Sanfte Fäuste

08. Juli 2021

Sie alle haben schon Titel für Österreich geholt. Dabei ist keiner von ihnen österreichischer Staatsbürger. Kampfsport-Profis Khalegh, Alireza, Ismail und Hussein über Kickboxen, Frauenrechte in Afghanistan, österreichische Küche und die Image-Politik der Grünen.

von Aleksandra Tulej, Fotos: Zoe Opratko

Khalegh ist Österreichischer Staatsmeister im Kickboxen
Khalegh ist Österreichischer Staatsmeister im Kickboxen

Als Khalegh sich all seine Medaillen um den Hals hängt, wird sofort klar: Viel mehr gehen sich auf dem Oberkörper des großen, breit gebauten Afghanen nicht mehr aus. Er zuckt aber nur mit den Schultern und sagt mit sanfter Stimme: „Das sind eben meine Medaillen, die hab’ ich gewonnen. Für Österreich.” Khalegh ist österreichischer Staatsmeister im Kickboxen. Nach fünf Jahren in Österreich hat der 26-Jährige Afghane vor einiger Zeit endlich seinen Aufenthaltstitel bekommen. Auch seine Freunde Alireza, Hussein und Ismail, haben einiges vorzuweisen: Sie sind Staatsmeister in den unterschiedlichsten Kampfsportdisziplinen, Nationalmannschaftsmitglieder, Profisportler – und Flüchtlinge aus Afghanistan.

Husseins größtes Ziel ist es, einmal für Österreich anzutreten.
Husseins größtes Ziel ist es, einmal für Österreich anzutreten.

„Bissi Brot, bissi Butter – und das soll ein Frühstück sein?“

Eigentlich sollte es ein Interview über ihre Kampfkunst und ihre sportlichen Erfolge werden. Doch aus dem Gespräch im Shinergy Studio in Alsergrund entwickelt sich schnell ein Austausch über österreichische Frauen, österreichische Politik, Abschiebungen, österreichische Küche und Zukunftspläne.
Seit Jahren gibt der ehemalige Open-Taekwondo-Weltmeister Ronny Kokert Kampfsportkurse für junge geflüchtete Menschen: Seine “Freedom Fighters”. Er hat mittlerweile schon über 300 Jugendliche trainiert. Sie zahlen nichts für die Trainings, die Ausrüstung bekommen sie zur Verfügung gestellt. Shinergy ist die Verbindung von Zen Philosophie, asiatischer Kampfkunst und modernen Methoden der westlichen Sportwissenschaft. 

„Nenn mich Isi, okay?“ Der 22-Jährige Ismail ist der Vorlaute und Freche der Gruppe. Er ist doppelter Staatsmeister im Junior-Kickboxen und kämpft heute in der Nationalmannschaft. Er hat eine Lehre als Koch im Hotel Sacher absolviert und kann nicht genug davon bekommen. „Das Kochen habe ich einfach im Blut. Ich wusste schon sehr früh, dass ich Koch werden möchte.” An die österreichischen Essgewohnheiten musste er sich erst gewöhnen: „Nichts gegen Österreicher! Gar nichts. Aber sie essen so wenig. Bissi Brot, bissi Butter und das soll ein Frühstück sein?”, lacht er. Stolz erzählt er, wie er vor fünf Jahren kurz nach seiner Ankunft in Österreich im Flüchtlingslager Traiskirchen in der Küche gearbeitet hat. Die Speisen, die den 2.500 Menschen im Lager serviert wurden, hätten den Neuangekommenen einfach nicht geschmeckt. „Ich habe dann heimlich das Essen immer nachgewürzt, und plötzlich wollten alle noch Nachschlag. Bissi Pfeffer, bissi Salz, bissi andere Gewürze - und schon war es viel besser”, lacht er. „Na geh, die Österreicher haben eh gutes Essen!”, unterbricht ihn Khalegh. „Kartoffelsalat, Kalbsschnitzel, Semmelknödel, Hendl gefüllt… bist du wahnsinnig, ist das lecker! Das kenn ich von meinem österreichischen Vater.” Damit mein Khalegh seinen “Schwiegervater”, wie er erklärt - Khalegh ist seit dreieinhalb Jahren mit einer Österreicherin zusammen. Auch Isi und der 29-Jährige Alireza, Vize-Weltmeister im Kickbox-Vollkontakt, der mittlerweile selbst Shinergy-Trainer ist, sind mit Österreicherinnen liiert. Nur Hussein, mit seinen 18 Jahren der Jüngste, ist noch Single. “Leider”, zuckt er mit den Schultern. “Geh, du hast noch ur viel Zeit”, reden ihm seine älteren Freunde gut zu. Hussein absolviert gerade die Camillo Sitte HTL und will später einmal Baumeister werden. Sein größtes Ziel ist es, einmal bei der Taekwondo-Weltmeisterschaft für Österreich anzutreten. 
Hussein, Khalegh und Isi sind Asylberechtigte, Alireza ist noch Asylwerber. Wie können sie dann offiziell für Österreich Kämpfe antreten? Eigentlich bräuchte man dafür ja die Staatsbürgerschaft, aber für Staatsmeisterschaften und das Nationalteam gibt es eine Ausnahmeregelung. “Der Kickbox-Verbandspräsident Harald Folladori hat das extra für die Burschen ins Leben gerufen, weil er unser Projekt unterstützt. Und so konnten sich auch einige der Burschen ins Nationalteam qualifizieren”, so Ronny Kokert stolz. 

