Türken, lernt Türkisch!

20. Juli 2014

 

Jede Sprache zählt. Das sollte nicht nur Prestige-Sprachen wie Englisch, Französisch oder Russisch vorbehalten sein. Die Austrotürken verfügen über einen immer noch vernachlässigten Sprachschatz. Damit diese nicht in ein Misch-Masch verkommt, ist es wichtig, dass sie Türkisch lernen! Türkçe öğrenin – öğretin! (Lernt und lehrt Türkisch)

 

Ich will hier nicht von den wissenschaftlichen Studien erzählen, die belegen, dass Kinder, die ihre eigene Muttersprache beherrschen auch eine zweite Sprache besser erlernen. Nein. Ich hatte die große Freude diese „Mehrsprachigkeit“ oft genug am eigenen Leib zu erfahren.  Damals war mir dieser „Mehrwert“ aber weniger bewusst. Alles Türkische, so auch die Sprache, war mir unangenehm, weil ich dadurch leichter stigmatisiert hätte werden können. Ich musste schließlich auch die „Oarchkotzlschwoaf“-Tests meiner österreichischen Freunde bestehen – Oarchkotzschwoaf  auf Mostviertlerisch (Eichkätzchenschweif) sagen können und gleichzeitig auch mein Türkisch pflegen, das ist nicht machbar, so dachte ich zumindest damals!

 

Von der Kleinstadt in die Multikulti-Stadt Wien

Aber dann kam ich aus meiner exotischen Existenz der ersten Türkin in ihrer Klasse in die Multikulti-Großstadt Wien. Neue Stadt, neue Menschen, neues Leben und natürlich viele spannende Kennenlern-Gespräche. Bis hierher war ich stolz auf die Niederösterreicherin in mir, beinahe schon arrogant dem Türkischen gegenüber: „Ich kann perfekt Deutsch, wozu brauche ich Türkisch?“ war meine Antwort, wenn sich Verwandte über mein Türkisch lustig machten. Meine Eltern waren auch nicht großartig engagiert und haben es wichtiger empfunden, dass wir Deutsch können. Es gab sogar ein Türkisch-Fernseh-Verbot im Hause Gencel. Vielleicht war es auch purer Egoismus meiner Eltern und gar keine „Erziehungsmaßnahme“. Denn somit waren die außenstehenden DolmetscherInnen schnell überflüssig! Dolmetschen ist übrigens das gemeinsame Schicksal aller Gastarbeiterkinder. So auch von mir und meiner Schwester. Anfangs nur für die Eltern, dann für die Nachbarn, für neuzugezogene Kinder in der Schule, und natürlich für die Bekannten der Bekannten.

 

Feldversuch "Türkei-Besuche"

Mit Wien hat sich meine eigene Wahrnehmung aber sehr stark verändert. Ich stellte mich als „Türkin“ vor, konnte aber kein fließendes Türkisch.  Bislang war mir das nie ein Dorn im Auge.  Frisch aus dem ländlichen Niederösterreich hergezogen, landete ich in der Sozialisierungsmühle des Raucherkämmerchens an der Wirtschaftsuniversität Wien – 3. Stock. Ich war auf einmal in einem Becken voller türkisch sprechender Menschen. Stundenlang wurde geraucht, gelacht, diskutiert! Türkei-Türken in Österreich - eine ganz neue Spezies an „MigrantInnen“. Meine bisherige Wortgewandtheit war dahin, meine Mischsprache aus Türkisch-Deutsch wurde abwertend belächelt.  Mein starker Akzent und das Gefühl mit meinem begrenzten Wortschatz nicht aussagekräftig genug zu sein, waren frustrierend.  Das wollte ich so nicht akzeptieren.  Meinen Türkisch-Komplex habe ich noch immer nicht überwunden. Seit ich in Wien lebe, nehme ich jeden Türkei-Besuch als Feldversuch wahr und teste, ob meine Sprache mich als „Auslandstürkin“ verrät. Das klingt nach Spaß, tatsächlich hat mich die Auseinandersetzung mit meinen fehlenden Sprachkenntnissen und folglich meiner türkischen Identität, wirklich angestrengt. Ich fühlte mich ständig in der Position,  mich sowohl in der türkischen als auch in der österreichischen Community behaupten zu müssen. Das ist Anstrengung pur.  

