Schuldig geshoppt

14. April 2023

„Buy now, pay later“ – was wie ein günstiger Deal beim Onlineshopping mit dem Bezahldienst Klarna klingt, entpuppt sich für immer mehr junge Menschen als Schuldenfalle. Offene Rechnungen, Mahnungen und Inkassoverfahren werden ihnen so zum Verhängnis.

Von: Maria Lovrić-Anušić, Collagen: Zoe Opratko

.

Es ist ein endloser Teufelskreis“, mit diesen Worten beschreibt die heute 23-jährige Bahar ihr Kaufverhalten mit Klarna. Sie hat die Kontrolle über ihre Finanzen verloren. Sie bestellt immer mehr, übersieht offene Rechnungen, verschiebt Zahlungsziele nach hinten und kassiert am Ende unzählige Mahnungen. So kam es auch dazu, dass sich ein Inkassobüro bei Bahar meldete und sie für ein T-Shirt, das ursprünglich zehn Euro kostete, am Ende 200 Euro bezahlen musste. Das erste Mal nutzte sie Klarna kurz vor einem geplanten Sommerurlaub, um sich neue Klamotten zuzulegen, ohne ihr Urlaubsgeld ausgeben zu müssen. Damit kam sie schnell auf den Geschmack des „Buy now, pay later“-Prinzips. „Es kam mir so vor, als würde ich die Sachen gratis bekommen, weil sich mein Kontostand nicht veränderte“, erzählt die 23-jährige. Momentan hat sie noch 800 Euro Schulden bei Klarna offen und ist für weitere Einkäufe gesperrt. Mittels Ratenzahlung versucht sie den Betrag jetzt Stück für Stück abzubezahlen. „Danach will ich die App einfach nur löschen.“

Bahar ist mit diesem Problem nicht allein. Viele junge Erwachsene nutzen die Dienste des schwedischen Bezahlanbieters Klarna. Besonders beliebt ist das „Buy now, pay later“-Angebot und die Option auf Ratenzahlung. Das zeigt sich auch auf Social Media. Der Hashtag „klarnaschulden“ trendet seit Monaten auf TikTok und verzeichnet bereits 55.9 Millionen Aufrufe und Hunderte Videos. Junge Menschen zeigen Screenshots von ihrer Klarna-App, in denen offene Rechnungen in Höhe von Tausenden Euros zu sehen sind. „Keiner kann meine Schulden überbieten!“, steht dann häufig in der Videobeschreibung. Die Konsequenzen von dem fatalen Umgang mit ihrem Geld werden ins Lächerliche gezogen. Klarna bedauert diesen Trend besonders. „Wir sind besorgt, wenn junge Leute ihre Klarna-Rechnungen in Videos zeigen, und wollen deutlich machen: Wir haben nicht das geringste Interesse daran, dass Menschen, egal ob jung oder alt, mit offenen Rechnungen prahlen.“ Außerdem würden 98,97 % der in Österreich verschickten Rechnungen im Rahmen des Zahlungs- und Mahnprozesses bezahlt werden, so der Bezahldienstleister.

.

