"Hat biber Frau für mich?"

03. April 2012

Geschätzte 99 Prozent der Wiener Büros sind durch eine Klingel, einen Gang, einen Lift, eine weitere Klingel und einen Vorraum von der Straße getrennt. Das restliche ein Prozent nennt sich "Gassenlokal", ist von allen Seiten einsehbar und von der Straße nur durch eine Glastür getrennt. In der biber-Akademie im 15. Bezirk führt diese Nähe zur Straße dazu, dass Passanten die Bedeutung des Wortes Gassenlokal gerne wörtlich nehmen und mit einer Selbstverständlichkeit bei uns herein schneien wie zuvor in ihr Stammlokal. Dann stehen sie da, in der Mitte des Büros - ohne Klopfen, ohne Anläuten, ohne Vorstellen - und wollen was, und zwar IRGENDWAS!

 

Der erste Besucher des Tages will die Fenster putzen. "Ich zufrieden, du zufrieden, Preis perfekt", sagt der Mitte 50jährige, vom Typ her Südrumäne, mit einem Billa-Sackerl in der Hand. Er ist sympathisch, aber leider muss ich ihn, bevor er seine Putzmittel auspackt und loslegt, sagen, dass die Fenster schon fix an unsere Putzfrau vergeben sind. Er gibt sich geschlagen und zieht grüßend von dannen. Die zwei Kollegen aus der Vorwoche zettelten, bevor sie gingen, noch einen regelmäßigen Preiskrieg um unsere Fenster an.

 

Cover-Kritik

 

Der zweite Besucher, Typ Ösi, Ende 50, mit Militärhose, Bart, Grogs, offenem Hemd und Goldketterl, will wissen, was aus dem Geschäft der Vorgängerin wurde. Er erzählte von der Unterwäsche bei "Wäsche Textil Denise" und wie er dort Haus-Elektriker war. Dann steht er einfach da und schaut. Er will offenbar noch was: reden, sich unterhalten, die Zeit vertreiben. Das ist der Zeitpunkt, wo ich den Besuchern den biber in die Hand drücke, um ihnen zu vermitteln: "Ich muss was hackeln, setzt euch da oben aufs Bankerl zu den anderen und lest biber." Er schaut aufs Cover und geht mit der Anmerkung: "Alt Erlaa ist aber kein Gemeindebau."

 

Der dritte Besucher ist ein alter Österreicher, der eigentlich draußen bleibt, aber dermaßen lange und dicht an der Scheibe klebt, dass ich ihn herein bitte. Er hat vor 40 Jahren hier in der Reindorfgasse gewohnt, und hält einen Vortrag, wie sich alles hier verändert hat, wie alle Geschäfte gestorben sind oder von ausländischen verdrängt wurden und fährt mit einer Lebensweisheit fort: "Die Leut sagen immer, die Zeiten werden immer schlimmer. Aber die Zeiten bleiben gleich, die Menschen werden schlimmer." Ich drücke ihm einen biber in die Hand und verabschiede mich - lieber das Nudel-Cover nicht das über die Türkmen'sche 3. Türkenbelagerung, das würde ihm auf seine alten Tage wohl zu sehr aufs Herz gehen. Er schlendert weiter durch seine Vergangenheit.

 

Der Postschlüssel

 

Der vorerst letzte Besucher baut sich unbemerkt vor mir auf, als ich gerade ein Kabel unter dem Schreibtisch richte. "Wo gibt Postschlüssel?", sagt der Mann Mitte 30, vom Typ her Jugo. Er will einen dieser Universalschlüssel, mit dem man in alle Wiener Häuser rein kommt. "Da kann ich nicht helfen, wir sind eine Redaktion." - "Ich will nix machen Böses in Häusern. Nur Postschlüssel. Weißt du, ist möglich?" - "Leider, davon hab ich keine Ahnung. Gehen Sie doch zum Schlüsseldienst." - "Wenn ich dort gehe und sage: Postschlüssel. Ist komisch, oder? ist erlaubt?" Sein linkes Auge flackert. Ich gehe auf Sicherheitsabstand. "Will nix Böses in Hausern, nur Postschlüssel. Möglich?"