 

Bessere Türkischkenntnisse schaffen mehr Selbstbewusstsein

Aber  je besser mein Türkisch wurde, desto bewusster war mein Auftreten - und das nicht nur in der türkischen Community. Ich gehe beide Sprachen viel bewusster an. Ich vermische selten Türkisch mit Deutsch, was früher die Norm war. Da ich neue türkische Wörter auch im Deutschen nachschlage, erweitert sich mein Wortschatz in beiden Sprachen! Natürlich ist Deutsch noch immer die Sprache, in der ich mich blind zurechtfinde – an Türkisch taste ich mich noch immer an. Aber, dass ich mich in beiden Sprachen wohlfühle und beide Sprachen als gleichwertig und gleich wichtig wahrnehme, hat mir geholfen meine eigene Identität nicht von der Legitimation anderer abhängig zu machen.

Ich muss mich nicht entscheiden! Ich beherrsche zwei Sprachen und kann Bücher in mehr als nur einer Sprache konsumieren. Das befreit! Ich bin nicht auf Übersetzungen angewiesen und meine Informationsquellen sind nicht auf Deutsch und Englisch beschränkt. Ich kann aus einem größeren Becken schöpfen! Ich kann meine Gefühlswelt auf Türkisch entwirren, in Metaphern verpacken und gleichzeitig Schiller in seiner Originalsprache zerlegen! Wie cool ist das denn bitte? Das muss man den Jugendlichen klarmachen.

 

Bir lisan, bir insan. Iki lisan, iki insan! (Eine Sprache, ein Mensch. Zwei Sprachen, zwei Menschen!)

Jede Sprache, die man zusätzlich „perfekt“ beherrscht, vergrößert die eigene Lebenswelt. Nicht umsonst lautet ein berühmtes türkisches Sprichwort: "Bir lisan, bir insan. Iki lisan, iki insan." Je besser man mehrere Sprachen kann, desto größer ist auch unsere Reichweite! Ich wüsste nicht, wie sich das negativ auf den Integrationsstatus auswirken könnte. Wenn wir Schülern die Möglichkeit bieten, die Strukturen ihrer „Muttersprache“ zu erlernen, werden wir uns auch aus dieser im Moment vorherrschenden „Halbsprachigkeit“ herausentwickeln und kommen tatsächlich bei dem Mehrwert der Mehrsprachigkeit an, von dem die Ministerin Leeb im MO-Magazin sprach!  Die Integration wird unterbunden von Minderwertigkeitskomplexen, anstrengenden Akzeptanzkämpfen und einer ungeklärten Identitätsfrage, und von künstlich hochgebauschten Integrationsdebatten.  Der momentane Diskurs über die legitime Frage nach „Sollten wir Türkisch-Matura anbieten?“ ist ein gutes Beispiel dieses "Hochbauschens".

Es gibt tatsächlich neben vielen Forum-CholerikerInnen auch PolitikerInnen, die derzeit „Türkisch-Matura statt Deutsch-Matura“ ausschließen – wie sie auf die Idee kommen, dass das überhaupt passieren kann, verstehe ich noch immer nicht. Auch verstehe ich nicht, wieso man diese Diskussion nicht auf die Ebene der Angebot-Nachfrage-Funktion reduzieren kann. Emotionslos und sachlich! Wenn wir als die pluralistische Gesellschaft, die wir sein möchten, die Mehrsprachigkeit, Vielfalt und die Transkulturalität feiern möchten, dann sollte man es möglichst vermeiden Türkisch als Maturafach schon in der politischen Diskussion zu ersticken. Sprache trägt zur Stärkung der eigenen Persönlichkeit bei. Wenn diese Persönlichkeit zwischen den beiden Kulturen liegt, dann braucht man auch zwei Ventile, um sich Raum zu schaffen! Dass eine Türkisch-Matura den türkischsprechenden Menschen auch ein Wohlwollen und die Gleichwertigkeit ihrer Sprache signalisieren würde, sei hier nur am Rande erwähnt!