Der verlorene Überblick

„Es ist einfacher, auf ‚später bezahlen‘ zu drücken und das Zahlungsziel zu verschieben, als das Geld aufzutreiben“, erklärt Asti. Die 25-jährige nutzt Klarna seit fünf Jahren und kommt aus den Schulden nicht mehr heraus. Als Klarna ihren Account für eine Zeit lang sperrte, da sie mehrere Rechnungen nicht gezahlt hatte, erstellte sie sich einfach einen zweiten. Ab da versank sie immer tiefer in ihren Schulden. Sie verlor den Überblick über ihre Finanzen und wusste nicht mehr, auf welchem Account welche Rechnungen noch offen waren und verpasste Zahlungsziele. Ursprünglich wählte sie bei ihren Rechnungen den Ratenkauf, da sie von Zinsen nicht viel verstand, doch damit erhöhte sich seither der Betrag stetig. Wegen eines nicht bezahlten T-Shirts hat sie bereits ein Inkassoverfahren hinter sich. Mittlerweile hat sie auf beiden Accounts jeweils um die tausend Euro Schulden. Asti findet besonders das ´später bezahlen´-Angebot unglaublich gefährlich. Laut ihr kann es sehr verführerisch sein, sich Dinge zu bestellen, ohne das Geld dafür auf dem Konto bereit zu haben. „Ich kämpfe selbst am Monatsende immer mit dem Gedanken, mir einfach was zu bestellen“, erzählt Asti. Der Gedankengang ist immer der gleiche: Sie möchte etwas Neues und Trendiges haben, das sie auf Social Media gesehen hat, und bezahlen kann sie es dann sowieso später. Laut Gudrun Steinmann von der Schuldnerberatung des Fonds Soziales Wien ist es wichtig, genau solche Situationen zu überdenken. „Dabei entstehen ganz viele Ausgaben durch Impulskäufe oder weil es beispielsweise ein Influencer vorlebt. Da ist es wichtig, sich zu fragen, ob man diese Dinge wirklich benötigt.“ Die 25-jährige Asti hat nur einen Wunsch: Sie will ihren gesamten Schuldenberg abbezahlen. Dafür reicht ihr Geld allerdings nie aus, da sich der Betrag jeden Monat durch die Zinsen, denen sie beim Ratenkauf unbewusst zugestimmt hatte, erhöht. 

Die Schuldfrage

„Momentan habe ich noch um die 1500 Euro Schulden bei Klarna“, erzählt Aynur. Es sind Schulden, die sie jetzt nur sehr mühsam mittels monatlicher Raten abbezahlen kann. Doch bis vor kurzem war die Zahl noch um ein paar Hundert Euro höher. Die 25-jährige hatte nämlich, nachdem sie letztes Jahr nach England gezogen war, zwei Klarna-Accounts – einen österreichischen und einen britischen. Die österreichischen Schulden hat sie bereits abbezahlt und hofft, bald auch den Rest begleichen zu können. Begonnen hat das Ganze vor sechs Jahren, da sie damals als Samstagskraft nur 280 Euro im Monat verdient hatte und ihr das Geld vorne und hinten nicht ausreichte. All die Dinge, die sie haben wollte, konnte sie sich nur durch den Zahlungsanbieter leisten. Anfangs ging das noch gut, doch mit der Zeit konnte sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen und die ersten Mahnungen flatterten in ihren Briefkasten. Die Schulden begannen, sich schlagartig zu erhöhen. Wenn es nach ihr geht, dann hat Klarna eine Mitschuld an ihren Schulden. Expertin Gudrun Steinmann sieht die Frage der Schuld als eine zweischneidige Sache. „Zum einen ist es wichtig, dass die Konsument:innen unter anderem durch Finanzbildung zu mündigen Konsument:innen gemacht werden, aber zum anderen gehören auch die Bezahldienstleister kritisch hinterfragt.“ Aynur ist sich allerdings sicher, dass Klarna vor allem Jugendliche süchtig machen kann, und würde jungen Menschen darum auch stark von dem Unternehmen abraten.

Gefährlicher Trend

Expertin Steinmann sieht in dem Trend mit Klarna zu bezahlen eine ernst zu nehmende Gefahr. „Junge Menschen übernehmen für zwei Minuten Ruhm auf Social Media häufig eine Rolle, derer Konsequenzen sie sich nicht bewusst sind“, stellt sie klar. Wer ständig Schulden hat und diese nicht bezahlt, kann in seiner Kreditwürdigkeit stark sinken. Es lässt sich auch beobachten, dass jede vierte Person, die zur Schuldnerberatung in ganz Österreich kommt, unter 30 Jahre alt ist. Das könnte nicht zuletzt daran liegen, dass es mittlerweile immer leichter wird, sich Schulden anzuhäufen. „Während man vor einigen Jahren nur bei drei bis vier großen Katalogen bestellen konnte, können nun 24/7 online Geschäfte abgewickelt werden“, so Steinmann. Das zeigt sich auch in den Zahlen. Der Schuldenreport aus dem Jahr 2022 gab an, dass der "schlechte Umgang mit Geld" mit 21,9 einer der häufigsten Gründe für Überschuldung im Jahr 2021 war. Darunter versteht sich, dass die Ausgaben der Menschen ihre Einkommenslage überschreiten.  

.

