Leidenschaft mit Ablaufdatum

25. März 2013

Er tauscht Bücher von Sartre gegen den Playboy aus den 70ern. Im "Romantausch" von Herrn Bitterer auf der Mariahilferstraße im 15. Bezirk finden Leseratten ein Stück gedruckte Vergangenheit.



Der kleine Laden ist so vollgeräumt mit Büchern, dass der Besitzer hinter der Theke kaum zu sehen ist. Andreas Bitterer liebt Bücher, wirkt besonnen und drückt sich gewählt aus. Man merkt, er ist ein belesener Mann. "Ich konsumiere ja meine eigene Ware!", gluckst er zwischen gefühlten 1.000 Büchern und Zeitschriften. Sein Vater, ein kaufmännischer Angestellter, sah sich in den 80ern nach einem zweiten Standbein um. Von der Sammelleidenschaft seiner beiden Söhne inspiriert,entschloss er sich ein Tauschgeschäft für Romanheftchen und Bücher zu eröffnen. Jeder kann vorbei kommen, ein altes Buch abgeben und sich neuen Lesestoff holen, den jemand zuvor abgegeben hat. Dafür verlangt Herr Bitterer eine kleine Tauschgebühr.



Andreas, damals noch Handelsschüler, löste täglich nach der Schule seine Mutter ab. "Das ist sich gut ausgegangen, damals ist das Geschäft auch noch nicht so gut gelaufen, also hatte ich genügend Zeit um Hausaufgaben zu erledigen." Herr Bitterer muss seine Bücher nicht unbedingt kaufen, manchmal findet er einen Sack voll "Ware" vor der Tür. Er schäkert ein wenig mit Stammkundinnen, wartet geduldig bis sich eine etwas senile Dame an ihren Wunsch erinnert und hilft ihr, ihr Säckchen wieder zu füllen. "Man muss auf die Kunden eingehen und herausfinden, was sie wollen. Manche kommen vor allem zum Plaudern."



Ein lebensverändernder Brief

Im Alter von 20 las er gerne Western-Romane und pflegte Brieffreundschaften auf der ganzen Welt. Ein Hobby, das sein Leben verändern sollte. Von einer Kundin bekam der junge Mann die Adresse eines Mädchens aus den Philippinen. Sie schrieben sich zwei Jahre lang Briefe. Herr Bitterer erinnert sich an das nervenaufreibende, wochenlange Warten auf Antwort: "Das war unser damaliges Internet. So sehr auf den Postboten zu fiebern kann man sich heutzutage mit Skype gar nicht mehr vorstellen." Als Andreas das Mädchen kennenlernen wollte, tagte erstmals die ganze philippinische Familie des Mädchens und sogar ein philippinischer Familienrates in Österreich. "Sie mussten darüber reden, ob das eine gute Idee war, dass ich zu ihr fahre." Er musste sich vorstellen und schließlich wurde das Vorhaben gesegnet.

Mit 24 Stunden Verspätung stand er schließlich am belebten Flughafen von Manila. Während er sich noch Sorgen um den schlechten ersten Eindruck machte, verfrachtete ihn seine "Gastfamilie" auf die Ladefläche eines Pick-ups und fuhr durch die Slums von Manila. "Um mich herum waren lauter fremde Leute, ich war müde und dreckig- aber es war egal." Nach etwa einer Woche beschlossen Andreas und Esperanza zu heiraten.



Kein Chef über mir

In Wien vereint, kommt Andreas Bitterer sein Beruf zugute: Tag ein Tag aus lernt das junge Paar miteinander Deutsch, isst im Hinterzimmer des Ladens und genießt die gemeinsame Zeit. "Natürlich gab es kulturelle Unterschiede, doch die intensive Zeit, die wir miteinander verbracht haben, die schweißt zusammen." Heute ist Herr Bitterer 52 Jahre alt, hat eine erwachsene Tochter und feiert bald mit Esperanza den 30. Hochzeitstag. Sie gehen gemeinsam auf Reisen, ins Kino und sogar in den Tanzkurs. Das philippinische Essen schmeckt ihm aber immer noch nicht.

Herr Bitterer kann sich keinen Chef mehr vorstellen. "Ich sehe das hier nicht als Arbeit. Ich bin mein eigener Chef und das Betriebsklima ist meine eigene Stimmung." Mit seiner Pensionierung wird einer der letzten Romantauschläden in Wien schließen. Das Geschäft laufe nicht mehr so gut wie früher und seine Tochter möchte es nicht übernehmen. Die Nostalgie überlässt er dennoch lieber seinen Kunden. "Manchmal kommen hier Erwachsene rein und fragen, ob ich mich noch an sie erinnere, weil sie hier als Kinder ihre Comics getauscht haben." Der "Romantausch" ist ein Auslaufmodell, alle bestellen ihre Bücher nur noch über Amazon. Herr Bitterer glaubt: "Manche werden uns erst bemerken, wenn es uns nicht mehr gibt."

Kommentare

 

bin begeistert!

 

Dem kann ich mich nur anschließen! Tolle Lebensgeschichte...

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