Kommentare

 

in Österreich und es zeugt von Integrationswillen, wenn man Deutsch spricht. Es gibt viele Leute, die nach Österreich migriert sind und mit dem Erhalt der Staatsbürgerschaft dann auch echte Österreicher sind. Ich erlebe es so, dass Türken und Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien bevorzugt in ihrer eigenen Landessprache sprechen, obwohl sie durchaus gut Deutsch können. Wenn man sie fragt, was sie sind, dann sagen sie natürlich: "Österreicher", aber eigentlich ist ihnen unsere Kultur eher zu wider. Ich glaube, wenn man sich die voranschreitende Ghettobildung im 2. , 5. und 16. Wiener Gemeindebezirk anschaut, dann wollen sie sich eigentlich gar nicht anpassen, sondern ihre eigene kleine Türkei bzw. ihre eigenes kleines Jugoslawien schaffen. Warum? Weil sie sich dort zuhause fühlen und nicht in Österreich; was bedeuten soll, dass das Herz vieler nicht für Österreich schlägt, sondern für ihre Herkunftsländer und das scheinbar über Generationen hinweg. Ich habe es erst gestern erlebt, dass ein vierjähriges Kind einer Familie, welche schon länger (mindestens eine Generation) hier wohnt, mit ihrer Mutter jugo spricht, anstatt Deutsch. Wie ist das möglich? Das ist für viele Wiener ein Aufreger und das allgemein auffällige provokante Verhalten, das man eher nicht mit Selbstbewusstsein verwechseln sollte, macht deutlich, dass hier viele Fehler passieren. Ich möchte mich selbst als Beispiel hernehmen. Mein Nachname ist tschechisch, aber ich spreche kein Wort tschechisch und ich weiß so gut wie nichts über Tschechien. Warum? Weil meine Familie vor langer Zeit hierher gezogen ist und ich mich als Österreicher fühle, eben weil ich hier aufgewachsen bin und somit quasi mein Herz für Wien bzw. Österreich schlägt. Bei so vielen anderen klappt das nicht. Warum nicht? Türkisch als Maturafach? :-) Ich hoffe, dass das verhindert wird bzw. werde ich selbst meinen Beitrag dazu leisten. Meiner Meinung nach kann man nicht verlangen, dass ein Gastarbeiter oder Flüchtling seine Wurzeln vergessen soll, aber in der Praxis sieht es dann wohl eher so aus, dass (bevorzugt im Ghetto) ein subtiler Kampf gegen so manchen Österreicher ausgetragen wird und noch immer das tolle Wort "Schwabo" verwendet wird, obwohl die Leute selbst einen Personalausweis der Republik Österreich in der Tasche haben (!) Was darf es also sein? Ein Mensch kann sich durchaus zur Mehrstaatlichkeit bekennen,  aber so wie ich es erlebt habe, sind die Austrotürken und Austrojugos immer dann Österreicher, wenn sie entweder etwas von einem Amt wollen oder gegenüber ihren Vorgesetzten oder gegenüber Behörden (eben typisch falsch, wie man hier bei uns sagt) aber dort, wo sie sein können, wie sie eigentlich sein wollen (wie etwa im Gemeindebau, bevorzugt in den Ghettobezirken), vergessen sie schnell, dass sie eigentlich offiziell Österreicher sind.

 

Ich würde dich gerne in mein Ghetto im 9ten Bezirk einladen :) Aber vielleicht sind französischsprechende Menschen weniger verstörend für dein "Österreich-Bild". Hier hör ich tatsächlich mehr Französisch als Deutsch. Und stell dir vor, die Kleinen sprechen mit ihren Müttern ebenfalls Französisch und nicht Deutsch - und JA sie können auch Deutsch! Dennoch führen sie ihre Privatgespräche in ihrer gewünschten Sprache. Wieso auch nicht. Wieso sollte sich jemand daran stören, dass zwei Menschen untereinander eine andere Sprache sprechen.  Und auch ich habe jahrelang das Argument "In Österreich wird Deutsch gesprochen" gebracht und finde diese Argumentation mittlerweile total überholt und kleinkarriert. Außerdem ist eine zusätzliche Sprache - und wenn man die westliche Arroganz mal beiseite lässt, würde man eventuell erkennen, dass jede Sprache funktional ist, absolut gar keine Bedrohung für das Deutsche. Entgegen deinen Asi-Beispielen, kann ich dir zig Menschen zeigen, die sowohl Türkisch als auch Deutsch perfekt können! Dh für die Ghettobildungen ist wohl nicht die Sprachbildung an sich verantwortlich - also ist diese Argumentation für mich total hinfällig!