Isi (vorne) ist doppelter Staatsmeister im Junior-Kickboxen
Isi (vorne) ist doppelter Staatsmeister im Junior-Kickboxen


 “Niemand hat Afghanistan aus Spaß verlassen. Niemand.”


Isi, Alireza, Khalegh und Hussein haben eine harte Flucht hinter sich. „Manche Österreicher glauben, dass wir hier mit Anzug und Krawatte in Kabul ins Flugzeug gestiegen sind und nach Österreich gekommen sind”, sagt Isi mit einem traurigen Schmunzeln im Gesicht. „Dabei ist das so: Du steigst in dieses Boot und weißt nicht, ob du am Ende noch lebst. Viele meiner Freunde, darunter auch mein bester Freund, sind auf der Flucht gestorben. Viele sind einfach verdurstet. Ich habe damals meiner Mama gesagt: Schau mich genau an, vielleicht sehen wir uns nie wieder.” Es ist nun sechs Jahre her, dass Isi seine Familie das letzte Mal gesehen hat. Seinen kleinen Bruder hat er noch nie kennengelernt. Isis Familie ist momentan in Bosnien untergebracht. Er hofft, dass sie bald wieder vereint sind. Isi vermisst am meisten die afghanische Gastfreundschaft und seine Familie. “Ich hatte in Kabul eine top Arbeit. Ich war Küchenhilfe bei einer Institution der EU. Ich hatte sogar einen AMG!”, erzählt er stolz. Aber wenn das Land nicht sicher ist, will man dort keine Sekunde länger als notwendig bleiben. „In Afghanistan gibt es einfach kein Leben”, sagt Alireza nachdenklich. Vor allem aber nicht für die Frauen.

Alireza, Vize-Staatsmeister im Kickbox-Vollkontakt
Alireza, Vize-Staatsmeister im Kickbox-Vollkontakt

 “Alles, was mit Frauen zu tun hat, macht man in Afghanistan heimlich.”


