"Höflichkeit hat noch niemandem geschadet"

25. Juli 2013

Mein Vater holt mich vom Flughafen ab. Kurz bevor wir am frühen Morgen in die Strasse mit unserem Haus in Meerbusch-Osterath einbiegen, kreuzt eine Fahrradfahrerin unseren Weg. An ihrem Hollandrad ist ein großer Anhänger befestigt. Darin sitzt ein großer Hund, mit wehenden Ohren und stolzer Schnauze. An ihrem Lenkrad ist ein Korb befestigt, mit roter Blumengirlande verziert und praller Brötchentüte befüllt. - Ich erkenne diese Frau. Sie ist meine Mutter. Der Hund heißt Hajo. Er ist 12 Jahre alt, besitzt vier Beine und schätzt das Bäckerhandwerk. Aber eigentlich sieht er nur aus wie ein Hund.

 

Am Sonntag erklärt mir meine Mutter auf der Terrasse, dass Hajo Kirschen liebt. An seinem Blick samt insistierenden Sabbern erkenne ich, dass sie nicht lügt. Großherzig offeriere ich Hajo eine Kirsche. Meine Mutter ist entsetzt: ich müsse sie doch vorher entkernen. Am Montag bittet mich meine Mutter, Hajo sein Frühstück zu bringen. In den Garten. Und ich solle bitte nicht vergessen, guten Appetit zu wünschen. Ich muss wohl grosse Augen gemacht haben, denn meine Mutter verkündet: "Höflichkeit hat noch niemandem geschadet." Stimmt, denke ich mir und serviere.
 
Nachher versucht mein Vater diese Gepflogenheit in ein anderes Licht zu rücken indem er erklärt, wie schön Hajo sich doch immer bedanken würde, nachdem es ihm geschmeckt hat. "Hat er aber nicht", sage ich. Nun ist mein Vater empört und sieht Hajo fest an: "Sowas m
acht man doch nicht, wie unmenschlich." Aber meine Mutter ruft nur hinunter: "Hajo bedankt sich nie beim Kellner, nur beim Koch!" Aha. Na dann werde ich am Nachmittag vielleicht die Ehre haben. Mein Auftrag: Einen schönen Topf voll Hirse kochen. Für "Hajochen", er hat nämlich einen sensiblen Magen. Höflicherweise bietet meine Mutter mir an: "Du darfst auch gerne etwas abhaben." Na dann.
 
Später am Abend kann sich Hajo nicht entscheiden. Soll er im Garten schlafen, auf der weißen Daunendecke im Wohnzimmer oder doch lieber im Schlafzimmer? Gott sei dank eilt eine Entscheidung nicht, denn mein Vater ist Qi Gong Lehrer und besitzt alle Geduld der Welt während er Hajo die Terassentür offen hält und dieser noch 10 Minuten überlegen muss. Pfote rein, Pfote raus... Er entscheidet sich schliesslich für den Garten. Ich kann beruhigt schlafen gehen, denn ich weiß: Sollte es Hajo am Rasen zu unbequem werden - schließlich könnte er auch vom feuchten Gras Rheuma kriegen -, werden meine Eltern gerne jederzeit aufstehen und ihn hineinlassen. Alles andere wäre auch unhöflich.
 
 

Kommentare

 

Hahaha entzückend! 

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