Helden aus Papier und Tusche– Ex-Yu als Comic-Paradies

09. November 2010

Es gibt genau zwei Dinge, für die ich Genosse Tito ewig dankbar sein werde. Das Zweite ist, dass er mitgeholfen hat, die Nazis zu besiegen. Das Erste aber ist, dass er höchstpersönlich dafür gesorgt hat, dass Comics in Jugoslawien als Kulturgut großzügig gefördert werden – gegen den Widerstand des Zentralkomitees!

von Bogumil Balkansky

 

Donald Duck ist kein Kapitalist!

Als das Zentralkomitee der KP Jugoslawiens die Comics als kapitalistische Machwerke verbieten wollte, soll Tito gesagt haben: „Wieso? Ich mag Donald Duck!“ Die Comic-HeldInnen meiner Kindheit und Pubertät heißen Zagor, Alan, Tex, Barbarella oder Modesty, sprechen lupenreines Serbokroatisch und bestreiten Abenteuer, die niemand sonst meistern könnte ­– schon gar nicht ein Gastarbeiterkind aus Meidling! Sie ließen mich einst dem Altbau Mief der Hausmeister-Zimmer-Kuchlwohnung Wiens in ferne Ecken der Galaxis entfliehen. Oder in das ewig grüne Zwielicht von Darkwood ... Genosse Tito, danke!

 

Superman im Parteiorgan

In Amerika längst Alltagskultur, bekommen Comics in Europa erst ab den 70er-Jahren den Stempel „Kulturgut“. Man produziert, kauft, liest, handelt und tauscht in Belgien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und – Jugoslawien! Das kommunistische Regime fördert sowohl „westliche“ als auch heimische Comics. Zahlreiche Editionen wie „Yu-Strip“ oder „Stripoteka“ entstehen und selbst das inoffiziell-offizielle Parteiorgan der KP, die Tageszeitung „Politika“ gibt ein wöchentliches Jugendmagazin mit Comics heraus. Im „Politikin Zabavnik“ fliegen „Superman“ und „Flash Gordon“ über die großformatigen Seiten. „Tarzan“ und „Das Phantom“ sorgen in Afrika für Gerechtigkeit, „Rip Kirby“ und „Modesty Blaise“ wetteifern, wer der coolere „Agent-Noir“ ist. Dazwischen treten die zwei Kinderpartisanen „Mirko und Slavko“ Nazi-Soldaten in den Arsch und der Ur-Slawe „Dikan“ macht es sich mit seiner Sippe im siebten Jahrhundert auf dem Balkan gemütlich.

 

Wo ist Zagor, wenn man ihn braucht?

Als ich jedoch 1971 am Südbahnhof als neunjähriges Gastarbeiterkind widergeboren werde, erwartet mich ein Kulturschok! Bis auf „Donald Duck“, „Fixi und Foxi“ und einigen Helden aus dem US-Haus „Marvel“, ist Wien bis in die 80er-Jahre eine Comic-Wüste! Und, total ätzend: In den 70ern fordern konservative Politiker in Österreich sogar das Verbot von Comics! Eine öffentliche Debatte über Schaden und Nutzen der Comics an den lieben Kinderlein bewegt das Land! Staun! Keuch! Stöhn! Ich wünsche mir „Zagor der Geist mit der Axt“ würde seiner Papierwelt entsteigen und diese gemeinen Vorurteile ausräumen – mit seiner Axt! Doch „Zagor“ bleibt im dunklen Wald von Darkwood ...

 

 

 

Küsse oder Comics?

Zu den Sommerferien fahre ich auf die Insel Brač, zu Weihnachten und Ostern nach Belgrad oder Zagreb und habe immer dasselbe Problem. Soll ich mein Feriengeld mit meinen Kumpels für den Disco-Aufriss, oder lieber für Comics ausgeben? Was würden Mirko und Slavko tun? Es gibt nur eines: alle sabbernden Großtanten und ungeliebten Cousins besuchen und mir Geld zustecken lassen. Schließlich bin ich der Verwandte, der in der Fremde lebt. Ich kaufe trotzdem nur Comics. In die Disco schmuggeln mich die Kumpels. Ich bin ja der Freund, der in der Fremde lebt. In Meidling dann, an einem der vielen, trüben, verlorenen Nachmittage, steige ich mit Barbarella in ein Raumschiff und fliege nach Tau Ceti, um die Welt zu retten. Wir schreiben das Jahr 4000 ...

