteten Ausgang nahm.

Der Rest?
Ein rein taktischer Kick 2006, an den sich ohne Zidanes Kopfstoß niemand mehr erinnern könnte. Ein falsch gelaufenes Spiel 2004, an das sich schon niemand mehr erinnern kann. Yokohama 2002, auch nur wegen Kahns Fehler in den Geschichtsbüchern. 2000, ja, solala - da waren die beiden besseren Teams im Semifinale hängengeblieben. 1996 war matt, 1994 gab's das vielleicht schwächste Finale aller Zeiten, 1992 ist auch nur wegen des Überraschungseffekts bemerkenswert und 1986 bzw 1990 bleibt über, weil jeweils ein sehr gutes Team den Gegner, der völlig unberechtigt im Finale stand, ordentlich panierte - und durch den Rollentausch von Argentinien und Deutschland.

Sicher, alle Finals haben eine Geschichte, die sich drüber trefflich zu erzählen weiß - aber die bedeutungsgebende Relevanz fehlt.
Auch deswegen fühlen sich die Bilanz-Leute also so sicher.

 
 
Personality
 
Glücklicherweise gibt es bei diesem Turnier keine Figur, die fachferne Medien zu etwas aufblasen können, was er nicht ist; so wie Zidane im letzten Turnier, wo er - der alternde Gott - zu einer Sagenfigur aufgepumpt wurde, an der man sich medial abarbeiten konnte.

Weil Beckham nicht dabei ist, Cristiano Ronaldo und Luca Toni, die da vorgesehen waren, nicht entsprachen, gibt es ein Loch für die Yellow Press.

Dass das keinem wirklich abgeht, hat mit der hohen Qualität zu tun, die hier geboten wird, ganz OHNE, dass man einem großteils ahnungslosen Publikum erzählen will, es wäre auf die Kraft eines Einzelnen zurückzuführen (sowieso eine Contradictio des Sports an sich, historisch nur an etwa fünf Ausnahmefällen auszumachen).

Das spanische Mittelfeld etwa - wie aus einem Guß, genial, aber ohne Führergestalt. Was für ein Glück.
Andrej Arshavin, doch nicht der neue Messias, nur ein lernbegieriger guter Kandidat.
Ballack, doch nur einer von mehreren.
Portugal, Holland und die anderen Schönspieler-Teams: Kollektive, in denen der, der grad am besten drauf ist, das Heft des Handelns in die Hand nimmt.

Im Gegensatz zu früheren Turnieren also, in denen die uninformierten Diesmal-Auch-Zuschauer eine Art Hauptdarsteller brauchten, um dranzubleiben, ist es diesmal das Drehbuch, das sie packt, nicht die einzelne (überhöhte) Personality. Das tolle Drehbuch für eine hervorragende Mini-Series.

Das ist ein unglaublich großer Schritt in Richtung sinnvoller Rezeption.

 
 
Fair Play
  Wichtig für die Gesamtwirkung, die so ein Turnier hat - weil es ja auch auf Menschen wirkt, die sonst kaum ein Spiel sehen und deswegen nicht auf dem laufenden sind, und gerne mit überholten Denkmustern ihrer Kindheit oder gar ihrer Väter an den Sport rangehen - ist die große Fairness mit der es ablief.

Es gab kaum böse Fouls, wenige Verletzungen, keine Ausraster und nichts, wo man jemanden zum Bad Boy hochstilisieren kann. Dazu reicht es ja schon einmal heimlich in Richtung Gegner zu spucken (kennen wir ja von Vorgänger-Turnieren zur Genüge).

Der Umgangston des Profi-Spieler untereinander war kollegial und herzlich. Alle Spieler bei der Euro wissen, dass sie womöglich demnächst mit dem heutigen Gegner in einer Mannschaft stehen könnten und handeln dementsprechend. So gesehen, hat sich die rasante Globalisierung des Sports auch positiv ausgewirkt. Kein Match, in dem einander nicht vorher im Spieler-Tunnel einige Vereins-Kollegen, Ex-Kollegen oder Kumpel gegenseitig Glück wünschen und das auch so meinen.
Die Zeiten, in denen politische Systeme via Fußball um Vorherrschaft kämpften, sind vorbei.

Und die aktuelle Spieler-Generation behandelt Nationalismus als spielerischen, rein symbolischen Wert.
Da bleibt denen, die den Sport für ihre miesen Umtriebe benutzen wollen, zunehmend weniger Spielraum. Die Fälle, die die FARE bei der Euro beobachtete und dokumentierte, sind im Vergleich zur Vergangenheit wenige, wirken schon fast ein wenig verzweifelt gegen ihren Untergang ankämpfend. Auch diese Begleiterscheinungen befinden sich auf einem absterbenden Ast.

 
 
Tempo
 

Wie wichtig - vor allem für die österreichische Öffentlichkeit - die Teilnahme der heimischen Mannschaft war, wird sich erst in einigen Jahren in voller Tragweite zeigen.
Denn während wir sonst bei solchen Turnieren gerne danebensitzen und ein Schnoferl ziehen, weil das Niveau von Tempo, Technik, Taktik unerreichbar scheint, so gab es diesmal die Bestätigung, dass sich der Versuch, die Anstrengung hier mitzuhalten, lohnt.
Vom Tempo her ist es sich nämlich ausgegangen.

All die Deppen, die noch im Frühjahr über "nur" Luft für 60 oder 70 Minuten gejammert haben, weil sie das Wesen eines gezielten Trainingsaufbaus per se nicht kapieren, haben 3x90 volle Power-Minuten gesehen.
Und das ist die Eintrittskarte in den Verbund der Großen. Ohne diese Fähigkeit, die unser Nationalteam einzig dank Roger Spry hat (denn die Bundesliga trug dazu kaum etwas bei) geht nix.

Nun muss der Rest folgen.
Dass man nämlich auch in diesem hohen Tempo technisch sauber spielen muss, dass man da noch besser antizipieren muss.
Das können die Herren Teamspieler am besten im Ausland, in guten Ligen, die auf einem hohen Level agieren, lernen. Also raus mit euch!
Danke an die Neuzugänge auf dieser Liste, danke Herr Fuchs, danke Herr Berger! Säumel, Ertl, Atan, Kavlak, Juno, schnell aufrücken, raus!

mehr auf fm4.orf.at/blumenau/223093/main

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