Wenn Blicke stärken

02. Juni 2023
Banan Sakbani kennt das Gefühl, für ihr Anderssein angestarrt zu werden, nur zu gut. Welchen Einfluss Zivilcourage für ihre persönliche Geschichte hatte, und warum sie möchte, dass möglichst viele andere dafür einstehen, erklärt sie hier.
 
Von Banan Sakbani, Fotos: Zoe Opratko
 
 
Empowerment Special, Banan Sakbani, Wenn Blicke stärken
© Zoe Opratko
 
 
In der Straßenbahn erlebe ich immer wieder Situationen, die mich an meine Herkunft erinnern. Manchmal finde ich das schön und manchmal empfinde ich es als Watsche ins Gesicht. Die Angelegenheit ist also widersprüchlich – sie kann dennoch entscheidend sein dafür, wie es mir an diesem Tag gehen wird oder ob meine Laune gleich in der Früh verdorben wird.
 
Das erste Mal in einer Bim in Wien
Als ich das erste Mal in einer Bim in Wien saß, versuchte ich mir Deutsch beizubringen, indem ich Worte auf Straßenschildern und Werbeplakaten an Haltestellen las und mir übersetzte. „Daham statt Islam“, „Mehr Mut für unser Wienerblut – zu viel Fremdes tut niemandem gut“, waren ironischerweise die ersten Sätze, die ich in den Google-Übersetzer eingetippt habe. Ich blieb nicht nur beim Übersetzen, denn es hat nicht lange gedauert, bis ich meine ersten Worte auf Deutsch sagte und so kam ich auch langsam ins Gespräch mit anderen Menschen. Im ersten Gespräch sagte mir eine Dame: „Sie sprechen aber sehr gut Deutsch, wo kommen Sie denn her?“ Und erneut hat die erste Frage, die mir auf Deutsch gestellt wurde, mich und meine Laune in eine Schublade gesetzt.
 
Empowerment Special, Banan Sakbani, Wenn Blicke stärken
© Zoe Opratko
 
Fünf Jahre später sitze ich wieder in einer Straßenbahn und werde Zeugin folgender Szene: Eine türkische Frau mit Kopftuch, die am Telefonieren war, wird gleichzeitig von zwei älteren Damen angestarrt. Als die Türkin den beiden vorwarf, dass sie ausländerfeindlich seien, schaute eine von ihnen zu mir rüber und suchte in meinen Blicken nach einer Bestätigung, dass ihre Handlung die richtige war. Wie schnell wurde vergessen, dass ich doch vor einigen Jahren in der gleichen Position gesessen war, nur weil ich vorhin auf Deutsch telefoniert habe, teilweise anders aussehe oder eine Zeitung in der Hand trage? Ich nickte. Ich schaute zu der türkischen Frau rüber und nickte. „Sie haben Recht“, habe ich ihr auf Türkisch gesagt. Daraufhin fragte sie: „Es stimmt, oder? Ausländerfeindlich, so heißt es auf Deutsch, nicht?“ Ich bestätigte: „Ja, das stimmt, bitte lassen Sie sich nicht unterbrechen.“ Es hat nur diesen einen Satz gebraucht und sie fand in ihren Redefluss auf Deutsch: „Als ob ich jetzt aufhören würde, wegen den Damen hier mit meiner Schwester zu telefonieren!“ Sie stolzierte an den beiden Frauen vorbei, bedankte sich bei mir und stieg, mir zulächelnd, aus.
 
Ein Blick kann schwächen, zerstören und ausgrenzen, genauso wie ein Nicken bestätigen, verstärken und empowern kann. Wie oft habe ich ein Nicken in dieser Stadt gebraucht, wie oft schwieg ich und saß versunken da. Heute bin ich diejenige, die empowernd nickt. Ich hoffe, das seid ihr auch!
 