 

 

Zwei Länder – ein Comic

Italiener und (Ex-)Jugoslawen streiten gerne über den Grenzverlauf bei Triest und wer die saftigeren Flüche hat. Bei „Alan Ford“ aber steht für Italiener und Jugos fest: es ist das beste, witzigste, schwärzeste und absurdeste was an Tusche und Papier in beiden Ländern je erschienen ist. Diese italienische Comic-Serie erscheint ab 1969 und erreicht einen bis heute andauernden Kultstatus. „Alan Ford“ ist in (Ex-)Jugoslawien und Italien so populär, dass es in beiden Sprachen zur Redewendung für absurde Situationen wird. Man sagt dann: „Das ist ja wie bei Alan Ford!“. Fragt mal eure Italo- oder Jugo-Eltern! Zudem erscheint „Alan Ford“ in rein kroatischer Übersetzung, was zur besonderen Erheiterung der serbischen LeserInnen führt und von manchen KroatInnen zum ersten Akt der Subversion gegen die „serbische Vorherrschaft“ gedeutet wird.

 

 

Heimat-Held killt Comic-Held

Im Balkankrieg der 90er-Jahre ist Schluss mit lustig! Zusammen mit Jugoslawien geht auch seine Comic-Kultur unter. Lediglich zwei Superman-Klone aus Tusche, gedruckt auf Papier in Kriegsqualität sorgen für eine fragwürdige Gerechtigkeit. In Kroatien heißt er „Superhrvoje“ und zerquetscht serbische Panzer und Schädel für ein freies Kroatien. In Serbien heißt er „Supersrbin“ und zerquetscht kroatische Panzer und Schädel für ein Serbien von Belgrad bis Tokio. Nationalistischer Mist, der mit dem Krieg verschwindet. Eine neue Generation von Zeichnern, Szenaristen und Comic-Fans teilt inzwischen über die alten Gräben und neuen Grenzen hinweg, die Leidenschaft für gezeichnete Helden, die größer sind als das Leben. Es gibt sogar eine rege Szene, die Comics aus der Jugoslawien-Zeit sammelt, tauscht und handelt. „Alan Ford“ gehört hier zu den teuersten Sammelobjekten: eine Erstausgabe kann bis zu 2000 Euro kosten! So ist Titos Donald Duck – doch Kapitalist geworden ...

 

 

INFO kurz und bündig

Die „Drei Goldenen Zeitalter“ der YU-Comic-Kultur

Bis zum Ersten Weltkrieg erscheinen in serbischen Zeitungen kurze Bildgeschichten nach Heiligenlegenden. Zwischen den Weltkriegen 1918–1941, verlegen russische Emigranten internationale und jugoslawische Comics, der „Politikin Zabavnik“ erscheint erstmals. Nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Zusammenbruch Jugoslawiens 1991 erscheint der „Zabavnik“ wieder, fast zwei Dutzend Magazine drucken ausschließlich internationale und heimische Comics. Ihren Höhepunkt erreicht die jugoslawische Comic-Kultur während der frühen 80er-Jahre.

 

Kult zweier Länder: „Alan Ford“

Der Zeichner Roberto Raviola und sein Szenarist Luciano Secchi (alias Magnus und Max Bunker) schaffen 1969 die Abenteuerwelt rund um Alan Ford, Mitglied der ärmsten Geheimagenten-Truppe der Welt. Die „Gruppe TNT“ agiert weltweit, aber ihre Basis ist ein armseliger Blumenladen in Manhattan. Obwohl sie Löcher in Schuhwerk und Kleidung haben, oft frieren und hungern müssen, gelingt es Alan Ford und seinen Kollegen immer wieder die Welt von Bösewichten zu befreien. Der schwarze Humor und die offen sozialkritische Note im Zusammenspiel mit aberwitzigen Dialogen und Handlungen katapultieren „Alan Ford“ zum beliebtesten Comic in Jugoslawien und Italien.

Populäre Comics in Ex-YU

Barbarella (Frz.) – Ein feuchter Traum auf dem Weg durch die Galaxis mit erotischen Zwischenstopps und Beseitigungen von galaktischen Böslingen. Ich will sie noch immer heiraten ...

Mirko und Slavko (YU) – Legendär! Zwei bis an die Zähne bewaffnete, schießwütige minderjährige Partisanen, die einander ständig das Leben retten – mit der Warnung: „Achtung Genosse! Da kommt eine Nazi-Kugel! Duck dich!“

Zagor (Ital.) – Mit Axt und Western-Pistole kämpft er im Wald von Darkwood gegen Böslinge, die dem Wald, den Indianern oder Zagor selbst an den Kragen wollen. Sein Spruch: „Bei allen Trommeln Darkwoods!“

Das Phantom (US) – Seit Generationen sagt Papa-Phantom beim Sterben zu Sohn-Phantom: „Trag diese Phantom-Maske, nimm zwei Pistolen und ballere die Bösen aus dem Dschungel Afrikas!“.

 

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Kommentare

 

Ich glaub ich bin noch zu jung. ich hab noch nie was von diesen comics gehört

 

kein problem: auch du moni wirst älter...
ABB

 

sajzndreck. ich kenne barbarella und jane fonda. bin ich jetzt alt ?

 

die Figur am Bild der Verlinkung auf der Startseite schaut aus wie Geena Davis:

http://www.google.com/imgres?imgurl=http://2.bp.blogspot.com/_5_7myy6XZu...

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