 “Frauen in Afghanistan haben einfach keine Stimme. Sie sind unterdrückt und dürfen fast nichts”, erklärt Alireza. „Ich finde das schön, dass in Österreich Frauen und Männer dieselben Rechte haben, so wie es sein sollte.” Isi hat auch dazu eine Geschichte: Er hatte zuhause in Afghanistan eine Freundin. Sein Vater wusste Bescheid, die Familie des Mädchens aber nicht. „Wenn meine Schwester einen Freund gehabt hätte, hätten meine Eltern gesagt: Auf Wiedersehen.” Isi macht eine Wegwerfbewegung, indem er seine linke Hand nach hinten schmeißt. „Und genauso war es bei meiner damaligen Freundin: Als Frau darfst du gar nichts. Ich durfte viel mehr, weil ich ein Mann war.” Seine Freundin traf Isi heimlich. „Alles, was mit Frauen zu tun hat, macht man in Afghanistan heimlich”, pflichtet ihm Khalegh bei. „Ich hatte ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ein Frauenkörper überhaupt aussieht, bevor ich nach Europa gekommen bin.” Als Khalegh hier ankam, sah er zum ersten mal Frauen ohne Kopftuch und ohne bedeckte Bekleidung. „Ich dachte mir dann: Okay, dann ist das halt so. Ich habe mir nicht viele Gedanken darüber gemacht”, zuckt er mit den Schultern. „Ist so. Wenn du dir hier ein neues Leben aufbaust, hast du dich auch anzupassen und fertig”, wirft Isi ein. „Es ist aber nicht überall in Afghanistan so, dass die Leute so zurückgeblieben sind. In meiner Familie war das nicht so, obwohl wir aus einem Dorf kommen. Das wird immer so verallgemeinert”, wirft Hussein genervt ein. Nerven kostet Hussein auch die Berichterstattung zu Afghanen in österreichischen Boulevardmedien. „Immer sind sie mit Namen und Herkunftsland auf den Titelblättern, wenn irgendein Afghane eine schwerwiegende Straftat begangen hat. Ich denke mir dann immer: Sind wir wirklich so schlecht?”  Dabei fühlt sich Hussein hier in Österreich sehr wohl. Genau wie Khalegh, Isi und Alireza. „Ich kann mich nur bei jedem Österreicher und jeder Österreicherin bedanken, dass ich hier in Sicherheit leben darf. Die meisten Menschen sind auch sehr zuvorkommend und nett hier.” Khalegh nickt. “Obwohl ich erst in Österreich gelernt habe, dass man jemandem 10 Cent schulden kann”, lacht er. Was sie allerdings wirklich bemängeln, ist der Umgang der österreichischen Politik mit Geflüchteten. Und zwar nicht nur seitens der FPÖ, sondern auch von Parteien wie den Grünen. „Weißt du, die sagen immer, sie sind für uns da. Dass sie uns helfen. Aber das sind nur leere Worte. Die machen im Endeffekt nichts”, sagt Hussein und schaut zu Boden. Alireza nickt ihm zu: Er hat immer noch keinen positiven Asylbescheid.

Bissi Brötchen auf den Tisch

Angenommen, er darf in Österreich bleiben: Wie stellt er sich seine Zukunft vor? „Ich will weiterhin Trainer sein, und alles, was ich hier gelernt habe, an andere Menschen weitergeben”, sagt er bestimmt. Khalegh sucht momentan einen Job als KFZ-Mechaniker. „Ich habe keinen wirklichen Traum. Ich will ein normal arbeitender Mensch in Österreich sein. Bissi Geld machen, bissi Brötchen auf den Tisch holen”, grinst er. Hussein will erstmal die Schule fertigmachen und dann eine Lehre zum Baumeister absolvieren. Isi hat einen ganz großen Traum. „Ich will Millionär werden. Und einen Porsche fahren. Aber ich will nur den Porsche für mich, das Geld will ich nicht am Konto. Ich sehe oft Obdachlose in Wien und würde ihnen gerne helfen. Ich will reich werden, damit ich anderen Menschen, die weniger haben, was zurückgeben kann. Das spornt mich an.”

v.l.n.r.: Alireza, Trainer Ronny, Isi, Hussein und Khalegh
v.l.n.r.: Alireza, Trainer Ronny, Isi, Hussein und Khalegh

 

Noch nicht genug? Trainer Ronny Kokert erzählt in seinem Buch “Der Weg der Freiheit- Wie ich von Geflüchteten lernte, anzukommen”

die Erfolgsgeschichten der Freedom Fighters. Kremayr und Schierau Verlag. Das Buch ist im April erschienen.

Der Weg der Freiheit
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