 

Will er jetzt, dass ich ich für ihn zum Schlüsseldienst fragen gehe? Das ist der Zeitpunkt, wo ich ihm den biber in die Hand drücke und ihn lesen schicke.

 

Single-Börse

 

Aber er ist hartnäckig und entpuppt sich als wahrer biber-Fan. "Habe ich März, jetzt April, nur Februar fehlt." Das erweicht mein Herz. Ich lege ihm freundlich grüßend drei Februar-Ausgaben oben drauf und gehe zum Computer zurück. Anstatt zu gehen ist er mir aber gefolgt.

 

"Hat biber Frau für mich?"

 

Jetzt wird es richtig kritisch. Wenn er das April-Heft aufschlägt und sieht, dass wir tatsächlich auf Seite 33 hübsche Single-Mädels abgelichtet haben, dann bewegt er sich hier nicht mehr raus, bis ich ihn mit einer Frau zum Heiraten verschafft habe - , am besten mit seinem Postschlüssel als Mitgift.

 

"Da kann ich jetzt bitte nicht helfen. Wir sind ein Magazin. Ich muss jetzt arbeiten. Guten Tag."

 

"Wann kann ich wiederkommen?"- "Wofür?" - "Zum Reden."

 

Oh, Mann!!! "Ok, ja, bald. Ich muss jetzt wirklich arbeiten."

 

Er geht und ich komme endlich wieder dazu, diesen Blog weiterzuschreiben. Ich setze mich hin. Draußen ziehen die Menschen mit viel Tagesfreizeit weiter an unserem Lokal vorbei. Und bald wird einer von ihnen wieder im Raum stehen und irgendwas wollen. Eine alte Frau schaut durchs Glas und richtet sich ihre Mütze, die das gleiche Magenta hat wie das biber-Banner über ihr.

 

Das ist der Preis des Gassenlokals und eigentlich auch der Lohn dafür. Denn selbst wenn jeder 10. dieser Menschen mit viel Tagesfreizeit hereinschneit und irgendwas erzählt anstatt eine heiße Story zu liefern - sie selbst sind immer eine Story wert.

Postschlüssel, Frau gefunden? To be continued.

Kommentare

 

schöner blog, clemens. tatsächlich, in unserm krätzel wirds nie langweilig. die reindorfgasse ist ein hit!

 

super blog! du hast die kleinen jungs vergessen, die sturmklopfen und dann lachend wegrennen, oder das pärchen im jogger, die jeden tag 15minütige zigarettenpause direkt vor unserer tür machen.. :) mein favorit: ich sitze seelenruhig am schreibtisch, dreh mich kurz nach rechts: klebt ein alter opi an der scheibe und bietet mir den sympathischten, zahnlosen grinser ever. mein persönliches highlight!! :))

 

hahahah ich habe viel gelacht =) und ich kann mir das einfach so gut vorstellen... Will nix Böses in Hausern, nur Postschlüssel. Möglich?"

 

dieser typ der sich ne freundin sucht war bei uns auch da!!! Der hat sich einfach zu uns an den Tisch gesetzt, als wir ne besprechung hatten :)

 

 

hahaha bei uns sind schon 3 leute gekommen, die gefragt haben, ob das ein kaffeehaus ist.. und du weißt ja, wie es in der akademie ausschaut.. :D

 

ja solche hatten wir auch :D

aber die meisten treten ein, schauen sich um und fragen dann, was das hier überhaupt ist :)

 

Lol. Bei uns auch :). Alt durfte sie gerne sein, aber Geld haben. Ne Marian? :)

 

Oh ja...das war eine unheimliche Begegnung ;)

 

Hahaha, genau!
Am besten sind die, die ewig lang reinschauen, bis du sie erblickst und dann wie erwischt ganz schnell wieder wegschauen und weitergehen.
Einmal war einer so dreist, der hat sich "hinter" mich gestellt (also von draußen) und hat mit mir am bildschirm mitgelesen! :D
Aber am besten waren die kleinen süßen hunde. Delna und ich haben sie geliebt!!! ;) die waren auch immer uuuur neugierig was wir da drin treiben ;)

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