Ich habs gut. Ich hab ein Bett.

02. Februar 2012

Acht Uhr früh. Ich verlasse das Bett und beginne mich auszurüsten. Unterhemd, Rollpulli, Strickjacke. Dazu Strumpfhose und Omas Stricksocken. Drüber Jeans. In die Boots steck ich Lammfelleinlagen, über die Handgelenke ziehe ich Angora-Pulswärmer. Unter die Daunenjacke wird die weite Hausstrickjacke gequetscht. Dann Megaschal und Wollmütze. Ich gehe raus, ich stocke, ich friere. Es ist totkalt. Und doch 20 Grad wärmer als in Osteuropa.

 

Temperaturen am Erfrierpunkt

Der "Erfrierpunkt" scheint erreicht: Minus 30 Grad in der Ukraine, mit 63 Kältetoten. Minus 20 Grad in Polen, rund 29 Kältetote. Italien und Türkei versinken im Schnee und erleben den heftigsten Winter seit 30 Jahren. Mehr als 120 Menschen sind in den letzten Tagen in Europa erfroren. Zwei davon in Österreich. Eine Frau stürzte im Wald, zwei Stunden später war sie tot. Väterchen Frost ist spät dran, aber sein Griff ist umso eisiger.


Betroffen sind vor allem die Menschen, die auf der Straße leben. Obdachlose. In der Ukraine sind mehr als 40 Menschen auf der Straße erfroren. In Athen werden Hallen geöffnet, um den mehr als 20.000 Obdachlosen Zuflucht zu bieten.


Kälte beisst, schneidet, raubt Luft, kribbelt, betäubt. In Wien klettern die Temperaturen zwar heute Morgen "nur" auf minus 12 Grad runter, trotzdem ist es kaum auszuhalten. Die österreichischen Obdachlosenstellen Alarm: Am Wochenende soll es kälter werden, bis zu minus 20 Grad, sie fürchten, dass ihre Kapazitäten nicht reichen. 50 mehr Betten sind von Nöten, denn wer draußen schläft, hat wenig Chancen.

 

Ich, nicht das Mädchen mit den Schwelfelhölzern!

Ich mit meinen Pulswärmern und dem Woll-Zwiebellook, ich, die höchstens fünf Minuten draußen verbringt und nur von einem geheizten Fleck zum nächsten hüpft, ich, die sich jederzeit einen heißen Kaffee kaufen kann und sich abends mit einer 30cm dicken Daunendecke zudeckt, ich, die heiß geduscht hat und womöglich abends ein Erkältungsbad nimmt, ich habs echt gut, denk ich mir auf meinem Weg zur Akademie. Ich kann mir nicht vorstellen wie das ist: Draußen "gefangen" sein, bei Minusgraden schlafen, gegen den Frost überleben. Das Mädchen mit den Schwefelhölzern fällt mir ein...

 

Call for help!

Auf Facebook kreisen derzeit Telefonnummern, mit Notfallnummern für Hilsbedürftige. Ich nehme mir vor, sie mir im Büro rauszuschreiben. Das ist eine gute Sache! Doch liegt es an mir, oder ist es etwas makaber, dass die Wiener Obdachlosenstellen "Gruft" heißen?! Und dass auch an der untersten Stufe unserer Gesellschaft noch getrennt wird. Laut Standard gibt es eine "zweiten Gruft, wo Nicht-Österreicher unterkommen können."


Meine blöde Strumpfhose ist nicht warm genug. Mir fällt der Ukrainer aus dem Fernsehen ein: Wie glücklich er über den Lammfellmantel war, den ihm ein Taxifahrer schenkte. Dann denke ich an die "taffe" Mitt-80-Jährige in Polen, die zu Hause Mantel und Mütze anbehält, weil der Ofen nicht stark genug ist. Ihre Leitungen sind auch eingefroren. Ihr Kommentar: "Es ist kalt. Aber was sollen wir dann tun? Weinen?"

 

Hier für alle die besagten Nummern von www.LEBE2.at:

"ES IST TÖDLICH KALT DA DRAUSSEN!
Wer tagsüber/abends/nachts Obdachlose auf der Straße in Wien schlafen sieht, kann folgende Stellen anrufen wo Ihnen Essen & Wohnplatz gestellt wird:
GRUFT: +43 1 587 87 54 31
P7: +43 1 892 33 89
Tageszentrum St. Josef: +43 1 479 23 94
Tageszentrum Josi: +43 1 4000 59 335
HELFT BITTE MIT unsere Mit-Menschen vor dem Kälteto
d zu bewahren!
Augen auf und bitte weiter teilen!
Und bitte auch selbst die Telefonnummern einspeichern, damit ihr reagieren könnt wenn es nötig ist!
DANKE!"

 

Quelle:

Der Standard 1.2.2012

heute.de / 1.2.2012

Tiroler Tageszeitung / 2.2.2012

 

Kommentare

 

finf sternies!

 

Super, super Blog! Da wird mir vom Lesen schon wärmer, auch wenn es draußen "totkalt" ist. Im wahrsten Sinne des Wortes leider...

 

wichtiger blog!

 

Super Blog! Wichtiges Thema!

 

Ich hab gehört in [Stadt einfügen, habs vergessen] haben sie absichtlich die Ubahn Stationen über die Nacht offen, damit die Obdachlosen dort übernachten können.

 

Seid ihr schon mal dort beim Karlsplatz vorbeigegangen, wo sie aufzählen, wieviel Schnitzel gegessen werden und so Statistikzeugs? Irre wieviele Menschen sich dort einquartiert haben..

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