 

Ob es am Alsergrund tatsächlich so ist, weiß ich nicht, obwohl ich so gut wie jeden Tag dort bin. In der Nähe des Lycée Français de Vienne kann es aber durchaus so sein - keine Frage. Es ist mir zumindest in der Nähe des Sacre Coeur häufig aufgefallen, aber dann weiß man auch, wie man das sehen darf. Meine Beispiele sind tatsächlich Asi-Beispiele und auch das Argument eines ihrer geschätzten Kollegen, es gäbe ein Sozialproblem ist nicht von der Hand zu weisen. Das Stadtbild hat sich jedenfalls in den letzten zehn Jahren drastisch zum Negativen verändert und ich erkenne immer wieder, wie sich die Leute, welche eher meinem "Österreich-Bild" entsprechen deutlich unwohler fühlen; aber was? Manche Gegenden (die Frage ist, was ich dort eigentlich mache) scheinen gänzlich von ihnen gemieden zu werden. Also mir fällt das auf. Anderenorts gehen sie direkt unter bei so vielen "neuen" Gesichtern aus aller Herren Länder. Herr im eigenen Land sind sie nicht mehr, eben weil sich die Mehrheit der Wähler für eine Multikultigesellschaft entschieden hat. Französisch ist in der Tat eine international anerkannte Sprache, aber mir scheint, dass so mancher Austrotürke der Überheblichkeit des durchschnittlichen Franzosen (bitte einfach mal einen Franzosen in english in Paris nach dem Weg fragen) um nichts nachsteht, denn auch er denkt, seine Kultur unbedingt in unser Land bringen zu müssen. Mein bestes Beispiel ist die Reinprechtsdorferstraße in Wien-Margareten. Ja, dort fühlt sich kaum noch ein Österreicher wohl, aber Kebaphaus, Billigkaufhaus und Wettbüro ziehen eben andere Menschen an, die sich dort durchaus wohl und zuhause fühlen (und ein entsprechendes, antiösterreichisches Trotzverhalten auch noch an den Tag legen). Worauf ich hinaus will: seltsamerweise geht das französischsprechende Klientel nicht mit einer "sozialen" Verschlechterung des Stadtbilds einher; anders als es im Falle des Klientel aus Balkanstaaten der Fall ist. Ich meine nicht Jedermann, sondern das Verhältnis. Wieviele antisoziale Struturen kommen auf sozial integrierte Strukturen (realistischerweise)? Mein Vater hat mir vor kurzem ein Erlebnis geschildert, als sich eine Austrotürkin lautstark am Telefon in der U-Bahn (gutes Beispiel: U-Bahnfahren vor zehn Jahren und heute) unterhalten hat. Er (natürlich auch nicht die feine Art) hat gesagt:"Man hört kein deutsches Wort mehr in Wien", worauf sie sich zu ihm gedreht hat und gesagt hat:"Warum sie reden doch Deutsch - das reicht doch". Bitte verstehe mich nicht falsch, aber ich glaube, dass ich soetwas in meinem Land nicht will und deswegen werde ich auch weiterhin die FPÖ wählen in der Hoffnung, dass diese die Entwicklung aufhalten möge. Mir selbst waren die feindseligen Blicke von Austrotürken, Austrojugos und Austropolen in Wien-Margareten bereits Grund genug, um meine Meinung diesbezüglich zu bilden. Als ob sie etwas gegen uns Österreicher hätten - natürlich, denn Österreich ist ihnen einfach zu wenig türkisch, jugoslawisch bzw. polnisch genug. Andere Menschen kommen und integrieren sich zur Gänze, wie es bei meiner Familie der Fall war. Türkisch als Maturafach geht da gar nicht und ich finde, dass das Bewusstsein der echten Österreicher wieder erwachen sollte, sonst werden sie eines Tages böse erwachen (wenn dies nicht bereits passiert ist). Wenn ich Kinder hätte, würde ich auf die Barrikaden laufen, wenn es z.B. verpflichtend türkisch lernen soll. Es wurden bereits die Kreuze an unseren Schulen verboten, was ich persönlich nicht unbedingt falsch finde, aber der Ehre einem Volk gegenüber als österreichisches Kind diese Sprache lernen (obwohl Deutsch die Amtssprache ist), das zwar sicherlich viel für Wien/Österreich getan hat, aber heute umso frecher ist; also nein, das will ich nicht.

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