Tortilla vs. Döner

06. Juli 2012

Nach meinem langem Aufenthalt in Deutschland freute ich mich mit meinen Freunden und Bekannten in Serbien lang unterhalten zu können und mit ihnen neue Tratsche auszutauschen. Leider hatte ich nicht so viel Zeit dafür, weil es sich alles um Sultane, Intrigen und außerordentliche Lebenssituationen drehte.

Alles begann mit Telenovela Kasandra! Spanische Telenovelas waren am Balkan für alle ein Begriff. Und die Popularität dauerte mehr als ein Jahrzehnt. Jeden Arbeitstag gegen 20:00 haben sich die serbischen Familien gesammelt, um ihre Freizeit vor dem TV-Gerät zu genießen.
So verfolgte man außergewöhnliche Schicksale mit atemberaubenden Hauptprotagonistinnen. Die Geschichten verliefen so: eine hübsche Frau, nehmen wir Esmeralda, ist arm, hat keine Mutter oder Vater (je nachdem), ist stolz, brav, unschuldig, aber verliebt sich in einen reichen Mann. Daraufhin folgt die Kluft zwischen Reichen und Armen, Religiosität, Weinen, Weinen, Klagen, Weinen. Die Unglücklichen bet en mehrmals pro Tag zum Gott, Protagonisten wurden stumm/blind/taub/gesund wieder/auf einmal reich. Viel Drama, Gefängnisse, Krankenhäuser, Haziendas, Ranches und am Ende doch ein Happy End.  Extreme Situationen mangelten nicht: So war es auch, dass es eine Frau gab, die sich nicht erinnern konnte, ob sie ihr Kind geboren hat oder nicht. Mit der neuen Zeit bildeten die Themen wie Mafia, Drogen und Korruption den Kernpunkt.

Wegen der wiederholten Themen und ähnlichen Geschichten wurden spanische Telenovelas Vergangenheit. Die Serben mussten jedoch irgendwie ihre verdiente Freizeit verbringen. Man brauchte dringend etwas Neues, auch Dramatisches, vielleicht diesmal mit anderem Hintergrund.

 

"...vielleicht hat sie das Kind geboren, aber erinnert sich nicht daran!"...

 

So ist man von Spanien und Lateinamerika in die Türkei umgezogen. Statt Kasandra und Esmeralda haben wir Assi und Hurem. Die türkischen Telenovelas toppen die spanischen und es ist wieder so, dass man gegen 8 oder 9 niemanden auf den Straßen in Serbien sehen kann.
„Die weinen nicht so viel, wie in den spannischen Telenovelas. Nur ein bisschen. Die Frauen auch nicht. Das heißt, sie haben einen starken Charakter, was mir besonders gut gefallen hat”, sagt mein Onkel, der von Istanbul, türkischen Frauen und Speisen begeistert ist.
Meine Tante hat sich tiefer mit diesem Phänomen auseinandergesetzt: „ Die Protagonisten haben einen tief-psychologischen Charakter. Jeder Zug ist gut geplant und durchgeführt. Und nicht alles ist so schwarz oder weiß. Die Schauspieler spielen besser. Alles ist dort zu finden.“
Auch Türkisch. Im Zeitrahmen von 2 Jahren hat sich die Anzahl der Studierenden türkischer Sprache in Serbien auffallend vergrößert. Das Geschäft mit Fremdsprachenagenturen für Türkisch blüht. Jeder, der ein echter Fan von türkischer Telenovela ist, kann schon Türkisch gut verstehen.