Ich werde nicht nur nicken
Heute kann ich laut mitreden, mitgestalten, mich teilweise politisch beteiligen, die Werbeplakate kritisieren und auf das Zynische mit dem Finger zeigen, denn wählen darf ich aufgrund meiner Staatsbürger:innenschaft immer noch nicht. Man sollte gerade diesen Menschen eine Stimme geben und sie stärken, denn sie sind mit ihrem bunten Hintergrund eine Bereicherung unserer Gesellschaft, anstatt ihnen die Stimme zu entziehen und zu behaupten, sie seien eine Belagerung unserer österreichischen Märkte und die Plätze sind nicht mehr die, die sie mal waren. Gott sei Dank sind sie das nicht. Auch ich bin nicht die gleiche Person wie vor fünf Jahren. Orte verändern sich, Städte wachsen und die Menschen entfalten sich. Jedes Wort zählt und hat einen Einfluss, liefert einen negativen oder einen positiven Beitrag. Es braucht keinen Hass und keine Verhetzung, diese stellen eine Gefahr für unser Zusammenleben und unsere Demokratie dar. Wien war schon immer eine bunte Stadt, gerade deshalb sollten wir weiterhin die Diversität fördern und diese nicht mit hasserfüllten Reden zerstören. Worte wirken. So wie die empowernden Worte des Direktors meiner ehemaligen Schule, in der ich im vorigen Jahr mit Auszeichnung maturierte: „Ich freue mich auch, dass sie kommt, um den anderen Schüler:innen, die lernen zu zeigen: Das hat funktioniert! Schaut, was aus mir geworden ist!“
 
Empowerment Special, Banan Sakbani, Wenn Blicke stärken
© Zoe Opratko
 
Ja, ich ging in meine ehemalige Schule und auch in andere Schulen als Integrationsbotschafterin mit dem Roten Kreuz zurück, um einige Workshops in Schulklassen zu halten, weil ich wusste, welche großartigen Menschen mit ihren tollen Einstellungen mich empfangen würden. Die Kinder brauchen dieses Empowerment und das weiß ich am besten, weil ich sie selbst damals brauchte. Sie brauchen sie mehr als je zuvor. Jetzt vor allem deshalb, weil sie mit politischen Aussagen wie „Du gehörst nicht zu Wien!“ als Schüler:innen konfrontiert werden. Die Schicksale und die Zukunft der Menschen sind nicht dafür da, um damit Wählerstimmen zu generieren. Das ist nur perfide. Empowerment ist ein essenzieller Bestandteil einer soliden, verbundenen, solidarischen und friedlichen Gesellschaft. Wenn die Empowerment fehlt, dann gibt es einen Raum für Unwissen, Unsicherheit, Exklusion, Hass und Gewalt. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass alle über ihre Rechte Bescheid wissen und wenn sie dies nicht tun, dann diskriminieren wir sie, anstatt Ihnen diese Unwissenheit abzunehmen.
 
Warum hat es bei mir funktioniert?
Ich bin keine erfolgreiche Ausländerin, weil ich besser als die anderen bin oder weil ich die gute Migrantin bin, die brave Asylantin, die so schnell neben sechs weiteren Sprachen Deutsch lernte und Preise gewann. Bei mir hat es funktioniert, weil meine Lehrer:innen an mich geglaubt haben. An dem Zeitpunkt, an dem es an der Zivilcourage gescheitert ist, haben mir meine Professor:innen unter die Arme gegriffen und mir das ausreichende Wissen mitgegeben. Ich habe mich keine einzige Sekunde in der Schule für meine Identität schämen müssen. Leider ist das aber auch nicht in allen Schulen der Fall. In der Mittelschule, die ich vor dem Gymnasium einige Monate lang besuchen musste, weil mein Pflichtschulabschluss aus der Türkei nicht anerkannt worden war, wurde ich ausgelacht, einer der Lehrerinnen sagte mir damals, dass ich es niemals zur Matura schaffe, dass nicht alle Kinder aufs Gymnasium müssen und dass die Uni nichts für mich wäre, weil ich noch kein Deutsch könne. Mit diesen Worten traumatisierte sie mich, heute möchte ich ihr als Jus-Studentin eines sagen: Ich habe es geschafft und hoffe, dass ich Ihnen, Frau Lehrerin, und  Ihrer Zivilcourage mit meiner Erfolgsgeschichte eine Lehre sein kann.
 
Traut euch! Steht für eure Identitäten ein, für eure Vielfalt, werdet laut, lasst euch die Chance nicht nehmen und lasst euch ja nicht demotivieren. Seid politisch und setzt euch für eure Anliegen ein, sonst heißt es immer: „Die Flüchtlinge!“ und „Die Migrant:innen!“ und irgendwer bringt dann für uns diesen und jenen Vorschlag ein. Wir können für uns selbst sprechen, wir können selbst bestimmen, was wir wollen, aber auch, was wir nicht wollen. Denkt an diesen Spruch: „Niemand hat das Recht zu gehorchen“ – auch diesen Statz habe ich zum ersten Mal von meiner ehemaligen Französisch-Lehrerin gehört und ihn ins Herz geschlossen.  ●
 
 
Banan Sakbani ist 20 Jahre alt, studiert Rechtswissenschaften, arbeitet neben ihrem Studium in einer Rechtskanzlei als Assistentin. Sie ist Musikerin und Rednerin.

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