50.000 Euro und Privatinsolvenz

Doch es gibt neben den vierstelligen Schulden auch Extremfälle. Die 25-jährige Sandra hat sich einen Schuldenberg von 50.000 Euro angehäuft. 2013 hatte sie zum ersten Mal ein Ausbildungsgehalt ausbezahlt bekommen und investierte diesen direkt online in neue Klamotten und Make-up. Das alles über Zahlungsanbieter wie Klarna oder PayPal und dem „buy now, pay later“-Angebot. „Es ist natürlich sehr verführerisch, wenn man auch erst in dreißig Tagen zahlen darf“, so Sandra. Der Grund für ihr exzessives Shoppen war auch unter anderem ihre Kaufsucht. Laut einer Studie der Arbeiterkammer aus dem Jahr 2017 ist dieses Phänomen in Österreich relativ weit verbreitet, ein Viertel der österreichischen Bevölkerung sei demnach kaufsuchtgefährdet. In solchen Fällen ist es besonders wichtig, sich Hilfe zu holen, so Steinmann. Eine lange Zeit konnte sie die Probleme, die sich wegen ihres Kaufverhaltens anhäuften, auch gut ignorieren, bis nach sechs Jahren die Gerichtsvollzieherin vor der Tür stand. Ab dem Zeitpunkt musste die 25-jährige die Notbremse ziehen: Sie ging in die Privatinsolvenz. Wenn nun alles nach Plan läuft, dann ist sie in drei Jahren schuldenfrei. Sie spricht offen über ihre Schulden und genau das rät sie auch allen anderen. „Es ist einfach wichtig, dass ihr offen darüber redet, denn ich weiß selbst, wie psychisch belastend das sein kann.“ 

Raus aus den Schulden.

Das Preisvergleichsportal Check24 veranstaltete auf seinem TikTok-Kanal mehrere Gewinnspiele, bei denen User:innen ausgesucht und ihre Klarna Schulden bezahlt wurden. Tausende Menschen hatten bei den Gewinnspielen in der Hoffnung teilgenommen, ihre Schulden auf einen Schlag loszuwerden. In der realen Welt benötigt das Abbezahlen von Schulden laut Steinmann jedoch etwas mehr als nur ein Video auf TikTok zu kommentieren. Es muss ein realistischer Finanzplan erstellt, ein Überblick über die gesamten Finanzen geschaffen sowie ein Kaufstopp durchgesetzt werden. Je schneller die Schulden beglichen werden, umso günstiger kommt man aus seinem persönlichen Klarna-Teufelskreis auch wieder heraus. Die beste Möglichkeit, vor allem junge Menschen vor einem Rutsch in die Schuldenfalle zu bewahren, ist umfangreiche Finanzbildung. Der richtige Umgang mit Geld muss gelernt sein – am besten gleich während der Schulzeit. ●

 

 

Was ist Klarna?
Klarna ist ein schwedischer Online-Bezahlanbieter, der 2005 gegründet wurde. Klarnas Leistung besteht darin, die Zahlungen an die Händler zu übernehmen und den Kunden einen Kleinkredit zu genehmigen, welchen sie innerhalb eines zeitlichen Rahmens bezahlen müssen. In der Klarna App können die Nutzer:innen ihre offenen Rechnung einsehen.
Hierfür gibt es drei Möglichkeiten: 
Sofortzahlung: Der Betrag wird mittels Sofortüberweisung, Lastschrift oder Kreditkarte sofort bezahlt.
Später bezahlen (Buy now, pay later): Hier erhält der Kunde seine Ware im Vorhinein und hat daraufhin 30 Tage Zeit, die Rechnung zu bezahlen. In der App kann die Zahlungsfrist gegen eine Gebühr um 10, 30 oder 60 Tage verlängert oder die Rechnung in eine Finanzierung umgewandelt werden.
Ratenkauf: Der zu zahlende Betrag kann mittels eines persönlichen Zahlungsplans in festen monatlichen (maximal 36 Monate) Raten beglichen werden.

Bereich: 

Das könnte dich auch interessieren

.
(C) Zoe Opratko Aufgepumpte Muskeln,...
.
Ägyptische Schaschlikspieße,...

Anmelden & Mitreden

7 + 0 =
Bitte löse die Rechnung