Der entscheidende Grund, weswegen Assi und Hurem Alltag sind, ist die Mentalität der Protagonisten:
„Serbien war 500 Jahren unter den Türken. Wir sind so ähnlich. Die Familienverhältnisse, Bräuche, Speisen, Rituale und moralischen Werte sind fast gleich”, sagt mein Vater, der geweint hat, als sein Lieblingsprotagonist, einer namens Ali Riza, gestorben ist: „Er ist gestorben, weil ihn seine Familie 'gefressen hat'. Armer Ali Riza, was für einen Mann und Hausvater er war!“

 

Die aktuelle Telenovela für 2012 ist „Der herrliche Sultan“ (Sulejman Veličanstveni), wo  man die osmanische Geschichte kennen lernt  und eine Einsicht in die Pläne für die damalige Eroberung Balkans gewinnt. Währen einer Szene, als der Sultan seinen „Offizieren“ die Pläne für den Krieg auf Balkan erklärt, reagiert meine Mutter laut: „Wenn unsere Königen und Zaren dies jetzt sehen könnten! Sicherlich wäre es hilfsreich u nd vielleicht hätten wir auch gewonnen! Jedenfalls ist der Sultan ein Herr! Guck mal, wie er so prächtig und mächtig spazieren geht!“
„Der Sultan ist gut und attraktiv, aber Ezel ist noch besser“ sagte meine Tante, die die Folgen im Voraus im Internet schaut. Coole Tante, nicht wahr?  „Ezel ist jetzt in der Mafia“, erklärt sie weiter „und hat eine blinde Mutter. Trotzdem kann nur sie ihren Sohn erkennen, weil er eine Operation für eine Gesichtsveränderung hatte, damit die Mafia ihn nicht finden kann.“ Ich frage sie, was dann der Unterschied zwischen spanischen und türkischen Telenovelas ist. „Ach, diese Spanier, die dramatisieren es viel, machen Drama, wo es kein Drama zu finden ist.  Und sie streiten sich laut und barbarisch. Außerdem ist die türkische Kultur uns viel näher als die spanische“.

 

 

Der attraktive Sulejman geht vorbei, Quelle: http://sulejmanvelicanstveni.blogspot.com/p/slike.html

 

Ich bin der Einzige in meiner Familie, der die türkischen Telenovelas nicht folgte. Manchmal versuche ich, das anzufangen. Wenigstens würde ich Türkisch in ein paar Jahren beherrschen. Jedenfalls wollen mich meine Familienmitglieder und Bekannte täglich davon überzeugen:
„Du wirst nicht glauben. Es ist nicht wie spannische oder diese seltsamen indischen. Das ist mehr komplexer, manche Folgen musst du zweimal sehen, damit du alles richtig begriffen kannst. Wenn wir in die Türkei fahren, ans Meer, werden wir alles verstehen und uns beim Feilschen nicht irren.“ schließt man Bruder ab.
Und trotzdem: Ich denke, dass ich für Tortilla bin, weil ich als Kind dank der schönen Esmeralda bald mein Spanisch beherrschte. Jetzt muss ich meine spannischen Sprachfertigkeiten weiterentwickeln, und zwar mit „Las muñecas de la mafia“ oder „Doña Bárbara“.

                                                                                                                                                                                       Nemanja Ɖoković, Serbien

Kommentare

 

Ist doch so praktisch. vergiss teure sprachkurse oder aufenthalte in anderen ländern. du setzt dich hin, konsumierst herz, schmerz, drama und leidenschaft und schon verstehst du nicht nur die sprache, sondern auch die geschichte, mentalität, verhandlungsgeschick und schließt nebenbei ein studium in psychologie (natürl. in türkischer sprache) ab. WOW! Das geht nur am Balkan!

 

:)))))

 

Meine Oma ist letzte Woche aus Serbien gekommen und hatte sogar das Buch "Sulejman Velicanstveni" im Gepäck haha unglaublich aber es macht schon bisschen süchtig. Diese indische "Mala nevesta" hab ich nicht gepackt ... 4000 Folgen und dauern ewig 

 

Und taugt das buch was? 

 

 

 

Ich hab's nicht gelesen :)  Ich meinte eig, dass die serien bisschen süchtig machen

 
 

Omg, ich kanns mir nicht glauben. Aber na ja, ich verstehe das im Ganzen. Man braucht Drama im Leben, und wenn es sich nicht um sein eigenes Drama handelt, desto besser.

 

Das Buch, wow...und das Bild, habe mich totgelacht. Das ist Anspielung auf Zarko Lausevic und seinen Roman Godina prodje, dan nikad :)

LG!

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